VOLKSWAGEN - IM INTERVIEW: HENNING WEGENER

"Elementare Regeln der Corporate Governance missachtet"

Stiftung für geschädigte Aktionäre rät VW zu Gesprächen über Vergleich - Volkswagen Investors Claim: Konzern riskiert hohe Belastungen durch Abgasaffäre

"Elementare Regeln der Corporate Governance missachtet"

– Herr Dr. Wegener, wie beurteilen Sie den bisherigen Umgang von Volkswagen mit der Dieselabgasaffäre?Wir sind über den Umgang mit den im vergangenen September in den USA aufgedeckten jahrelangen Software-Manipulationen bei Dieselfahrzeugen zutiefst enttäuscht. Das bisherige Vorgehen des Konzerns offenbart einen Mangel an Verantwortung gegenüber Anlegern und Mitarbeitern, aber auch gegenüber dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Anstatt diesen Skandal so schnell wie möglich zu bewältigen, werden berechtigte Ansprüche von Investoren abgeblockt.- Wer ist die Stichting Volkswagen Investors Claim?Die Stichting Volkswagen Investors Claim ist eine Stiftung nach niederländischem Recht. Es handelt sich um eine gemeinnützige Stiftung, sie ist nicht auf Gewinn ausgerichtet. Sie hat einen dreiköpfigen unabhängigen Vorstand und wird kontrolliert durch einen ebenfalls unabhängigen Aufsichtsrat, dem Vertreter der World Federation of Investors, des Dachverbandes aller Investorenschutzvereinigungen, sowie Better Finance, dem Dachverband europäischer Investorenschutzvereinigungen, angehören.- Wie finanziert sich die Stiftung?Die Stiftung wird finanziert durch eine amerikanische Anwaltsgesellschaft, Labaton Sucharow LLP. Diese stellt ein Budget zur Verfügung. Der Finanzierungsvertrag sieht vor, dass bei einem Vergleich Volkswagen im Idealfall die Kosten tragen muss – 18 % des Vergleichsbetrags. Sollte Volkswagen die Kosten nicht übernehmen, würde sich die Stiftung an die geschädigten Anleger wenden, deren Interessen sie vertritt. Diese haben die Wahl, sich in diesem Fall nicht länger durch die Stiftung vertreten zu lassen.- Wessen Interessen vertritt die Stiftung genau?Die Stiftung vertritt die Interessen aller geschädigten Investoren weltweit – kosten- und risikolos. Unter unserem Dach haben sich inzwischen Kleinaktionäre und rund 150 institutionelle Anleger aus 26 Ländern mit einem Investitionsvolumen von rund 13 Mrd. Euro versammelt. Partner der Stiftung in Deutschland ist die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Es gibt für die Interessenvertretung aber klare Grenzen: Wir haben in der Satzung eine Vorsorge getroffen, dass diejenigen Anleger, die vor ein Gericht ziehen, aus der Gruppe ausgeschlossen werden.- Inwieweit sind Sie bislang mit Volkswagen in Kontakt getreten und wie reagiert der Konzern?Wir haben Volkswagen im Oktober 2015 zu Gesprächen über einen außergerichtlichen Vergleich eingeladen. Volkswagen hat geantwortet, keine Veranlassung zu diesen Gesprächen zu sehen, weil man keine kapitalmarktrechtlichen Bestimmungen verletzt sehe. Diese Einschätzung teilen wir nicht. Ich halte nicht nur die Position der Konzernführung für nicht haltbar, dass nur einige wenige abtrünnige Ingenieure allein für die Softwaremanipulationen verantwortlich gewesen sein sollen. Wir sind auch der Auffassung, dass die Volkswagen-Führung viel früher als im September Kenntnis hatte von den Manipulationen. Marktteilnehmern wurden somit wesentliche Informationen vorenthalten. Die Ignoranz, was unseren Vorschlag angeht, ist sehr bedauerlich.- Warum?Das Schlichtungsverfahren wäre ein Weg, eine Klageflut zu vermeiden, Anleger mit deutlich geringeren Kosten und in einem wesentlich kürzeren Zeitraum zu entschädigen. Stattdessen nimmt Volkswagen eine weitere Schädigung des Renommees in Kauf und geht das Risiko jahrelanger Gerichtsprozesse und deutlich höherer Belastungen ein.- Warum kommt Volkswagen nicht auf Sie zu?Das ist mir unbegreiflich. Wir sind Zeugen der Demontage einer deutschen Industrie-Ikone, die wie kein zweites Unternehmen vom Wiederaufbau bis in die Gegenwart hinein für deutsche Tugenden und Ingenieurskunst steht. Für die Diskreditierung dieses Vorzeigeunternehmens ist die Konzernführung verantwortlich, die in beschämender Weise Verantwortung negiert und elementare Regeln der Corporate Governance missachtet.