Thomas Kusterer

EnBW: „Wir werden den Gaspreis weitergeben müssen“

Der Gasimporteur Uniper erhält eine milliardenschwere Staatshilfe. Beim Energiekonzern EnBW mit der Gastochter VNG sieht die Sache anders aus. Das Unternehmen wird keinen KfW-Kredit brauchen.

EnBW: „Wir werden den Gaspreis weitergeben müssen“

Christoph Ruhkamp.

Herr Kusterer, brauchen Sie wie Uniper auch eine staatliche Milliardenhilfe?

Nein. Davon gehen wir im Moment nicht aus. Unsere Gas-Tochtergesellschaft VNG hat zwar im Frühjahr mal eine KfW-Kreditlinie beantragt, allerdings mehr als eine Vorsichtsmaßnahme. Die VNG hat derzeit und absehbar ausreichend Liquidität, um jederzeit vollumfänglich handlungsfähig zu sein.

Was ist der Unterschied zwischen VNG und Uniper? Warum braucht VNG keine Staatshilfe?

Das ist überhaupt nicht vergleichbar. Es sind erstens ganz andere Expo­sures Richtung Russland. Und zweitens sind die Unternehmen anders aufgestellt. Die VNG ist diversifizierter aufgestellt und hat mit der Netztochter Ontras stabile regulierte Erträge. Zur Belieferung der Gaskunden wird neben zwei direkten Bezugsverträgen mit Russland der Großhandelsmarkt genutzt.

Inwieweit können Sie die gestiegenen Gaspreise an die Endkunden weitergeben?

Im Vertrieb an die Endkunden mussten wir bereits die Gaspreise zum 1. Juli erhöhen. Bei den geschäftlichen und kommunalen Kunden sind wir an bestehende Lieferverträge gebunden. Im Energiesicherungsgesetz gibt es jetzt grundsätzlich die Möglichkeit der Weitergabe von gestiegenen Beschaffungskosten entweder direkt an unsere Endkunden oder indirekt an alle Gaskunden über ein Umlagesystem. Das ist allerdings im Moment noch nicht möglich. Die Alarmstufe ist zwar ausgerufen, aber dazu wäre es noch notwendig, dass die Bundesnetzagentur eine deutliche Reduzierung der Gasimportmengen bescheinigt und somit diese Weitergabe ge­nehmigt.

Rechnen Sie damit, dass die Bundesnetzagentur in kurzer Zeit Gasimport-Knappheit feststellt?

Das ist eine schwierige Frage. Im Moment fließt nach der Revision von Nord Stream 1 wieder Gas, wenn auch nur knapp 40% der normalen Menge. Dies entspricht in etwa dem verringerten Niveau, das seitens Gazprom vor der Revision durch Nord Stream 1 geliefert wurde. Die Situation bleibt aber trotzdem angespannt, auch wenn die Lieferungen derzeit nicht völlig ausbleiben.

Dann könnte es auch relativ schnell gehen?

Im Moment und im Sommer ist der Gasverbrauch relativ gering. Richtung Winter könnte sich das ändern, wenn signifikante Mengen vom Import fehlen. In der aktuellen Situation erscheint es aus meiner Sicht jedoch trotzdem sinnvoll, kurzfristig zu reagieren, um auf das Winterhalbjahr entsprechend vorbereitet zu sein.

Und dann können Sie die Preise anheben?

Im Falle der Feststellung einer erheblichen Reduzierung der Gesamtimportmenge eröffnet das Energiesicherungsgesetz die Möglichkeit – entweder über eine Preisanpassung oder über eine Umlage – die erhöhten Beschaffungspreise weiterzugeben. Dabei halte ich das Umlagesystem für die bessere Lösung.

Warum würden Sie die Umlage bevorzugen?

Weil das dann nicht nur einzelne Kunden trifft, die zufällig über russisches Gas versorgt werden, sondern weil es dann eben eine Verteilung wäre auf Gaskunden insgesamt.

Es wäre gerechter?

Gerechter im Sinne eines ausgeglichenen Verteilens, je nachdem, wie viel Gas man in Anspruch nimmt.

An welchen Stellen im Unternehmen sind Sie am stärksten betroffen davon, dass weniger Gas aus Russland importiert wird?

In erster Linie sicherlich bei der VNG, aber auch bei der EnBW im Handel. Dort haben wir zwar keine direkten Bezugsverträge mit Gazprom oder mit Russland. Aber im deutschen Großhandelsmarkt kamen im Jahr 2021 rund 55% und aktuell immer noch 35% der Gaslieferungen aus Russland. Das betrifft uns durch die gestiegenen Gaspreise und durch die Notwendigkeit, unsere Bezugsquellen noch schneller zu diversifizieren.

Was ist für Sie die wichtigste neue Bezugsquelle?

