GASTBEITRAG

Elektromobilität muss Verbrauchern spürbare Vorteile bringen

Börsen-Zeitung, 18.2.2016 Euphorie und Erleichterung bestimmten das Ende des CO2-Gipfels in Paris zum Jahresschluss 2015. Die Verhandlungspartner feierten die Einigung als Erfolg. Sicherlich: Die Verständigung auf ein gemeinsames Ziel ist ein...

Elektromobilität muss Verbrauchern spürbare Vorteile bringen

Euphorie und Erleichterung bestimmten das Ende des CO2-Gipfels in Paris zum Jahresschluss 2015. Die Verhandlungspartner feierten die Einigung als Erfolg. Sicherlich: Die Verständigung auf ein gemeinsames Ziel ist ein Fortschritt. Und gleichzeitig nur der Anfang. Denn eine verbindliche Roadmap mit einer klaren, fairen Aufgabenverteilung fehlt.Zwar ist der konkrete Weg zum 2-Grad-Ziel noch offen, eines aber ist bereits heute klar: Das Abkommen erfordert das Miteinander aller Beteiligten, damit die Zielflagge überhaupt erreichbar bleibt. Alle Länder rund um den Globus müssen ihre Emissionen reduzieren. Europa als einziger Kontinent mit einem sinkenden CO2-Ausstoß kann allein wenig bewirken, wenn zugleich die Emissionen in den Schwellenländern rasant steigen.Ein Garant für Investitionen in den Klimaschutz ist eine starke Industrie. Nur wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen sind in der Lage, ihre Produkte weiterzuentwickeln und neue Technologien zu erfinden. Gleiches gilt für die Politik: Eine stabile Konjunktur gibt dem Staat die Möglichkeit, in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren und gleichzeitig den gesetzlichen Rahmen zu stecken, der Innovationen erleichtert und fördert.Diese Aufgabenteilung sollte auch das Erfolgsrezept sein, um der Elektromobilität in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen. Die Automobilindustrie macht ihre Hausaufgaben und hat in den letzten Jahren mehr als 14 Mrd. Euro investiert. Keine Automobilnation hat ein vielfältigeres Angebot an Elektrofahrzeugen. Deutsche Hersteller werden in den nächsten Wochen 29 Elektrofahrzeuge als Serienmodelle anbieten. Die Produkte sind marktreif. Doch trotzdem greift der Kunde bisher nur in homöopathischen Dosen zu: Im Jahr 2015 lag der Elektroanteil an den Neufahrzeugen in Deutschland bei gerade einmal 0,7 %. Seit 2008 sind insgesamt gut 50 000 Elektro-Pkw zugelassen worden.Der Hemmschuh ist schnell ausgemacht: Es fehlt ein attraktives Kaufumfeld. Der Blick in andere Länder zeigt, wie es geht: In Norwegen etwa oder in den Niederlanden ist die Verkaufsdynamik deutlich höher. Der Grund: Ein Mix aus unterstützenden Maßnahmen, die den Markthochlauf beschleunigen. Dass die deutschen Hersteller in diesen Ländern einen E-Marktanteil von mehr als 50 % haben, zeigt, dass ihr Angebot die Wünsche der Kunden trifft. Mehr LadestationenAuch hierzulande liegen die Handlungsempfehlungen schon lange auf dem Tisch. Kfz-Steuer-Befreiung und Elektromobilitätsgesetz reichen nicht, damit Deutschland zum Leitmarkt wird. Nötig ist eine bedarfsgerechte Ladeinfrastruktur. Die derzeit 5 600 öffentlichen Ladepunkte sind viel zu wenig. Der Kunde erwartet zu Recht eine einfache Ladeinfrastruktur im öffentlichen Raum. Ein Sofortprogramm für 10 000 Ladesäulen, das jeweils zur Hälfte von der Wirtschaft und der öffentlichen Hand finanziert wird, wäre ein wichtiger Schritt. Auch die Infrastruktur zur Schnellladung muss ausgebaut werden, derzeit gibt es gerade einmal 125 Schnellladepunkte in Deutschland.Ein zweiter großer Hebel sind private und öffentliche Beschaffungsinitiativen. Gewerbliche Flotten sind prädestiniert für die Elektromobilität, denn sie sind kontinuierlich im Einsatz und fahren – etwa in Großstädten – planbare und kurze Strecken. Daher sollte auch in Deutschland die öffentliche Hand vorangehen und E-Fahrzeuge vorbildhaft in den Alltag integrieren.Das selbst gesteckte Ziel, dass mindestens 10 % der Dienstwagen weniger als 50 Gramm CO2 emittieren, erreicht nur eine Minderheit der Bundesministerien und Behörden. Auch hier sind unsere Nachbarn ehrgeiziger: Frankreich etwa will bis Ende des Jahres die Hälfte der staatlichen Dienstwagenflotte durch E-Modelle ersetzen.Darüber hinaus benötigt der Verbraucher spürbare Vorteile, um sich für den Kauf eines Elektroautos zu entscheiden. Dafür kommen steuerliche Impulse ebenso in Betracht wie direkte Kaufanreize oder eine Kombination von beiden. Denn noch sind bei allen Anbietern die E-Modelle aufgrund der hohen Batteriekosten teurer als konventionelle Fahrzeuge. Künftig aber wird dieser Preisunterschied sinken. So erwarten wir von der nächsten Batteriegeneration eine Halbierung der Kosten und eine Verdoppelung der Reichweite. Höchste Zeit für ImpulseWer zukunftsfähige Lösungen definieren will, kommt an der Elektromobilität nicht vorbei. Deshalb wird die deutsche Automobilindustrie ihre globale Elektromobilitätsoffensive weiter vorantreiben. Auch die Politik weiß: Die in Paris auf den Weg gebrachten CO2-Ziele sind nur mit einem erheblichen Anteil von Elektrofahrzeugen erreichbar.Im Kern geht es also nicht um ein Erkenntnis-, sondern um ein Entscheidungsproblem. Gemeinsame Ziele von Industrie, Gewerkschaften und Politik erfordern auch gemeinsames Handeln. Für Deutschland ist es höchste Zeit, die entscheidenden Startimpulse zu setzen. Nur so können wir die nachhaltige Entwicklung und Etablierung der Elektromobilität erreichen.—-Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA)