Autoindustrie

Ende des Verbrenners nur noch eine Frage der Zeit

Die deutschen Autohersteller stellen sich aufgrund des Klimawandels schneller auf die Elektromobilität um. Wenngleich BMW, Daimler und Volkswagen das Neugeschäft mit dem Verbrenner noch für einen Übergang benötigen, zeichnet sich das Ende der herkömmlichen Antriebsform ab.

Ende des Verbrenners nur noch eine Frage der Zeit

Von Stefan Kroneck, München, und Carsten Steevens, Hamburg

Als die EU-Kommission ihr ambitioniertes Maßnahmenpaket zur Klimaneutralität in der Staaten-Gemeinschaft Mitte Juli vorstellte, war für die Branche endgültig klar, wohin die Reise geht. Die Brüsseler Behörde will, dass die Emission umweltschädlicher Abgase aus fossilen Brennstoffen von Pkw-Neuwagen bis 2035 auf null heruntergefahren wird. Für den bedeutenden Wirtschaftszweig des größten EU-Landes bedeutet das, dass zumindest im Verbund der 27 Mitgliedstaaten der Verbrenner und Plug-in-Hybride Auslaufmodelle sein werden, sofern sich die Behörde mit ihren Vorstellungen durchsetzt.

Druck nimmt zu

Doch auch angesichts der von Kohlendioxidabgasen verstärkten Treibhauseffekte wächst auf die Autobauer der Druck, ihre Transformation zur Elektromobilität zu beschleunigen. Sie haben kaum eine andere Wahl. Dabei ziehen BMW, Daimler und Volkswagen nahezu in die gleiche Richtung, wenngleich mit unterschiedlichen Nuancen. Ungeachtet der geplanten EU-Vorgabe ist das Ende des Verbrenners eine Frage der Zeit. Denn zuvor zeigte sich, dass stetig strengere Emissionsauflagen des Regulators in der EU-Verwaltungshauptstadt wirken. In den vergangenen Jahren fuhren die Hersteller dadurch den CO2-Ausstoß von Neuwagen in der EU deutlich zurück (vgl. Grafik). Das Trio schichtet sukzessive ihr Angebot auf Elektroautos um, um drohende Strafen aus Brüssel bei Verfehlungen zu vermeiden. Infolge des ehrgeizigen Zeitfensters wird sich der Umbau beschleunigen – auch mit Hilfe staatlicher Kaufanreize für elektrifizierte Fahrzeuge.

Ungeachtet dessen treiben die drei Dax-Konzerne ihre Transformation zügig voran, um das Feld nicht aufstrebenden Konkurrenten wie Tesla zu überlassen. Das erhöhte Tempo im Wechsel zu Elektroautos erfordert mehr zusätzliche Investitionen. Das drückt tendenziell auf die Marge. Die Hersteller sind daher gezwungen, noch stärker an der Kostenschraube zu drehen. BMW, Daimler und Volkswagen drücken die Fixkosten, um ihre Renditeziele einzuhalten. Bei Verbrennern reduzierten sie unter anderem die Variantenvielfalt. Das spart Geld.

Devise: Kosten senken

Im Volkswagen-Konzern sollen die Fixkosten bis 2023 um 5% verglichen mit dem letztjährigen Niveau gedrückt werden, die Materialkosten um 7%. Europas größter Fahrzeugbauer hat sich fest vorgenommen, den Wandel aus eigener Kraft zu stemmen – ohne dass die Rentabilität darunter leidet. Um einen Prozentpunkt auf 8 bis 9% erhöhten die Wolfsburger gerade die Zielspanne für die operative Umsatzrendite bis 2025. Bis dahin sieht die aktuelle Planungsrunde Investitionen von 35 Mrd. Euro in die Elektromobilität, von 11 Mrd. Euro in die Hybridisierung des Modellangebots sowie von 27 Mrd. Euro in das Schlüsselthema Digitalisierung vor. Damit reserviert Volkswagen inzwischen die Hälfte der Ausgaben für Sachanlagen sowie Forschung und Entwicklung für Zukunftstechnologien.

