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Elektronische Gesundheitskarte kommt nur mühsam voran

Von Helmut Kipp, Frankfurt Börsen-Zeitung, 5.1.2018 Während Unternehmen mit Riesenschritten Richtung Industrie 4.0 unterwegs sind, läuft im Gesundheitssystem vieles wie eh und je. Diagnosen und Überweisungen werden als Ausdrucke oder ungesichert...

Elektronische Gesundheitskarte kommt nur mühsam voran

Von Helmut Kipp, FrankfurtWährend Unternehmen mit Riesenschritten Richtung Industrie 4.0 unterwegs sind, läuft im Gesundheitssystem vieles wie eh und je. Diagnosen und Überweisungen werden als Ausdrucke oder ungesichert per Mail ausgetauscht, Rezepte nimmt der Patient in Papierform aus der Arztpraxis mit, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen werden postalisch verschickt. Das führt zu Medienbrüchen, Fehlern und hohen Kosten. Die Vorteile von E-Health-Anwendungen werden bisher nur ansatzweise genutzt. Die Beratungsfirma Strategy& hat im vergangenen Jahr im Auftrag des Bundesverbands Gesundheits-IT und des Softwarekonzerns Compugroup Medical die Effizienzpotenziale in vier großen Indikationsgebieten detailliert analysiert. Ergebnis: Knapp 13 % könnten hier gespart werden (siehe Grafik).Als wichtiger Baustein für die Digitalisierung des Systems gilt die elektronische Gesundheitskarte. Ihre Einführung verzögerte sich lange. Inzwischen haben die gesetzlich Krankenversicherten die Plastikkarte zwar in der Tasche, doch kann sie bislang kaum mehr als Stammdaten von Versicherten verwalten. Ein mageres Resultat angesichts der Kosten, die nach Berechnung der Innungskrankenkassen bisher 1,7 Mrd. Euro betragen. Der Bund der Steuerzahler geißelt die elektronische Gesundheitskarte sogar als skandalöses Beispiel für Fehlschläge einer digitalen Verwaltung.Doch allmählich macht das Projekt Fortschritte. Im laufenden Jahr steht der flächendeckende Aufbau der Telematik-Infrastruktur auf dem Programm. Diese Datenautobahn vernetzt die Akteure im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Dazu gehören in Deutschland etwa 105 000 Arzt- und gut 40 000 Zahnarztpraxen, 24 000 Psychotherapeuten, 2 000 Kliniken sowie Krankenkassen und Apotheken. Das System soll einen sicheren und reibungslosen Austausch von Daten wie Medikationspläne, Arztbriefe, Notfalldaten oder elektronische Patientenakten ermöglichen. 700 Mill. Euro in diesem JahrDie gesetzlichen Krankenkassen werden allein im laufenden Jahr weitere 700 Mill. Euro in die digitale Infrastruktur investieren. Die Federführung für das Projekt liegt bei der Gematik in Berlin, die 2005 von den Spitzenorganisationen des Gesundheitswesens gegründet wurde. Sie legt die technischen Spezifikationen der Datenformate, Dienste und Komponenten wie Konnektor und Kartenterminal fest und prüft die Produkte der Hersteller. Zulassungstests des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik schließen sich an. Erst nach der offiziellen Freigabe dürfen die Produkte eingesetzt werden. Insbesondere die Anforderungen an den Datenschutz gelten als sehr hoch. Das ist auch gut so, schließlich werden hochsensible Daten über Erkrankungen und Therapien ausgetauscht. Hersteller sprechen von der weltweit bestgeschützten Infrastruktur für das Gesundheitswesen.Bei den bisher erfolgten Installationen sind dem Vernehmen nach keine größeren Probleme aufgetreten. Das wird branchenweit mit Zufriedenheit registriert, da alle Anbieter ihre Komponenten nach den Gematik-Spezifikationen bauen müssen. Gesetzlich ist vorgeschrieben, dass bis Ende 2018 alle Arzt- und Zahnarztpraxen angebunden sind, sonst droht Honorarabzug. Die beteiligten Unternehmen hoffen auf lukrative Geschäfte. T-Systems hat den Marktstart für Ende des ersten Quartals angekündigt. Dabei arbeitet die Deutsche-Telekom-Tochter mit einer ganzen Reihe von Partnern zusammen, darunter die auf digitale Sicherheit spezialisierte Openlimit Signcubes, Ingenico oder die Praxissoftwarefirma Medatixx. T-Systems verspricht, den Wettbewerb beim bundesweiten Gesundheitsnetz anzukurbeln. Das ist auch notwendig, denn momentan ist Compugroup noch allein auf weiter Flur. Als bisher einziger Anbieter verfügen die Koblenzer über alle notwendigen Produktzulassungen und können damit ihre ohnehin führende Stellung im Geschäft mit Arzt- und Zahnarztsoftware festigen. Der TecDax-Konzern hat 60 000 Stammkunden, und diese dürften das Anschlusspaket von Compugroup kaufen. Wobei der nachhaltige Effekt für Umsatz und Gewinn durch Wartung und neue Anwendungen, die in das Telematiksystem kommen werden, langfristig viel wichtiger ist als der Roll-out selbst.Mit Research Industrial Systems Engineering (RISE) steht – neben T-Systems – ein zweiter Wettbewerber am Start. Der IT-Dienstleister will mit der Auslieferung seines Konnektors – die Schnittstelle zwischen Praxissoftware und Telematiknetz gilt als Herzstück der sicheren Kommunikation – im zweiten Quartal beginnen. Die Österreicher bringen Erfahrung mit, denn sie haben 2005 die Digitalisierung des Gesundheitswesens in der Alpenrepublik konzipiert und umgesetzt. Anwendungen im TestAls vierter Player gilt der IT-Sicherheitsanbieter Secunet, der vor Jahren einen Gematik-konformen Konnektor für die Erprobungsphase bereitgestellt hat und aktuell das Gerät für den Produktivbetrieb entwickelt. Mit Informationen über das weitere Vorgehen hält sich das Unternehmen allerdings zurück.Die Gematik stellt gerade die Weichen, um auch Notfalldaten und Medikationsplan auf die Gesundheitskarte zu bringen. Dann könnte das Plastikteil endlich mehr als Stammdaten von Versicherten verwalten.