RECHT UND KAPITALMARKT

Europäischer Gerichtshof weist EU-Kommission in die Schranken

Fehlerhaftes Referenzsystem zur Beurteilung der Sanierungsklausel

Europäischer Gerichtshof weist EU-Kommission in die Schranken

Von Timo Eggensperger *) Die sogenannte Sanierungsklausel im deutschen Körperschaftsteuergesetz stand auf dem Prüfstand beim Europäischen Gerichtshof. Der entschied mit seinen Urteilen vom 28. Juni 2018, dass die EU-Kommission bei ihrer Beurteilung ein fehlerhaftes Referenzsystem angewendet hat. Daher ist auch nicht nachgewiesen, dass die Sanierungsklausel mit dem EU-Beihilferecht unvereinbar ist. Die EU-Kommission muss nun erneut prüfen, ob eine Beihilfe vorliegt.Für die Praxis ist das eine erfreuliche Nachricht. Mit der Entscheidung des EuGH lebt die Sanierungsklausel zwar noch nicht automatisch wieder auf. Hierfür hätten die Richter auch erklären müssen, dass die Sanierungsklausel keine staatliche Beihilfe darstellt. Vorgegeben ist nun aber der Verlusterhalt als Referenzrahmen. Betroffenen Unternehmen ist dringend zu raten, Steuerbescheide offen zu halten und die weitere Entwicklung zu verfolgen. “Lex Opel”Werden innerhalb von fünf Jahren mehr als 25 % der Anteile an einer Körperschaft von einer Person erworben, gehen die nicht verrechneten steuerlichen Verluste grundsätzlich anteilig oder gar vollständig unter. Diese restriktiven Wirkungen wurden mit der Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG abgemildert. Danach sollen die vorhandenen Verlustvorträge trotz Eigentümerwechsel erhalten bleiben und gegen künftige Gewinne verrechnet werden können. Die Sanierungsklausel wurde vom deutschen Gesetzgeber – trotz Kritik der Opposition (“Lex Opel”) – im Juli 2009 verabschiedet; mit einem rückwirkenden Anwendungszeitraum ab 1. Januar 2008. Sie wurde bei der EU-Kommission nicht als Beihilfe angemeldet. Die Klausel ist wichtig, da Gesellschaften mit Verlusten häufig Sanierungsfälle sind. Mit Hilfe der Sanierungsklausel könnten viele Unternehmen als Ganzes saniert und erhalten bleiben. Massiver EingriffDie EU-Kommission beurteilte die Sanierungsklausel jedoch mit Beschluss vom 26. Januar 2011 als mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe. Diese Entscheidung stellte einen massiven Eingriff in das deutsche Steuerrecht dar. Die EU-Kommission vertrat die Auffassung, dass die Klausel eine Ausnahme von der in § 8c Abs. 1 KStG festgeschriebenen Regel des Untergangs von Verlusten bei Körperschaften darstellt, bei denen es zu einem Gesellschafterwechsel gekommen ist. Diese (Rück-)Ausnahme von der Ausnahme betrachtete die EU-Kommission als spezifische Sonderbehandlung und damit als Beihilfe. Letztlich kam die EU-Kommission zu dem Ergebnis, dass die Sanierungsklausel Unternehmen einen nicht gerechtfertigten selektiven Vorteil verschaffen könne. Mit dieser Sichtweise wies die EU-Kommission Deutschland an, alle aufgrund der Sanierungsklausel gewährten unvereinbaren Beihilfen von den Begünstigten zurückzufordern und der Kommission eine Liste dieser Begünstigten zu übermitteln. Daraufhin wurden die Anwendung der Sanierungsklausel ausgesetzt und rückwirkende Steuernachzahlungen verhängt.Gegen den Beschluss der EU-Kommission klagten zwei Unternehmen ohne Erfolg vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG), das die Klagen mit Urteilen 4. Februar 2016 (Az. T-287/11, T-620/11) als unbegründet zurückwies. Dagegen zogen die beiden Unternehmen mit Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland vor den EuGH. Der Europäische Gerichtshof kommt mit Urteil vom 28. Juni 2018 (Rs. C-203/16 P, C-208/16 P, C-209/16 P, C-219/16 P) zu dem Ergebnis, dass der streitige Beschluss der EU-Kommission nichtig ist. Er begründet dies damit, dass diese den selektiven Charakter der Sanierungsklausel anhand eines fehlerhaft bestimmten Referenzsystems beurteilt hat. Die EU-Kommission habe fälschlich allein die Regel des Verfalls von Verlusten als maßgebliches Referenzsystem eingestuft, ohne dabei die allgemeine Regel des Verlustvortrags in dieses Referenzsystem einzubeziehen. BeliebigkeitDie Selektivität einer steuerlichen Maßnahme kann laut EuGH nicht anhand eines Referenzsystems beurteilt werden, das aus einigen Bestimmungen besteht, die aus einem breiteren rechtlichen Rahmen künstlich herausgelöst worden sind. Mit dem Ausschluss der allgemeinen Regel des Verlustvortrags von dem zugrunde gelegten Referenzsystem wurde dieses System offensichtlich zu eng definiert.In dem Urteil offenbart sich die Beliebigkeit des von der Kommission vorgenommenen “Regel-Ausnahme-Tests”. Sofern nur der Referenzrahmen richtig definiert wird, ergibt sich daraus auch das Vorliegen der gewünschten Ausnahme. Wie bereits der Generalanwalt so vermisste auch der Europäische Gerichtshof hinreichende Klarheit in Bezug auf die Definition des Referenzrahmens und erteilte der Sichtweise der EU-Kommission eine Absage. —-*) Timo Eggensperger ist Steuerexperte im Stuttgarter Büro der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ebner Stolz.