RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: DIRK JANNOTT UND PAUL RODE

Erste deutsche Genossenschaft geht in europäische Rechtsform

In Grundzügen ähnliches Verfahren wie bei der Kapitalgesellschaft

Erste deutsche Genossenschaft geht in europäische Rechtsform

– Herr Dr. Jannott, Herr Rode, Sie haben Westfleisch als erste deutsche Genossenschaft bei der Umwandlung in die europäische Rechtsform Societas Cooperativa Europaea (SCE) beraten. Welches Ziel verfolgt das Unternehmen?Jannott: Viele Unternehmen stehen vor der Aufgabe fortschreitender Internationalisierung, so auch in der Fleischwirtschaft. Westfleisch ging es in erster Linie darum, die europäische Unternehmenskultur und internationale Ausrichtung auch in der Rechtsform widerzuspiegeln.- Was ist die größte Hürde für die Umwandlung in eine SCE?Jannott: Die Genossenschaft muss seit mindestens zwei Jahren eine Niederlassung oder Tochter in einem anderen Mitgliedstaat haben. Praktisch kommt es vor allem auf eine gute Vorbereitung sowie eine umfassende Kommunikation an. Entscheidend ist hier, alle Mitglieder und Arbeitnehmer für die neue Rechtsform zu begeistern. Eine Herausforderung ergibt sich aus dem noch wenig etablierten SCE-Recht selbst. Wie bei der SE besteht der Rechtsrahmen der SCE aus dem – nicht immer ganz perfekten – Zusammenspiel europarechtlicher und deutscher Bestimmungen.- Inwieweit ist das Verfahren vergleichbar mit der Umwandlung in eine Europa AG, also SE?Rode: In seinen Grundzügen ist das Verfahren bei der SCE weitgehend identisch. Im Detail ergeben sich allerdings Unterschiede, die durch die – im Vergleich zu einer Aktiengesellschaft – andere Struktur und Verfassung einer Genossenschaft bedingt sind. Das Genossenschaftsrecht ist nach wie vor stark geprägt durch Leitgedanken des Genossenschaftswesens: Bedarfsdeckung und Förderung der Mitglieder, kooperatives Zusammenwirken, Selbstorganisation, “one-man-one-vote”. In der Regel bestehen neben der Mitgliedschaft Leistungsbeziehungen zwischen den Mitgliedern und der Genossenschaft. Insofern gibt es strukturelle Unterschiede zur SE als klassischer Kapitalgesellschaft.- Die SE ist weit verbreitet, weshalb gilt das nicht für die SCE?Rode: Auch die SE stieß am Anfang auf Zurückhaltung, nahm dann aber Fahrt auf. Bei der SCE hat es etwas länger gedauert. Wir vermuten, dass dies an der Natur der Unternehmen liegt. Viele Genossenschaften, etwa im Agrar- oder Wohnungsbausektor, stehen in einer stark regional geprägten Tradition, obwohl sie inzwischen hochmoderne und internationale Unternehmen sind. Die wichtigen Entscheidungen werden von den Mitgliedern getroffen, wobei grundsätzlich jedes Mitglied eine Stimme hat. Es gibt also typischerweise keine Großaktionäre, die eine Strukturveränderung forcieren könnten, etwa um ein Board angelsächsischer Prägung zu ermöglichen.- Rechnen Sie nach dem Eisbrecher Westfleisch mit mehr Interesse?Rode: Wir gehen davon aus, dass nun weitere Genossenschaften die Umwandlung betreiben werden. Es gibt in Deutschland 5 600 genossenschaftliche Unternehmen. Für viele von ihnen kann die SCE attraktiv sein. Neben der erwähnten Image-Wirkung sind vor allem die Wahl der Leitungsstruktur und die Flexibilisierung der Mitbestimmung ein Plus.- Könnte eine europäische Gesellschaftsform für Genossenschaftsbanken interessant sein?Jannott: In gewissen Grenzen sicher. Die Stärken der Genossenschaftsbanken – Sicherheit, Stabilität, Branchennähe, mitgliedschaftliche Einflussrechte der Kunden – lassen sich mit der Modernisierung der Rechtsform noch attraktiver in den Vordergrund rücken. Bei der Umwandlung sind selbstverständlich die bankaufsichtsrechtlichen Vorgaben zu beachten. Dies kann zum Beispiel zu Sonderfragen bei der Wahl des Board-Systems im Hinblick auf die fachliche Eignung der Verwaltungsratsmitglieder führen.—-Dr. Dirk Jannott ist Partner, Paul Caesar Rode ist Senior Associate von CMS Hasche Sigle. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.