ANSICHTSSACHE

Es droht ein Mehr an Bürokratie und Kosten

Börsen-Zeitung, 7.10.2014 Die Bedeutung und das Gewicht der europäischen Exekutive, wie der Europäischen Wertpapierbehörde ESMA und der EU-Kommission, haben im EU-Rechtsetzungsverfahren in den letzten Jahren stark zugenommen. Damit geht eine hohe...

Es droht ein Mehr an Bürokratie und Kosten

Die Bedeutung und das Gewicht der europäischen Exekutive, wie der Europäischen Wertpapierbehörde ESMA und der EU-Kommission, haben im EU-Rechtsetzungsverfahren in den letzten Jahren stark zugenommen. Damit geht eine hohe Verantwortung der Exekutive einher, die Intentionen des europäischen Gesetzgebers sorgfältig umzusetzen und mit den Exekutivmaßnahmen nicht über das gesetzlich intendierte Ziel hinauszuschießen. Die von der ESMA jetzt vorgelegten Regelungen zur Konkretisierung der Marktmissbrauchsverordnung, die bis Mitte Oktober konsultiert werden, lassen in dieser Hinsicht noch zu wünschen übrig. Detailverliebte ESMABetroffen sind vor allem die zentralen Kapitalmarktpflichten der Emittenten wie die Ad-hoc-Publizität, die Meldung von Aktiengeschäften von Führungskräften (Directors’ Dealings) und die Führung von Insiderlisten, die nach der Verabschiedung der Marktmissbrauchsverordnung nun ab Mitte 2016 europaweit gelten. Die umfassenden Vorgaben der ESMA lassen erhebliche Mehrbelastungen für die Emittenten erwarten, deren Zweck nicht einleuchtet.So will die ESMA bei Insiderlisten zukünftig zahlreiche zusätzliche Kommunikationsdaten wie private und geschäftliche E-Mail-Adressen und Telefonnummern einschließlich privater Mobilfunknummern einfordern. Insiderlisten müssen geführt werden, um Personen zu identifizieren, die qua Funktion oder wegen der Mitarbeit an sensiblen Projekten über Insiderwissen verfügen (können).Bisher enthalten die Listen im Wesentlichen nur Namen und Funktion des Insiders, seine dienstliche und private Adresse. Mit der Forderung nach der Erhebung von E-Mail-Adressen und Mobilfunknummern der betroffenen Mitarbeiter droht nicht nur ein Mehr an Bürokratie, sondern auch eine ganze Reihe rechtlicher und praktischer Probleme. So sind die zusätzlich geforderten Angaben in den Personalmanagementsystemen, die die technische Basis der Insiderliste bilden, gar nicht vorhanden. Sie müssten manuell nachgepflegt und aktualisiert werden, was einen enormen Zusatzaufwand nach sich ziehen würde. Dabei ist es datenschutzrechtlich bereits fraglich, ob Unternehmen private Kommunikationsdaten überhaupt erfragen dürfen. Dies alles gilt vor dem Hintergrund deutlich erweiterter Bußgelder für die betroffenen Unternehmen mit entsprechenden Risiken bei fehlerhaften Einträgen. Gegen den politischen WillenWenn die Anforderungen so kommen, werden sie erhebliche zusätzliche Compliance-Kosten und Rechtsunsicherheiten bei den Emittenten erzeugen. Ein Grund für diese Detailverliebtheit ist nicht ersichtlich. Schließlich haben die Behörden weitgehende Ermittlungsbefugnisse, wenn sich ein Anfangsverdacht auf Insiderhandel ergibt; Insiderlisten können dabei lediglich eine Ermittlungshilfe sein. Um diesen Zweck zu erfüllen, genügt es, Name und Funktion der Insider im Unternehmen aufzuführen. Der Detaillierungsgrad der Insiderlisten muss deutlich zurückgeschraubt werden. Alles andere widerspricht dem politischen Willen, der der Marktmissbrauchsverordnung zugrunde liegt. Nicht vergessen werden darf nämlich, dass zu Beginn der Revisionsarbeiten zur Marktmissbrauchsverordnung die Abschaffung der Insiderlisten zur Diskussion stand, um Unternehmen von Bürokratie zu entlasten. Jetzt droht das komplette Gegenteil.Ähnliche Probleme stellen sich bei der Ad-hoc-Publizität. Hier will die ESMA die Bedingungen, unter denen Emittenten sich von der Pflicht zur Veröffentlichung kursrelevanter Informationen selbst befreien können, offensichtlich sehr eng auslegen. Auch dies widerspräche der Intention des Gesetzgebers. Dieser räumt den Emittenten die Möglichkeit zur Selbstbefreiung bewusst ein, um beispielsweise M & A-Prozesse nicht zu gefährden. Würde sich die ESMA durchsetzen, wäre dies ein Bärendienst an den Emittenten. Anders als die BaFinZuletzt schießt die ESMA auch bei den Directors’ Dealings über das Ziel hinaus. Ähnlich wie bei den Insiderlisten reizt sie den Interpretationsspielraum der Marktmissbrauchsverordnung über Gebühr aus. So sollen künftig auch die Wertpapiergeschäfte einer Meldepflicht unterliegen, bei denen die fragliche Führungskraft nicht selbst aktiv wird, wie beispielsweise Zuteilungen von Aktien aus aktienbasierten Vergütungen, Erbschaften oder Schenkungen. Außerdem will die ESMA deutlich mehr Details über die Transaktionen erfahren als bislang. Dies folgt nicht der bisherigen Verwaltungspraxis der BaFin und entspricht auch nicht dem Sinn und Zweck von Directors’ Dealings. Diese sollen dem Markt eigentlich signalisieren, wie es um das Vertrauen der betreffenden Führungskraft in die künftige Entwicklung “ihres” Unternehmens bestellt ist. Passiven Geschäften fehlt eine solche Signalwirkung. Die ESMA-Vorschläge führen daher eher zur Verwirrung der Marktteilnehmer als zu mehr Markttransparenz. Praxistaugliche Lösung nötigDie europäischen Aufsichtsbehörden sind wie der EU-Gesetzgeber gefordert, die Kapitalmarktpflichten börsennotierter Unternehmen nicht um unnötige, bürokratische Vorschriften zu erweitern. Die Konkretisierung der Marktmissbrauchsverordnung ist hierfür ein wichtiger Testfall. Gelingt es nicht, bei Insiderlisten, Ad-hoc-Publizität und Directors’ Dealings praxistaugliche Regelungen zu finden, entstehen den Unternehmen massive Compliance-Risiken und Compliance-Kosten. Die Folge ist klar: Organisierte Kapitalmärkte verlieren weiter an Attraktivität – und dies, obwohl sich die Politik die Förderung der Risikokapitalfinanzierung auf die Fahnen geschrieben hat.——Dr. Christine Bortenlänger ist geschäftsführender Vorstand des Deutschen Aktieninstituts e. V. in Frankfurt.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von C. BortenlängerDie Wertpapierbehörde ESMA schießt mit der Marktmissbrauchsverordnung weit übers Ziel hinaus.——-