Diesel-Abgasskandal

EuGH: Mercedes muss Kunden entschädigen

Der Europäische Gerichtshof hat Autohersteller grundsätzlich verpflichtet, Diesel-Käufer bei unzulässiger Abgastechnik zu entschädigen. Das senkt die Hürden für Schadenersatzklagen. Die Folgen dieser kundenfreundlichen Rechtsprechung dürften beträchtlich sein.

EuGH: Mercedes muss Kunden entschädigen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) senkt die Hürden für Schadenersatz-Klagen von Diesel-Käufern bei unzulässiger Abgastechnik: Die Autobauer könnten auch dann haften, wenn sie ohne Betrugsabsicht einfach nur fahrlässig gehandelt hätten, urteilten die Luxemburger Richter am Dienstag in einem Mercedes-Fall.

Mercedes gibt sich gleichwohl gelassen: „Mercedes-Benz-Fahrzeuge, die von einem Rückruf betroffen waren oder sind, können nach entsprechenden Software-Updates dauerhaft weiter uneingeschränkt genutzt werden. Wie nationale Gerichte die Entscheidung des EuGH in Bezug auf das nationale Recht anwenden werden, bleibt abzuwarten“, teilte der Autohersteller am Dienstag nach dem Urteil mit.

Auswirkungen auf die nationale Rechtsprechung

Die Entscheidung aus Luxemburg könnte große Auswirkungen auf die deutsche Rechtsprechung haben. Denn beim Bundesgerichtshof (BGH) hatten Klägerinnen und Kläger bisher nur dann eine Chance auf Schadenersatz, wenn sie vom Hersteller bewusst und gewollt auf sittenwidrige Weise getäuscht wurden. Diese strengen Kriterien waren nur beim VW-Skandalmotor EA189 erfüllt. Dem EuGH genügt nun fahrlässiges Handeln – was sich leichter nachweisen lässt.

Der EuGH fällt damit als erstes oberstes Gericht ein Urteil zu Ungunsten von Mercedes-Benz. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte Schadenersatzansprüche bisher abgelehnt, da er für diese Vorsatz zum Schädigen des Käufers zur Voraussetzung machte, bei dem Autobauer aber nur Fahrlässigkeit erkennen konnte. Die Richter in Deutschland müssen die neuen Vorgaben nun umsetzen. Um das EuGH-Urteil abzuwarten, hatten Gerichte aller Instanzen massenhaft Diesel-Verfahren auf Eis gelegt, bei denen es auf diese Frage ankommt. Allein beim BGH sind im Moment mehr als 1900 Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden anhängig, die deutliche Mehrzahl war wegen des EuGH-Verfahrens erst einmal zurückgestellt worden.

Der „Dieselsenat“ des BGH hat für den 8. Mai bereits eine Verhandlung terminiert, in der er die sich „möglicherweise ergebenden Folgerungen für das deutsche Haftungsrecht“ erörtern will, um den unteren Instanzen möglichst schnell Leitlinien an die Hand zu geben.

Klagen leichter durchsetzbar

Nach Einschätzung der Berliner Kanzlei Goldenstein, die nach eigenen Angaben mehr als 50.000 Mandanten im Zusammenhang mit dem Diesel-Abgasskandal vertritt, können Ersatzansprüche jetzt leichter durchgesetzt werden. „Künftig müsste im Prinzip nur noch belegt werden, dass das jeweilige Fahrzeug zum Kaufzeitpunkt eine illegale Manipulationssoftware enthielt und der Käufer davon nichts wusste“, erklärte die Kanzlei. Auch der BGH müsse Besitzern von Diesel-Fahrzeugen mit sogenannten Thermofenstern Schadensersatz zusprechen. „Von dem heutigen Urteil können europaweit mehrere Millionen Menschen profitieren. Auf die Automobilindustrie rollt hingegen fast acht Jahre nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals abermals eine Klagewelle zu“, erklärte Rechtsanwalt Claus Goldenstein.

VW-Eingeständnis September 2015

Der Rechtsstreit im Gefolge des Diesel-Abgasskandals, der mit Volkswagens Eingeständnis der Abgasmanipulation im September 2015 begann, steht für zig Tausende Klagen gegen Mercedes-Benz und andere Hersteller. Deren Technik ist aber vom ursprünglichen VW-Abgasbetrug zu unterscheiden: VW sorgte per Software dafür, dass neue Modelle Stickoxid-Grenzwerte nur zur Typgenehmigung auf dem Prüfstand einhielten, auf der Straße aber nicht. Der Konzern büßte dafür mit mehr als 32 Mrd. Euro Geldstrafen und Entschädigungen.

Bei Mercedes und anderen Autobauern, darunter ebenfalls VW, geht es um eine Abgasreinigung, die bei niedriger Außentemperatur nur eingeschränkt funktioniert. Nach EU-Gesetz und Auslegung des EuGH ist das Drosseln nur zulässig, um Schaden am Motor, aber nicht dessen Verschleiß zu verhindern. Auch das Landgericht Ravensburg bewertete die bei der C-Klasse eingebaute Abgasreinigung als unzulässige Abschalteinrichtung. Allerdings scheiterten nach Angaben von Mercedes-Benz bisher mehr als 95% von über 30.000 Schadenersatzklagen, darunter die wenigen bis zum BGH verfolgten Klagen. Denn nach dessen Auffassung besteht nur bei Vorsatz, also gezielter Täuschung des Käufers, aber nicht bei Fahrlässigkeit Anspruch auf Schadenersatz – eine Einschätzung, die jetzt nach der EuGH-Entscheidung wieder aufgerollt wird.

Höhe des Schadenersatzes unklar

Mit dem EuGH-Urteil sind aber noch längst nicht alle Fragen geklärt. Offen ist zum Beispiel, wie viel Geld betroffenen Autokäufern zusteht.

Hintergrund des Verfahrens war eine Schadenersatz-Klage aus Deutschland gegen Mercedes-Benz wegen eines sogenannten Thermofensters. Thermofenster sind Teil der Motorensteuerung, die bei kühleren Temperaturen die Abgasreinigung drosseln. Autohersteller argumentieren, das sei notwendig, um den Motor zu schützen. Umweltorganisationen sehen darin hingegen ein Instrument, das dabei hilft, die Emissionen von Autos unter Testbedingungen kleiner erscheinen zu lassen, als sie es im realen Straßenverkehr sind. Der EuGH erachtet diese Thermofenster nur in ganz engen Grenzen als zulässig.

Thermofenster wurden auch von anderen Herstellern standardmäßig eingesetzt. Da sich das EuGH-Urteil auf unzulässige Abschalteinrichtungen allgemein bezieht, könnte es auch auf andere Funktionalitäten in der Abgastechnik von Diesel-Autos übertragbar sein, die derzeit von Gerichten unter die Lupe genommen werden.

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