Atom- und Kohlestrom

Energiewende kommt auf den Prüfstand

In Berlin und in den Bundesländern ist eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke angesichts der Ukraine-Krise kein Tabu mehr. Aber alle Planungen waren für das Ende der Kernkraft Ende 2022 ausgelegt.

Energiewende kommt auf den Prüfstand

cru Frankfurt

Um die große Ab­hängigkeit von russischen Gaslie­ferungen zu reduzieren, prüfen Bundes­regierung und Bundesländer die Möglichkeit längerer Laufzeiten von Kohle- und Atomkraftwerken in Deutschland. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schließt längere Laufzeiten für deutsche Atomkraftwerke angesichts drohender Versorgungsengpässe mit Energie nicht aus. Eigentlich sollte zum Jahresende das letzte Kernkraftwerk in Deutschland vom Netz gehen.

Doch längere Laufzeiten werfen komplizierte rechtliche, technische und finanzielle Fragen auf. Einfach wäre das Vorhaben nicht: „Es gibt eine klare gesetzliche Regelung zur Abschaltung der Kernkraftwerke“, sagte ein RWE-Sprecher der Börsen-Zeitung. „Unser Kraftwerk in Emsland ist auf den Auslaufbetrieb zum Ende des Jahres ausgerichtet, zu dem Zeitpunkt wird der Brennstoff aufgebraucht sein.“

Ein Weiterbetrieb wäre laut RWE – anders als etwa bei Kohlekraftwerken – ohne weiteres nicht machbar, dafür gebe es „extrem hohe Hürden, sowohl technisch als auch genehmigungsrechtlich“. „Dass die Bundesregierung in dieser ernsten Situation alle Versorgungsoptionen prüft, können wir nachvollziehen.“

Noch drei Meiler am Netz

Derzeit laufen noch drei Atomkraftwerke: Emsland in Niedersachsen, Neckarwestheim II in Baden-Württemberg sowie Isar II in Bayern. Sie decken etwa 10% des deutschen Stromverbrauchs. Für den Weiterbetrieb müsste das Atomgesetz geändert werden. In Paragraf 7 ist das Enddatum 31.12.2022 festgelegt. Der Atomausstieg ist in Verträgen der Regierung mit den Betreibern geregelt, wo die Daten auch hinterlegt sind. Auch diese müssten aufgelöst und neu verhandelt werden.

Unter anderem die Bundesländer treten nach den Worten des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers Andreas Pinkwart für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ein: „Sowohl das Bundeswirtschaftsministerium als auch die Vertreter der Länder haben deutlich gemacht, (…) dass wir kurzfristig ohne Denkverbote und Tabus prüfen müssen“, sagte Pinkwart am Montag nach Beratungen mit seinen Amtskollegen. Eine weitere Nutzung der Atomkraft könne „nur eine Ultima Ratio sein, aber wir müssen sie bedenken“, sagte der FDP-Politiker. „Wir müssen alles tun, um uns von der hohen Abhängigkeit vom Gas ein Stück weit zu befreien.“ Dazu zähle auch ein möglicherweise längeres Festhalten an Braun- und Steinkohle. Steinkohleblöcke in NRW könnten etwa länger am Netz bleiben.

Pinkwart: Bundesländer dafür

Priorität habe aber der massive Ausbau der erneuerbaren Energien, sagte der Minister weiter. Gefahren bei der Versorgungssicherheit müssten beim Kohleausstieg vermieden werden, die Bundesnetzagentur müsse prüfen, ob Kohle-Blöcke in der aktuellen Situation weiter vorgehalten werden müssten.

Zuvor hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gesagt, er werde eine weitere Nutzung der Atomenergie in Deutschland nicht „ideologisch abwehren“. Eine Vorprüfung habe aber ergeben, dass die Atomkraft nicht helfen werde. Die drei deutschen Energiekonzerne Eon, RWE und EnBW hatten am Samstag die Idee einer Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke zurückgewiesen.

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