EuGH zeigt Abschalttechnik die rote Karte

Gericht steckt sehr enge Grenzen für Ausnahmen von der Regel - BGH weist Diesel-Klage gegen VW wegen Verjährung ab

EuGH zeigt Abschalttechnik die rote Karte

Fünf Jahre nach Bekanntwerden der Abgastest-Betrügereien von Volkswagen hat der Europäische Gerichtshof die bei Zulassungstests eingesetzte Software für unzulässig befunden. Während Verbraucherschützer jetzt schon eine Klagewelle auf die Branche zurollen sehen, hat der BGH am Donnerstag eine erst 2019 eingereichte Diesel-Klage eines VW-Kunden wegen Verjährung abgewiesen.op/scd Luxemburg/Frankfurt – Die vom Volkswagen-Konzern in Diesel-Pkws verwendete Abschalttechnik war mit den EU-Vorschriften über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen nicht vereinbar. Diese Feststellung traf der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Donnerstag in einem Urteil auf Ersuchen des Ermittlungsrichters am Tribunal de grande instance in Paris (Rechtssache C-693/18). VW hatte in ihre Diesel-Fahrzeuge eine Software eingebaut, mit der die Ergebnisse der damaligen Emissionstests für die Typgenehmigung verfälscht wurden.Die Software sorgte dafür, dass während des Zulassungstests das Ventil des Abgasrückführungssystems weit geöffnet war und folglich viel Abgas zurück in den Motor geführt wurde. Dadurch wurde der Stickoxidausstoß so niedrig gehalten, dass die Zulassungsbedingungen erfüllt wurden. Während des normalen Fahrbetriebs dagegen wurde die Öffnung des Ventils verkleinert und damit die Abgasrückführung entsprechend verringert. Dadurch erhöhte sich der Ausstoß von Stickoxiden erheblich, so dass die Grenzwerte teils weit überschreiten wurden.In seinem Urteil stellt der EuGH fest, dass in der entsprechenden EU-Verordnung Grenzen für die Abgasemissionen festgelegt sind, ohne dass vorgeschrieben wird, auf welchem Weg diese erreicht werden. Die Abgasemissionen müssten allerdings während der gesamten Lebensdauer eines Kraftfahrzeugs wirkungsvoll begrenzt sein. Eine Software, die die Einhaltung der Emissionsvorschriften je nach Fahrbedingungen modifiziert, sei eindeutig eine verbotene Abschalteinrichtung. Deren Einsatz sei nur in seltenen Fällen erlaubt – etwa um den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen. “Die Tatsache, dass eine solche Abschalteinrichtung dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern, kann ihr Vorhandensein nicht rechtfertigen”, stellte der EuGH klar.Ausgangspunkt für die Klarstellung war ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft in Paris. Sie wirft VW arglistige Täuschung der Käufer über wesentliche Merkmale der Fahrzeuge und über die für ihre Zulassung beim deutschen Kraftfahrtbundesamt durchgeführten Kontrollen vor. Im Februar 2016 wurde ein gerichtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, in dessen Rahmen dem EuGH verschiedene Fragen zur Auslegung des EU-Rechts vorgelegt wurden.Wie das Verfahren vor dem französischen Gericht weitergeht, bleibt abzuwarten. Rund 1 200 Nebenkläger haben sich dem Verfahren angeschlossen. Das damalige NEFZ-Prüfverfahren wurde in der Zwischenzeit durch das WLTP-Prüfverfahren ersetzt, das die Emissionen unter realen Nutzungsbedingungen besser abbilden soll.Der Potsdamer Anwalt Claus Goldenstein glaubt, dass der Automobilindustrie nun Rekord-Rückruf- und -Klagewellen drohen. “Der Abgasskandal holt nun nahezu sämtliche namhaften Fahrzeughersteller ein”, glaubt er. Auch weitere große Autobauer wie Daimler, BMW, Volvo und Fiat hätten Abschalteinrichtungen in ihren Fahrzeugen verbaut. Nun sei klar, dass diese Form der Manipulation illegal gewesen sei. “Für betroffene PKW-Halter standen die Chancen nie besser, erfolgreich Schadensersatzansprüche durchzusetzen.” Volkswagen bewertet das Urteil grundlegend anders. Ob etwa ein Thermofenster zulässig sei, müssten nationale Behörden und Gerichte im Einzelfall entscheiden. Entsprechende Kundenklagen gegen Hersteller seien erfolglos und würden erfolglos bleiben. Technik-Geschäftsführer Joachim Damasky vom Lobbyverband VDA betonte, die Emissionssteuerung in modernen Motoren über Elektronik sei weiter möglich, wenn dies der Sicherheit von Motor und Insassen diene. Dass die gezielte Verbesserung des Emissionsverhaltens auf dem Prüfstand unzulässig sei, wisse man seit Jahren.Unabhängig vom Urteil des EuGH ist fraglich, welcher VW-Kunde davon noch profitieren kann. Zwar sind einige Klagen noch offen. Am Donnerstag entschied der BGH allerdings gegen eine Schadenersatzklage eines VW-Käufers. Die erst 2019 erhobene Klage sei zu spät erfolgt und damit verjährt, hieß es zur Begründung.