- Was unterscheidet Ihr Vorgehen von dem anderer Investoren wie Hedgefonds?Wir sind nicht darauf aus, höchstmögliche Schadenssummen vor Gericht zu erstreiten. Den Anlegern, die sich bei uns registriert haben und von denen viele nach wie vor investiert sind in Volkswagen, geht es nicht darum, das Unternehmen in Grund und Boden zu klagen. Sie sind nicht daran interessiert, über die nächsten zehn Jahre für Gerichtsverfahren Rückstellungen auszulösen, die das Unternehmen belasten und damit auch die Möglichkeit einschränken, in neue Technologien zu investieren. Investoren wie Pensionsfonds, Betriebskassen oder Non-Profit-Organisationen können aus Haftungsgründen aber nicht darauf verzichten, einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Sie fordern einen Ausgleich für den erlittenen Schaden – allerdings mit Augenmaß. Es geht ihnen vor allem darum, das Investment in Volkswagen zu sichern.- In Amerika scheint Volkswagen auf einen Vergleich zuzusteuern.Weil das Unternehmen die Risiken dort offenbar als wesentlich größer einschätzt. Zu Recht, denn ohne einen Vergleich könnte man nicht ausschließen, dass Volkswagen existenziell gefährdet ist.- Müsste in Europa nicht auch rigoroser vorgegangen werden in solchen Betrugsfällen?Ich möchte in Europa kein amerikanisches Rechtssystem haben. Wir müssen unseren eigenen Weg gehen, der das Positive aus anderen Systemen übernimmt. Als niederländische Stiftung könnten wir derzeit nur eine Feststellungsklage einbringen in den Niederlanden, gegen die sich Volkswagen wahrscheinlich wehren würde. Die Folge wäre, dass sich die Parteien über Zuständigkeiten, aber nicht über die Sache unterhalten. Wir möchten aber gern vernünftig über eine Vergleichslösung reden, die vom Amsterdamer Berufungsgericht gebilligt und mit Allgemeinverbindlichkeit ausgestattet würde. Bei Volkswagen vermisse ich diese Vernunft bislang.- Was können Sie tun?Wir werden für unsere Position in der Öffentlichkeit werben. Wir wenden uns aber auch direkt an Großaktionäre von Volkswagen wie das Land Niedersachsen, unser Anliegen zu unterstützen. Die Volkswagen-Führung muss an den Verhandlungstisch. Gerade das Land hat eine moralische und politisch-ethische Verantwortung, die über Kosten-Nutzen-Rechnungen hinausgeht. Auf dem Spiel steht die Glaubwürdigkeit eines wichtigen Unternehmens, des Wirtschaftsstandorts Deutschland und Niedersachsen sowie die Relevanz guter Corporate Governance in Deutschland. Nicht zuletzt die milde Kritik Niedersachsens an der Bonuspolitik des VW-Vorstands gibt hier Anlass zur Sorge.- Wie soll der Vergleich aussehen? Steht eine Vergleichssumme im Raum?Nein, es wäre unseriös, jetzt eine bestimmte Summe zu nennen. Wir werden uns aber anders verhalten als Prozessfinanzierer, die inzwischen immer mehr auf den Plan treten, weil Volkswagen Vergleichslösungen hinauszögert. Diese Prozessfinanzierer kommen in der Regel nur dann ins Spiel, wenn es um sichere Ansprüche geht und wenn der Prozessgegner ein valides Unternehmen ist – wie Volkswagen. Es gibt schon jetzt Konsortien weltweit tätiger Prozessfinanzierer, die Millionenbeträge in die Hand genommen haben, um Klagen einzubringen. Wenn man als Investor solche Verträge unterschreibt, gibt man eigene Ansprüche aus der Hand und auch Vergleichsmöglichkeiten. Es entscheiden weniger Investoren, die Interesse an der Werthaltigkeit ihres Investments haben, sondern Anwälte, die daran interessiert sind, das Optimum aus einem solchen Verfahren herauszuholen. Und wenn ein Verfahren zehn Jahre dauert, ist das für sie noch besser, weil in diesem Zeitraum Zinsansprüche entstehen.- Volkswagen sollte sich also beeilen, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen?Ja. Eine angemessene Lösung, die vielleicht 20 %, 30 % oder 50 % eines Schadenersatzanspruches umfasst, wird immer unwahrscheinlicher, weil es immer mehr Parteien gibt, die die Ansprüche voll durchsetzen wollen und auch können, wenn sie nur lange genug im Gerichtsverfahren durchhalten.- Und wenn die Ansprüche verjähren?Volkswagen sollte nicht auf Verjährungsfristen achten, denn diese sind teilweise deutlich länger als in Deutschland mit einem Jahr. In den Niederlanden etwa verjähren Schadenersatzansprüche nach fünf Jahren, in Spanien nach 15 Jahren. Der Druck auf Volkswagen wird immer mehr zunehmen. Fondsgesellschaften in Deutschland müssen sich jetzt entscheiden, ob sie sich einer Klage in Deutschland anschließen. Damit würden sie große Teile des eigenen Anspruchs aus der Hand geben und auch die Dispositionsmöglichkeit.- Wenn Sie mit Ihrem Vergleichsangebot nicht zum Zuge kommen, was dann?Dann müssen wir für die Anleger, die sich an uns gewandt haben, ein Vehikel und eine Option schaffen, um zu verhindern, dass ihre Ansprüche verjähren. Welchen Weg wir gehen werden, wird sich nach der Hauptversammlung in diesem Sommer zeigen.—-Das Interview führte Carsten Steevens.