Im Moment wird ja noch ausreichend Gas geliefert aus den unterschiedlichsten Quellen, sei es LNG, sei es Norwegen oder Holland. Es ist also genügend Gas im Markt, es ist nur teurer. Wir arbeiten mit der EnBW seit geraumer Zeit daran, unsere Bezugsquellen zu diversifizieren. Wir haben seit ein paar Jahren einen LNG-Handel aufgebaut, haben 2021 circa ein Dutzend Schiffe für Flüssiggas unter Vertrag gehabt und bauen das weiter aus. Wir haben jetzt gerade auch gesagt, dass wir Regasifizierungskapazitäten buchen werden in dem noch zu bauenden Terminal in Stade. Darüber hinaus haben wir gerade einen längerfristigen LNG-Vertrag mit Venture Global in den USA abgeschlossen. Insofern werden wir unsere LNG-Aktivitäten zukünftig noch deutlich ausbauen. LNG ist sicherlich eine entscheidende Möglichkeit zur Diversifizierung.

Werden die stark gestiegenen Gaspreise für Sie unter dem Strich – über den Strompreisanstieg – einen Anstieg des Gewinns bewirken oder eher eine Verringerung?

Ich glaube, das ist schwierig zu sagen, denn man muss auf die gesamte Wertschöpfungskette schauen. Für 2022 kann ich wirklich nicht sagen, wie sich das am Schluss im Saldo auswirken wird. Denn im Handel wirkt es sich zunächst positiv aus. Auf der anderen Seite, wenn wir Gasmengen nachbeschaffen müssen oder Preisanstiege nicht an den Kunden weiterreichen können, dann kostet uns das im Moment Geld. Dann haben wir noch das Ersatzkraftwer­kebereithaltungsgesetz. Davon sind wir in Düsseldorf mit dem Gaskraftwerk unserer Tochtergesellschaft, der SWD, betroffen. Das hängt davon ab, wie das Gesetz genau ausgestaltet wird. Wir haben 2022 auch durch Redispatch und Netzreserven sehr hohe Einmalbelastungen. Ebenso wissen wir nicht, wie es sich im Vertrieb bei den Endkunden und deren Zahlungsfähigkeit im Jahresverlauf noch weiterentwickeln wird.

Beobachten Sie denn jetzt schon öfter als vor einem Jahr, dass Kunden nicht zahlen?

Aktuell sehen wird das nicht. Weder bei Unternehmen noch bei Privatkunden. Man muss allerdings auch sagen: Gerade wir als EnBW haben im Vergleich zu anderen unsere Gaspreise bisher noch nicht ganz so stark erhöht, was sicherlich daran liegt, dass wir auch vorausschauend, längerfristig Gas beschafft haben. Aber bei einer unveränderten Entwicklung werden auch wir es schwer haben, diese gestiegenen Beschaffungspreise nicht weiterzureichen.

Von Seiten des Gesetzgebers ist sogar erwünscht, dass das Preissignal wirkt und dazu führt, dass die Verbraucher, sowohl die Unternehmen als auch die Privaten, weniger verbrauchen.

Gut, das ist ein politischer Wunsch. Bei uns geht es um die wirtschaftliche Betrachtungsweise, allerdings im­mer vor dem Hintergrund einer großen gesellschaftlichen Verantwortung, der wir uns als Energieunternehmen sehr bewusst sind. Durch unsere langfristige Beschaffungspolitik, mit der wir uns weit im Voraus eindecken, sind die Kunden bei uns ganz kurzfristig nicht in dem Maße betroffen.

Wie beurteilen Sie die neuen EU-Taxonomie-Regeln­, die Investments in Kernenergie und Erdgas als nachhaltig einstufen?

Die Regelungen in der Taxonomie-Verordnung sind keine Carte blanche für Kernenergie und Gaskraftwerke zur Anerkennung als nachhaltige wirtschaftliche Aktivität, sondern es sind ganz enge Rahmen gesteckt. Es geht darum sicherzustellen, dass Gas als Übergangstechnik den Wandel des Energiesystems zur CO2-freien Erzeugung unterstützt.

Im Rahmen des delegierten Rechtsaktes zählt Gas als nachhaltige wirtschaftliche Aktivität, wenn dadurch ein Kohlekraftwerk ersetzt wird und unmittelbar eine deutliche Reduzierung des CO2-Footprints sichergestellt wird.

Richtig. Es ist auch so, dass Emissionsgrenzen, die im delegierten Rechtsakt vorgegeben werden, es eigentlich nur erlauben, wenn gleichzeitig auch eine KWK-Anlage damit verbunden ist und also Wärme ausgekoppelt wird.

Ein rein stromgeführtes Gaskraftwerk, das auch ein Neubau sein muss, reicht allein nicht aus.

Das würde die Anforderungen des delegierten Rechtsaktes an Emissionsgrenzen nicht erfüllen. Hinzu kommt, dass es ganz klar als Übergangstechnologie dargestellt wird. Bis 2030 muss ein Bauantrag gestellt sein, ab 2036 muss dann komplett auf Wasserstoff umgestellt werden.

