RECHT UND KAPITALMARKT

Entscheidung im Statusverfahren der Deutschen Börse verunsichert

Ausländische Arbeitnehmer könnten bald bei den Schwellenwerten mitzählen

Entscheidung im Statusverfahren der Deutschen Börse verunsichert

Von Frank-Karl Heuchemer und Andreas Kössel *)Das Landgericht Frankfurt hat in einem gegen die Deutsche Börse geführten Statusverfahren am 16. Februar 2015 (3-16 O1/14) entschieden, dass auch Arbeitnehmer von im Ausland gelegenen Konzerngesellschaften berücksichtigt werden müssen, wenn es um die Ermittlung der Unternehmensgröße im Zusammenhang mit der Unternehmensmitbestimmung geht.Nach der noch nicht rechtskräftigen Entscheidung darf die in Deutschland ansässige Konzernmuttergesellschaft Deutsche Börse AG demnach bei der Festlegung des Mitbestimmungsregimes von ihren insgesamt 3 590 Arbeitnehmern nicht nur die 1 624 Arbeitnehmer in Deutschland berücksichtigen, sondern muss auch die bei ausländischen Konzerngesellschaften angestellten Mitarbeiter dazurechnen. Damit überschreitet der Konzern die für die Abgrenzung zwischen der Drittelbeteiligung und der paritätischen Mitbestimmung relevante Schwelle von 2 000 Arbeitnehmern. Der Aufsichtsrat der Deutschen Börse ist somit nach Auffassung des Gerichts falsch besetzt, da nicht nur ein Drittel, sondern die Hälfte der Sitze Arbeitnehmervertretern zustehe. Weg vom TerritorialprinzipMit diesem überraschenden Beschluss stellt sich das Landgericht Frankfurt gegen die bisher herrschende Rechtsauffassung und die Gesetzesmaterialien zum Mitbestimmungsgesetz. Danach beschränkt sich das Mitbestimmungsgesetz und das Drittelbeteiligungsgesetz aufgrund des bislang allgemein anerkannten “Territorialitätsprinzips” grundsätzlich auf inländische Unternehmen und erfasst nicht solche Unternehmen, die nach ausländischem Recht errichtet wurden und ihren Verwaltungssitz im Ausland haben.Bisher mussten zum Beispiel deutsche Unternehmen mit weniger als 2 000 Mitarbeitern im Inland keinen Aufsichtsrat nach den Regeln des Mitbestimmungsgesetzes bilden, unabhängig von der Zahl der Arbeitnehmer des Konzerns in ausländischen Tochtergesellschaften. Nach Auffassung des Landgerichts Frankfurt gilt dies nun nicht mehr. Der Wortlaut des Mitbestimmungsgesetzes – und auch des Drittelbeteiligungsgesetzes – nehme an keiner Stelle im Ausland Beschäftigte von der Mitbestimmung aus. Im KonzernrechtAuch enthielten weder das Mitbestimmungsgesetz noch das Drittelbeteiligungsgesetz eine diesbezügliche Regelung, sondern verwiesen hinsichtlich der zu berücksichtigenden Arbeitnehmer schlicht auf die Regelungen über den Konzern in § 18 Abs. 1 AktG. Hinsichtlich dieser Regelung sei aber nicht fraglich, dass zum Konzern auch ausländische Unternehmen zählen können. Maßgeblich sei allein das Abhängigkeitsverhältnis im Sinne von § 17 AktG. Insofern könne nach dieser streng konzernrechtlichen Betrachtungsweise nicht von einem Territorialitätsprinzip im Recht der Unternehmensmitbestimmung ausgegangen werden. Zudem sei eine andere Behandlung der Unternehmen im europäischen Ausland auch ein Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot und würde letztlich zu Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn die Unternehmensmitbestimmung nicht in grenzüberschreitend tätigen Konzernen gelte.Wenn auch noch nicht rechtskräftig, sorgt der Beschluss des Landgerichts Frankfurt für erhebliche Verunsicherung. Insbesondere Gesellschaften mit konzernüberschreitenden Strukturen werden den Ausgang des Verfahrens durch die Rechtsmittelinstanzen mit Spannung erwarten. Sollte der erstinstanzliche Beschluss rechtskräftig bestätigt werden, kann er weitreichende Verwerfungen in der Mitbestimmungslandschaft der Unternehmen zur Folge haben. Gesellschaften, die sich bislang mitbestimmungsfrei oder im Anwendungsbereich des Drittelbeteiligungsgesetzes wähnten, müssen prüfen, ob sie bei Berücksichtigung ihrer Mitarbeiter in ausländischen Konzerngesellschaften eine der relevanten Belegschaftsschwellenwerte des Mitbestimmungsrechts überschreiten. Ist dies der Fall, sollten kurzfristig Maßnahmen zur Optimierung der mitbestimmungsrechtlichen Situation im Konzern erwogen werden. Als probates Mittel zur Mitbestimmungsgestaltung kommt unter anderem die Umwandlung in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) in Betracht. Mehr VerfahrenDabei ist angesichts der neuen Entscheidung allerdings zu bedenken, dass Statusverfahren, die bereits vor der SE-Gründung durchgeführt wurden, auch für das Verfahren der SE-Gründung von Bedeutung sein können. Durch eine gerichtliche Feststellung des mitbestimmungsrechtlichen Status schon vor SE-Gründung kann die Arbeitnehmerseite somit Einfluss auf das SE-Gründungsverfahren nehmen.Mit dem Beschluss des Landgerichts ist jedenfalls zu erwarten, dass insbesondere Gewerkschaften vermehrt durch Statusverfahren versuchen werden, eine Ausweitung der Unternehmensmitbestimmung zu erreichen und auf diesem Weg in den Fällen des Mitbestimmungsgesetzes Sitze in Aufsichtsräten zu besetzen.—-*) Frank-Karl Heuchemer und Andreas Kössel sind Arbeitsrechtler bei White & Case.