Um den Umbruch zu finanzieren, müssen hohe Cash-flows erwirtschaftet werden. Die Verbrenner spielen in diesem Zusammenhang bis auf Weiteres noch eine erhebliche Rolle. Bei Volkswagen geht man aber davon aus, dass der Verbrennermarkt in den kommenden zehn Jahren schrittweise um mehr als 20% schrumpfen wird. Darum muss die Effizienz in diesem Geschäft weiter gesteigert werden. Die Annahmen derzeit lauten: Die Margen des Konzerns in der E-Mobilität und im Verbrennergeschäft werden bereits in zwei bis drei Jahren dasselbe Niveau erreichen. Bis 2030, so prognostiziert Vorstandschef Herbert Diess, wird der weltweite Markt für Elektrofahrzeuge die Verbrenner auch beim Absatz eingeholt haben. „E-Autos werden dann deutlich günstiger als Verbrenner sein.“

Die schnelle Ausweitung des Angebots an elektrifizierten Fahrzeugen ist auch mit Blick auf die regulatorischen Vorgaben von großer Bedeutung. Im vergangenen Jahr konnte Volkswagen zwar den CO2-Durchschnitt der Pkw-Neuwagenflotte um 20% verglichen mit 2019 reduzieren, das Flottenziel in der EU aber wurde verfehlt. In diesem Jahr soll es erreicht werden. Bei der Kernmarke VW Pkw, die aus heutiger Sicht 2026 den letzten neuen Verbrenner in den Markt bringen will, sowie bei den Marken Audi, Cupra/Seat und Skoda ist dafür die Einführung weiterer E-Modelle geplant. Auf die Verschärfung von CO2-Flottengrenzwerten durch die Regulatoren, etwa im Zuge des gerade vorgestellten Klimapakets „Fit for 55“ der Europäischen Kommission, reagiert man in Wolfsburg gelassen: In der neuen Konzernstrategie sei sie bereits unterstellt, heißt es.

Katalysator Dieselbetrug

Schon länger ist für den Volkswagen-Chef klar, dass nur mit Elektromobilität die CO2-Emissionen in den kommenden zehn Jahren signifikant zu senken sind. Vergleichsweise früh – der 2015 aufgeflogene Dieselabgasskandal wirkte hier wie ein Katalysator – stellte der Konzern daher die Weichen mit dem Ziel, Weltmarktführer für E-Fahrzeuge zu werden. Im ersten Halbjahr wurden bei einem Marktanteil von 26% zumindest in Europa mehr E-Autos verkauft als von jedem anderen Hersteller.

Eine technologische Vorreiterrolle in der Strategie von Diess übernimmt im VW-Reich Audi. Vor diesem Hintergrund war es wohlkalkuliert, dass Audi-Vorstandschef Markus Duesmann bereits Wochen bevor der VW-Lenker weitere Eckpfeiler seines Elektrokurses verkündete, den schrittweisen Ausstieg der Ingolstädter Konzerntochter aus Verbrennern erklären ließ. Mit dem beschleunigten Tempo ins Elektrozeitalter versucht der Audi-CEO, dem Werbeslogan des kleineren BMW-Rivalen im Premiumsegment eine glaubwürdige Strahlkraft zu geben. Das Motto „Vorsprung durch Technik“ wirkte infolge der Dieselabgasmanipulationen nicht mehr überzeugend.

Entwicklungsschmiede

Der Dieselskandal hat dem Image von Audi immens geschadet. Für den VW-Chef ist Duesmann daher eine Schlüsselfigur im Elektrokonzept und Diess knüpft mit diesem Schritt an eine Tradition des Wolfsburger Mehrmarkenkonzerns an: Trotz der Betrugsaffäre bleibt Audi die Technologie-Entwicklungsschmiede der VW-Gruppe. In dieser Transformation plant Duesmann, die Produktion des letzten Audi-Modells mit Verbrennungsmotor im Jahr 2026 zu starten. Die Fertigung werde in der nachfolgenden Dekade auslaufen. Auf diesem Weg ähnelt Audi im Ansatz den Wettbewerbern Mercedes-Benz Cars und BMW. Die Ingolstädter erweckten dabei zuletzt aber den Eindruck, als würden sie radikaler vorgehen.