Halten Sie das für sinnvoll?

Ja. Wir werden in Deutschland die Dekarbonisierung des Energiesystems nur dann hinbekommen, wenn wir massiv erneuerbare Energien ausbauen und gleichzeitig ein Back-up-System haben, damit wir, wenn der Wind nicht weht, wenn die Sonne nicht scheint, eine stabile Stromversorgung haben. Das können in Deutschland mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus Kernenergie und Kohle nur Gaskraftwerke sein, die dann schnellstmöglich auf grüne Gase oder Wasserstoff umgestellt werden.

Sind Sie in diesem Sinne mit der Taxonomie zufrieden?

Es ist, glaube ich, ein wichtiger Baustein, der es uns erlaubt, auch gegenüber Investoren deutlich zu machen, dass Gaskraftwerke Teil der Übergangsphase hin zu einem CO2-freien Energiesystem sind. Insofern ist es wichtig. Wenn Gas nicht taxonomiekonform gewesen wäre, hätte ich durchaus das Risiko gesehen, dass unsere Gesamtinvestitionen davon betroffen sind.

Investoren hätten sich gezwungen gesehen, nicht in das Unternehmen EnBW zu investieren, weil ihre Geschäfte nicht als taxonomiekonform gegolten hätten?

Ja. Wenn wir auf die signifikanten Investitionsmöglichkeiten aus unserem bestehenden Portfolio heraus blicken, reden wir über Investitionsmöglichkeiten von über 40 Mrd. Euro zwischen 2020 und 2030 bezogen auf alle Aktivitäten. Und wenn ich speziell mal den Ersatz von Kohle durch Gas anschaue, da reden wir über eine Größenordnung von bis zu 1,5 Mrd. Euro. Also nur circa 3% der Gesamtinvestitionssumme – und dennoch wären alle Investitionen negativ betroffen gewesen. Ein eingeschränkter Zugang zum Kapitalmarkt wäre für die Energiewende und für das, was wir uns als Investition und Wachstum vorgenommen haben, hinderlich. Es würde insgesamt den Übergang zum CO2-freien Energiesystem behindern.

Ist Ihnen diese Sorge nun genommen?

Es wird immer noch Investoren geben, die sehr schwarz-weiß darauf schauen, aber das dürfte die Minderheit sein. Es wird erkannt, dass die EU-Kommission mit ihrem Plan, mehr privates Kapital in nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten zu lenken, immer von einem Übergang in eine CO2-freie Wirtschaft gesprochen hat und nicht von einem plötzlichen Umschalten, weil klar war, dass das technisch wie auch wirtschaftlich nicht machbar und sinnvoll ist. So entspricht das, was entschieden wurde, dem ursprünglichen Gedanken der Taxonomie und den Bestrebungen der EU-Kommission.

Werden der Krieg in der Ukraine und die verringerten Gasimporte die Dekarbonisierung des Energiesektors in Deutschland beschleunigen oder bremsen?

Es wird aus meiner Sicht ganz klar zu einer deutlich schnelleren Dekarbonisierung des Energiesystems und einer deutlichen Beschleunigung beim Ausbau der erneuerbaren Energien beitragen.

Warum?

Bisher stand der Ausbau der erneuerbaren Energien sehr im Zu­sammenhang mit Klimaschutz. Und das ist auch weiterhin so. Es wird aber immer mehr deutlich, gerade durch den Krieg in der Ukraine, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien auch der Versorgungssicherheit dient. Er macht uns unabhängiger vom Import fossiler Brennstoffe, was inzwischen ein zentrales erklärtes Ziel ist. Das führt wahrscheinlich dazu, dass das Gesamtsystem noch deutlich schneller umgebaut wird, als wir uns das noch vor einem halben Jahr hätten vorstellen können.

Wie schnell wird das gehen?

Wir haben im Moment ein Gesetz, das den Kohleausstieg auf das Jahr 2038 festlegt. Wenn wir jetzt auch Gaskraftwerke bauen können, bekommen wir den Kohleausstieg schneller hin. Vielleicht sogar schon bis 2030. Das hängt von den Rahmenbedingungen ab. Erstens muss der Ausbau der erneuerbaren Energien entsprechend schnell nach oben gefahren werden, und zweitens müssen wir dazu in der Lage sein, Kohle durch Gaskraftwerke zu ersetzen, die perspektivisch mit CO2-freien Gasen und Wasserstoff betrieben werden.

Stellt sich EnBW auf den Kohleausstieg 2030 ein?

Wir halten uns zunächst mal an den gesetzlichen Rahmen, aber unsere Kraftwerke gehen nach heutiger Planung auch schon deutlich vor 2038 vom Netz. Wenn wir dazu in der Lage sind, die Gaskraftwerke zu bauen, die wir jetzt vorgesehen haben, könnten wir uns vorstellen, dass wir das schneller hinbekommen. Ob es dann 2030 ist, muss man sehen.

Das Interview führte

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