Raumfahrtindustrie

Europa steht erst mal ohne größere Trägerrakete da

Nach dem letzten Start der Ariane 5 beginnt für die europäische Raumfahrtindustrie eine unsichere Phase. Kritiker halten das Nachfolgemodell bereits jetzt für technisch überholt. Gleichzeitig wächst die Konkurrezn.

Europa steht erst mal ohne größere Trägerrakete da

Raumfahrtindustrie

Aufbruch in unsichere Zeiten

Nach dem letzten Start von Ariane 5 steht Europa erst mal ohne größere Trägerrakete da

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Gesche Wüpper, Paris

Es ist das Ende einer Ära. Und für die europäische Raumfahrtindustrie der Beginn einer unsicheren Reise. Denn nach dem erfolgreichen Start der Trägerrakete Ariane 5 zu ihrer letzten Mission steht Europa erst mal ohne eigene größere Trägerrakete da, da der Übergang zum Nachfolgemodell Ariane 6 sehr holprig verläuft. Die über 4 Mrd. Euro teure Entwicklung hat sich bereits um drei Jahre verzögert. Zuletzt war der immer wieder verschobene Erstflug für das zweite Halbjahr 2023 geplant. Doch er könnte sich erneut verspäten und erst Anfang kommenden Jahres stattfinden.

All das wirft Fragen auf, ob die Ariane 6 überhaupt in der Lage sein wird, mit den Raketen von SpaceX mitzuhalten. Es bestehe ein großes Risiko, dass sie gegenüber SpaceX nicht dauerhaft konkurrenzfähig sei, gab der französische Rechnungshof bereits 2019 zu bedenken.

Inzwischen bemängeln auch andere Kritiker, dass die Ariane 6 schon vor ihrem ersten Start technisch überholt sei. Dabei ist es angesichts des Wettlaufs um den Zugang zum All umso wichtiger, dass Europa nicht den Anschluss an China und die USA verliert.

Aufgrund der Rückschläge bei Ariane 6 hat Ariane Group, ein Joint Venture von Airbus und Safran, im Frühjahr den Chef ausgewechselt. Zur Verspätung der neuen Trägerrakete kommen weitere Probleme. So nutzt Europa seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine die russischen Sojus-Trägerraketen nicht mehr.

Gleichzeitig bleibt die leichtere Trägerrakete Vega C von Avio am Boden, seit sie im Dezember 2022 abgestürzt ist. Ob sie 2023 abheben kann, wie eigentlich geplant, ist fraglich, da jetzt bei Tests mit den Triebwerken neue Anomalien entdeckt wurden. Während Europa nun erst mal keinen direkten Zugang zum All mehr hat, peilt SpaceX für dieses Jahr rund 100 Starts an.

Sojus sei das Backup für die europäische Raumfahrt für den Übergang zu Ariane 6 gewesen, sagte Philippe Baptiste, der Chef der französischen Raumfahrtagentur CNES (Centre National d’Études Spatiales), dem Fernsehsender BFMTV. Die europäische Raumfahrtindustrie befinde sich jetzt in der Position des Herausforderers, obwohl sie den Markt lange dominiert habe, meint er. Sie habe aber die entsprechenden Karten in der Hand, um wieder ins Spiel einzusteigen. So habe keines der Ariane-Modelle seine Karriere mit einem so prall gefüllten Auftragsbuch wie die Ariane 6 begonnen.

Bereits 28 Flüge sind für sie gebucht, darunter 18, mit denen Amazon Satelliten für ihre Kuiper-Konstellation ins All bringen will. Da momentan keine europäischen Trägerraketen zur Verfügung stehen, wenden sich inzwischen jedoch auch europäische Kunden an SpaceX. Ariane 6 müsse deshalb besonders leistungsstark sein, um sich im Kampf um den Markt für Satellitenstarts behaupten zu können, meinen Experten. Die neue Trägerrakete ist zwar rund 40% günstiger als Ariane 5, kann aber trotzdem nicht mit den Preisen von SpaceX mithalten.

Gleichzeitig wächst die Konkurrenz. So soll der gerade erneut verschobene Erstflug der Vulcan-Rakete der United Launch Alliance (ULA) von Boeing und Lockheed Martin 2023 stattfinden. Die ebenfalls verspätete Trägerrakete New Glenn von Blue Origin sowie Modelle von Rocket Lab und Relativity Space sollen 2024 startklar sein. Gleichzeitig drängen Start-ups wie Isar Aerospace mit kleinen Trägerraketen auf den Markt. Ariane Group ist mit Maia Space erst 2022 in das Segment eingestiegen.

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