IM BLICKFELD

End of Windkraft

Von Stefan Paravicini, Berlin Börsen-Zeitung, 28.11.2019 "End of Landschaft" lautet der Titel eines windkraftkritischen Dokumentarfilms, mit dem Gegner des Windkraftausbaus in Deutschland Stimmung machen - und das mit Erfolg. Im laufenden Jahr ist...

End of Windkraft

Von Stefan Paravicini, Berlin”End of Landschaft” lautet der Titel eines windkraftkritischen Dokumentarfilms, mit dem Gegner des Windkraftausbaus in Deutschland Stimmung machen – und das mit Erfolg. Im laufenden Jahr ist der Zubau von Onshore-Windkraftanlagen fast gänzlich zum Stillstand gekommen (siehe Grafik). Im ersten Halbjahr wurden bundesweit nur noch 35 neue Windräder in Betrieb genommen, während es im Vergleichszeitraum das Fünffache war. Das entspricht einer Kapazität von nur noch 231 Megawatt. Um die Ausbauziele der Bundesregierung für erneuerbare Energien zu schaffen, die bis 2030 fast zwei Drittel zur Stromerzeugung beitragen und die Einhaltung der Klimaziele sicherstellen sollen, müssten nach Einschätzung der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende jedes Jahr 4 000 Megawatt auf dem Festland zugebaut werden. Abstand zur NachbarschaftDoch eine Trendwende ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil. Nach Einschätzung vieler Branchenvertreter droht wegen der Vereinbarung eines pauschalen Mindestabstands von 1 000 Metern zwischen Windkraftanlagen und Wohngebäuden im Rahmen des Klimapakets der Bundesregierung statt dem Ende der Landschaft eher das Ende der Onshore-Windkraft in Deutschland. Das gilt erst recht, seit bekannt geworden ist, dass das Bundeswirtschaftsministerium plant, diesen Abstand schon für Siedlungen ab fünf bestehenden oder geplanten Wohnhäusern zur Anwendung zu bringen, während sich das SPD-geführte Umweltministerium dagegenstellt.”Statt Blockaden zu lösen, werden neue Restriktionen aufgebaut”, kritisierte Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands Windenergie (BWE), bereits Anfang November. Erst in der vergangenen Woche ist ein weiterer Windgipfel im Bundeswirtschaftsministerium ohne zählbare Ergebnisse zu Ende gegangen. Am Freitag unternehmen Albers und Wolfgang von Geldern, Vorstandsvorsitzender des Wirtschaftsverbands Windkraftwerke, zusammen mit Hans-Dieter Kettwig, Geschäftsführer des größten deutschen Windradherstellers Enercon, der gerade den Abbau von bis zu 3 000 Stellen angekündigt hat, und Dirk Güsewell, Leiter Erzeugung Portfolioentwicklung von EnBW, einen neuen Anlauf in Berlin. Gemeinsam haben sie unter dem Titel “Erneuerbare Energien als Standortvorteil für die deutsche Industrie” in die Bundespressekonferenz eingeladen und werden hier “Sofortmaßnahmen gegen die Windenergiekrise” fordern.Der neue Vorstoß wird politisch flankiert von Stephan Weil, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen (SPD), Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern (SPD), und Daniel Günther, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein (CDU), die zusammen mit Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg (SPD), und Andreas Bovenschulte, Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen (SPD), unter dem Titel “Zukunft der Windenergie” morgen Vormittag ebenfalls in die Bundespressekonferenz eingeladen haben.Unterstützung hat die Branche in den vergangenen Tagen auch von zwei Studien zum Thema erhalten. So kommt die Forschungsstelle für Energiewirtschaft in München (FfE) in einer Analyse des aktuellen Gesetzesentwurfs der CDU zu dem Schluss, dass die darin enthaltenen Abstandsregelungen das Ziel, bis zum Jahr 2030 mindestens 65 % des Strombedarfs über erneuerbare Energien zu decken, “erheblich erschweren”. Denn sie würden nach Einschätzung der FfE nicht nur das Flächenpotenzial für den weiteren Ausbau an Land um bis zu 20 % verringern, sondern auch fast die Hälfte der bereits installierten Anlagen betreffen.Eine Studie des Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam bewertet die geplanten Abstandsregeln noch kritischer. Ein pauschaler Mindestabstand von 1 000 Metern werde den weiteren Ausbau von Windenergie “praktisch komplett zum Erliegen bringen”, heißt es hier. “Damit gefährdet diese Regelung die Energiewende – und insbesondere gefährdet sie den Kohleausstieg, da sich der durch Kohle erzeugte Strom so schwerer durch erneuerbaren Strom ersetzen lässt.” Belastung für KanzlerschaftDas Ausbaupotenzial der Windkraft würde mit 1 000 Metern Mindestabstand auf eine Kapazität von 35 bis 52 Gigawatt (GW) begrenzt, so dass die bis 2030 angepeilten 86 GW installierter Windkraftkapazität außer Reichweite lägen (siehe Grafik). Den Ausbau der Windkraft zum tragenden Pfeiler der klimaneutralen Stromversorgung im Einklang mit den Zielen bis 2050 sehen die Studienautoren mit einem Mindestabstand von maximal 600 Metern vereinbar. “Es wird nicht reichen, dass die Menschen in der Stadt denen auf dem Land erklären, wie das mit dem Windkraftausbau zu funktionieren hat”, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Rahmen der Haushaltsdebatte am Mittwoch hinsichtlich des Streits um die Abstandsregeln. Für die CDU geht es beim Blick auf die Akzeptanz für die Windkraft in der Bevölkerung halt immer auch ein bisschen um ein mögliches “End of Kanzlerschaft”.