Im Gespräch: Martin Bastian, Houlihan Lokey

"Es ist nur eine Frage der Zeit"

Der Ölkonzern Adnoc aus Abu Dhabi mischt derzeit den Chemiemarkt auf, das Transaktionsgeschehen in der Branche ist aber insgesamt durch die unsichere Ertragslage gebremst. Die Pipeline sei jedoch gut gefüllt, sagt Martin Bastian, Chemie-Experte der Investmentbank Houlihan Lokey.

"Es ist nur eine Frage der Zeit"

Im Gespräch: Martin Bastian

"Es ist nur eine Frage der Zeit"

Der Chemie-Experte von Houlihan Lokey über Transaktionshürden in der Branche und strategische Optionen der Konzerne

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Der Ölkonzern Adnoc aus Abu Dhabi mischt derzeit den Chemiemarkt auf, das Transaktionsgeschehen in der Branche ist jedoch insgesamt durch die unsichere Ertragslage der Unternehmen gebremst. Die Pipeline sei gleichwohl gut gefüllt, sagt Martin Bastian, Chemie-Experte der Investmentbank Houlihan Lokey.

Die Chemieindustrie hat derzeit weltweit mit der Konjunkturflaute zu kämpfen. Die ungewisse Prognosesituation bremst die Konsolidierung in der Branche, gleichzeitig sinken die Bewertungen, was Transaktionen befördern könnte. In der Spezialchemie waren zuletzt einige Deals zu sehen. So hat der Finanzinvestor EQT jüngst bekannt gegeben, dass er den Desinfektionsmittelhersteller Schülke & Mayr an die Familie Strüngmann verkauft. Die Bewertung wird auf 1,4 Mrd. Euro geschätzt.

Pipeline gut gefüllt

Für weitere Transaktionen muss man über den Atlantik blicken. So hat jüngst der Finanzinvestor KKR den Erwerb des US-Spezialchemieunternehmens Chase für 1,3 Mrd. Dollar auf die Schiene gesetzt. Schon im Frühjahr hatte die Investmentfirma Apollo für 8 Mrd. Dollar den US-Chemikalienhändler Univar erworben, nachdem zuvor dessen Übernahme durch Brenntag geplatzt war. „Das war in dem momentanen Geschäfts- und Finanzierungsumfeld kein leichter Deal für Apollo“, sagt Martin Bastian, Managing Director und Head of Chemicals Europe der Investmentbank Houlihan Lokey. Das Segment sei historisch besonders attraktiv für Private-Equity-Häuser, weil die Chemikaliendistribution vergleichsweise stabilen Cashflow generiere und das Geschäft weniger kapitalintensiv sei im Vergleich zu produzierenden Betrieben.

Schwieriges Marktumfeld

Derzeit ist das M&A-Geschäft aufgrund des schwierigen Geschäftsumfeldes in der Branche von Zurückhaltung geprägt. „Es sind zwar auch in der Chemie viele Transaktionen in Vorbereitung, aber das Marktumfeld bremst Deals derzeit aus.“ Das dürfte bis Ende des Jahres, wenn nicht bis Anfang 2024 andauern, bis sich die Branche einigermaßen stabilisiert hat und ein zuverlässigerer Blick in die Zukunft wieder möglich ist, meint Bastian. Eingeleitete Verkaufsprozesse zögen sich hin – etwa beim Darmstädter Dax-Konzern Merck die Trennung vom Pigmentgeschäft. Käufer und Verkäufer warteten ab, bis sie sich ein klareres Bild über die Marktsituation im Jahr 2023 und den Ausblick 2024 verschaffen könnten. „Die Pipeline ist gefüllt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis es wieder losgeht“, sagt Bastian.

Adnoc am Ball

Die USA sind derzeit auf der Rohstoffseite sowie durch ein breiteres Geschäfts- und Investitionsumfeld leicht im Vorteil, was auch das M&A-Geschehen tangiert. Der Blick von US-Investoren gehe derzeit kaum beziehungsweise recht skeptisch nach Europa. Wenn die Phase des Abwartens auslaufe, werde es spannend sein, ob US-Adressen in Europa wieder zugreifen. Bastian geht davon aus, dass die Konsolidierung in der Chemie eher innerhalb Europas, dem Mittleren Osten beziehungsweise mit asiatischen und indischen Investoren betrieben wird. Mittelfristig könnte es seiner Einschätzung nach auch wieder mehr Interesse aus China geben, um Geschäft zu verbreitern und Kundenbeziehungen sowie Technologien und Prozess-Know-how einzukaufen.

Auch Indien werde aktiver mit Transaktionen. „Unter anderem sind die Bewertungen im indischen Markt relativ höher als in Europa, was zu Bewertungsarbitrage bei einer M&A-Transaktion einlädt“, sagt er. Auch südostasiatische Adressen etwa in Thailand und Malaysia hätten zuletzt Deals angestoßen. „Das könnte die Lücke zu China mit Blick auf die M&A-Aktivität schließen.“

Mehrere Steine ins Wasser geworfen hat der staatseigene Ölkonzern Adnoc aus Abu Dhabi. Hier schwelen seit Wochen Gerüchte über eine geplante Übernahmeofferte für den Kunststoffkonzern Covestro. Dieser mögliche Deal folgt der Logik, von der Petrochemie weiter downstream zu gehen. Der Zeitpunkt für einen Einstieg ist günstig, denn aktuell haben Anbieter wie Covestro und BASF aufgrund schwacher Nachfragesituation und hoher Rohmaterial- und Energiepreise erhebliche Profitabilitätsprobleme, was deren Bewertung senkt.

Bastian zieht zum Vergleich die Übernahme von GE Plastics heran. Der saudi-arabische Chemiekonzern Sabic hatte die Sparte 2013 für 11,6 Mrd. Dollar erworben. GE Plastics offerierte – im Rahmen einer vertikalen Expansion – international ein Sortiment von Kunststoffen für ein breites Anwendungsspektrum in Automobiltechnik, Gesundheitswesen, Unterhaltungselektronik, Transportwesen, im Hoch- und Tiefbau, in der Telekommunikation und im Bereich optische Medien.

Näher am Rohstoff

Adnoc verfolgt mit der Sondierung bei Covestro ebenfalls das Ziel, sich mit einem Target auseinanderzusetzen, dessen Geschäft näher am eigenen Rohstoff angesiedelt ist. Adnoc könnte mit Covestro nach Einschätzung von Bastian die Erlöse aus ihren Rohstoffreserven in der Chemie reinvestieren, also in einen der größten Endmärkte für die Verwendung von Öl und Gas. Gleichzeitig würde Adnoc ihre Produktpalette unter anderem um Polyurethane (Kunststoffe oder Kunstharze) und Polycarbonate (thermoplastische Kunststoffe) verbreitern. Bastian erinnert daran, dass es in der Vergangenheit auch schon immer wieder Gerüchte über Interesse an Covestro aus dem Mittleren Osten, genauso wie aus den USA und von Private Equity gegeben habe.

Mega-Deal mit OMV

Adnoc ist parallel zu den Avancen beim Dax-Konzern Covestro dabei, zusammen mit dem österreichischen Erdöl-, Erdgas- und Petrochemiekonzern OMV sowie den Chemieunternehmen Borealis und Borouge, an denen beide beteiligt sind, ein globales integriertes Petrochemieunternehmen aufzubauen. Somit zielt Abu Dhabis Staatskonzern offensichtlich insgesamt darauf, einen großen internationalen Chemiekomplex mit Crackern zur Herstellung der Ausgangsstoffe und nachgelagerter breiter Produktpalette zu formen.