Hinter diesem Ansatz steckt ein ökonomisches Kalkül der Hersteller: Die erwirtschafteten Gewinne und Mittelzuflüsse aus dem herkömmlichen Geschäft mit Diesel- und Benzinfahrzeugen sollen bei allen den Übergang zur Elektromobilität finanzieren. Auch BMW und Daimler gehen diesen Weg, um die Transformation aus eigener Kraft zu stemmen. So bleibt das Verbrennergeschäft bis Ende dieses Jahrzehnts ein wichtiger Ergebnisbringer, wenngleich der Anteil des Geschäfts mit herkömmlichen Antrieben schrumpft und parallel E-Modelle in der Fertigung hochlaufen.

Anderer Ansatz

Anders als Volkswagen und Daimler sah sich BMW bisher aber nicht genötigt, die eigene Elektrostrategie nochmals zu beschleunigen. Trotz des erhöhten Drucks von Seiten der EU-Kommission setzt Konzernchef Oliver Zipse nach wie vor auf ein mehrgleisiges Konzept. Zipse, zugleich Präsident des Europäischen Autoherstellerverbands (Acea), verfolgt weiterhin den Ansatz einer „Technologieoffenheit“. Das heißt, BMW produziert Fahrzeuge mit Elektromotoren und herkömmlichen Antrieben so lange auf einem Band, wie es der Nachfrage entspricht.

Sollten Benziner- und Dieselautos nicht mehr begehrt sein, würde auch BMW die Konsequenzen ziehen: Die Münchner würden dann in Europa komplett auf E-Fahrzeuge umstellen. Der weiß-blaue Dax-Konzern will sich dadurch eine Flexibilität in seinem weltweiten Fertigungsnetz sichern. Denn in manchen Märkten sind die Regulatoren noch lange nicht so konsequent wie in der EU. Das heißt, BMW verkauft dort so lange Autos mit modernen Verbrennungsmotoren, wie es geht. Sollte das Konzept der EU-Kommission im Politikbetrieb der Gemeinschaft an Fahrt aufnehmen, könnte sich auch Zipse dem nicht widersetzen. Das bedeutet, dass auch BMW sich nach dem vorgesehenen Zeitplan von Brüssel ebenfalls richten müsste.

Die EU will mit Dirigismus verbindliche Vorgaben setzen. Zipse setzt jedoch auf einen Kurs, der auf die freien Marktkräfte von Angebot und Nachfrage baut. Damit steht er auf einer Linie mit Daimler-CEO Ola Källenius, wenngleich man sich bei Mercedes-Benz Cars auf ein rascheres Ende des Verbrenners einstellt. Zipse warnte davor, zu früh komplett auf E-Autos umzustellen. Wer diesen Weg gehe, befände sich auf einem Schrumpfkurs, argumentiert er. Damit betont nicht zuletzt BMW die Rolle des Verbrennerabsatzes, um ausreichend Mittel für den Hochlauf des Geschäfts mit E-Fahrzeugen zu erwirtschaften. Ungeachtet dessen sieht man sich in München finanziell und organisatorisch gut vorbereitet, die Transformation in Europa nach den Brüsseler Plänen zu meistern. Für BMW steht der Fahrplan: 2021 soll ein Viertel der in Europa verkauften Fahrzeuge einen elektrischen Antrieb haben, 2025 ein Drittel und 2030 die Hälfte.

Ausstiegsdatum offen

Derweil tritt Källenius in der Transformation mehr aufs Gaspedal. Daimler steckt sich höhere Ziele für Elektroautos. Ein Auslaufen des Verbrenners sei bis Ende der laufenden Dekade möglich, heißt es in Stuttgart. Auf ein genaues Datum will man sich bei Mercedes-Benz Cars aber wie in München nicht festlegen lassen. Wie BMW machen die Schwaben die komplette Umstellung auf E-Antrieb von der Nachfrage abhängig. „Der Wendepunkt rückt näher, und wir werden bereit sein, wenn die Märkte bis zum Ende des Jahrzehnts vollständig auf Elektroautos umstellen“, so Källenius. Ein Absatzziel für reine Elektroautos nannte Mercedes-Benz Cars & Vans nicht, verdoppelte aber den erwarteten Anteil elektrifizierter Fahrzeuge für 2025 auf 50%.

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