Regulierung

EU steht fest zur Netz­neutralität

Die Leitlinien zur Netzneutralität in Europa sind eine Enttäuschung für die Telekombranche. Es bleibt bei der Gleichbehandlung aller Verkehre. Die Chance auf eine „Datenmaut“ für Netflix und Co rückt in weite Ferne.

EU steht fest zur Netz­neutralität

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Wieder eine Hoffnung zertrümmert. Vor kurzem hatten die Schwergewichte der europäischen Telekombranche geschlossen einen neuen Anlauf gemacht, um Brüssel für eine Abkehr von der strengen Netzneutralität zu gewinnen. Diese schreibt vor, dass in der EU alle Internetverkehre gleich behandelt werden müssen. Und dran hält die europäische Regulierungsbehörde Berec nach Ab­schluss des jüngsten umfassenden Konsultationsverfahrens auch fest.

In der neuen Leitlinie für „Open Internet Regulation“, die gerade an die nationalen Behörden rausgegangen sind, heißt es ausdrücklich, dass jede Art „Diskriminierung, Beschränkung oder Eingriff“ unzulässig ist. Das Verkehrsmanagement der Netzbetreiber darf keine Unterschiede machen im Hinblick auf „Sender und Empfänger der Daten, die Inhalte, auf die zugegriffen oder die vertrieben werden, sowie die Programme oder Services oder die Hardware, die benutzt wird“.

Dagegen laufen die Telekomunternehmen Sturm, weil ihnen damit die Hände gebunden sind, um durch unterschiedliche Bepreisung von Datenverkehren, die Auslastung ihrer Netze zu steuern und auch die Monetarisierung der Infrastruktur zu stärken. Zuletzt mussten europäische Telekomfirmen mehr als 50 Mrd. Euro im Jahr in den Netzausbau investieren. Erlaubt sind weiterhin nur unterschiedliche „Qualitätsniveaus beim Service“, die technisch begründbar sind, wie beispielsweise, dass eine E-Mail mehr Latenz toleriert als ein Film. Darüber hinaus ist eine Drosselung der Internetzugangsgeschwindigkeit nur erlaubt, um „ausnahmsweise“ auftretende Spitzenlasten in den Netzen zu bewältigen – eine Bestimmung, die hauptsächlich für Mobilfunknetze gilt.

Kein Verursacherprinzip

Leitmotiv der Regulierung bleibt damit der freie Zugang und die freie, unbeschränkte Auswahl der Internetnutzung durch alle Verkehrsteilnehmer. Das Prinzip schützt Konsumenten sowie Dienste- und Contentanbieter gleichermaßen. Es dient aus Sicht Bundesnetzagentur (BNetzA) auch dem Wettbewerb unter den Telekommunikationsunternehmen, wie die Behörde mit Blick auf die kürzlich untersagten sogenannten Zero-Rating-Tarife hervorhebt. Seit Telekom und Vodafone ihre Stream-On- bzw. Vodafone-Pass-Optionen nicht mehr anbieten dürfen, weil diese gegen die Datengleichbehandlung verstoßen, sieht die BNetzA „eine positive Auswirkung auf den deutschen Mobilfunkmarkt“, schreibt sie in der Mitteilung zu den neuen Leitlinien. „Auch die übrigen Mobilfunkanbieter, die keine Zero-Rating-Optionen angeboten haben, können nun wieder entsprechend konkurrenzfähige Angebote unterbreiten.“

Die hehren Prinzipien stehen allerdings dem „Verursacherprinzip“ bei der Netzauslastung entgegen. Seit vielen Jahren steigt der Datenverkehr im Festnetz, aber besonders im Mobilfunk. Das mobile Datenvolumen stieg im vergangenen Jahr gegenüber Vorjahr um 37%. Der absolute Zuwachs von 1,5 Mrd. Gigabyte war der höchste von der BNetzA jemals gemessene Anstieg. Grund ist zu einem guten Teil der in der Pandemie stark angeschwollene Konsum von Video-Streamingangeboten, die hauptsächlich durch US-Riesen wie Google, Amazon oder Netflix bereitgestellt werden.

Die Telekomfirmen pochen darauf, dass sich diese Konzerne, die ihren hochprofitablen Content über die Netze zum Kunden bringen, an den Kosten der Infrastruktur beteiligen – bisher allerdings ohne Erfolg. In Gesprächen mit den US-Konzernen kommt die Telekombranche nicht weiter. Auch der konzertierte Vorstoß von 13 CEOs, darunter Telekom-Chef Tim Höttges, Vodafone-Lenker Nick Read und Telefónica-CEO José-Maira Alvarez Pallete, bei der EU im Vorfeld der neuen Leitlinien bleibt nun offenbar folgenlos.

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