Europas Start-ups fordern mehr institutionelles Kapital
Venture Capital
Europas Start-ups fordern mehr institutionelles Kapital
kro Frankfurt
Es heißt zwar Wagniskapital, aber glaubt man den Statistiken der Beteiligungsbranche, dann sind Start-up-Investments gar nicht mal so oft ein übergroßes Wagnis. Das gilt vor allem für Europa, wo Geldgeber in den vergangenen zehn Jahren eine bessere Renditeperformance mit Start-ups eingefahren haben sollen, als in den USA. Auch im Vergleich zu öffentlichen Aktienmärkten soll sich die Assetklasse in der langfristigen Betrachtung teils besser schlagen, heißt es beim europäischen Private-Capital-Verband Invest Europe.
Bei institutionellen Investoren wie Pensionskassen oder Versicherern stößt die Szene damit in Europa allerdings bislang auf taube Ohren. Davon ist zumindest auszugehen, spielen doch Start-up-Investments für sie bislang eine sehr untergeordnete Rolle. So investieren europäische Pensionsfonds, die zuletzt auf einem verwalteten Vermögen von 9 Bill. Dollar saßen, derzeit gerade mal 0,01% ihres Kapitals in hiesiges Venture Capital, wie aus dem neuen „State of European Tech“-Report des Londoner Wagniskapitalgebers Atomico hervorgeht. In der DACH-Region machen die Versorgungseinrichtungen dabei einen besonders großen Bogen um die Klasse. Bei Versicherungen sieht die Lage laut dem Bundesverband Beteiligungskapital nicht anders aus.
In den USA bringen Institutionelle hingegen nach Darstellung der Branche einen größeren Anteil ihrer Investitionen für Wagniskapital auf. So haben US-Pensionsfonds laut Zahlen von Invest Europe zuletzt beträchtliche 11% von ihren verwalteten Vermögen in Privatunternehmen, Start-ups und Infrastrukturinvestments gesteckt. 2022 sollen europäische Versorgungseinrichtungen dagegen nur 4,3% in diese drei Klassen gesteckt haben.
Die hiesigen Tech-Firmen hätten hier sicher nichts gegen eine Angleichung. Die Branche, die unter anderem als Arbeitgeber seit Jahren an Bedeutung gewinnt, beklagt schon länger eine Finanzierungslücke für Start-ups in der Wachstumsphase. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Funding mehr als 15 Mill. Dollar zu erhalten, sei für US-Start-ups doppelt so hoch, wie für europäische Start-ups, heißt es bei Atomico. Das derzeit schwierige Exit-Umfeld macht die Sache nicht leichter.
So überrascht es denn auch nicht, dass sich europäische Start-ups zu einem großen Teil den USA zuwenden, wo Investoren auch ganz allgemein häufig tiefer in die Tasche greifen. Laut der VC-Plattform Dealroom, die sich auf Daten der World Bank stützt, sind in diesem Jahr in den Vereinigten Staaten pro Einwohner bereits rund 450 Dollar in Start-ups geflossen. In Deutschland waren es dagegen nur 86 Dollar, in Frankreich 101 Dollar und in Großbritannien 207 Dollar. Die Folge: Jedes zweite Start-up wird derzeit laut dem Atomico-Bericht von US-Geldgebern mitfinanziert.
Die Entwicklung kreiere „einen Sog weg von Europa“, heißt es in dem Bericht. Talente, Wissen und wirtschaftliche Kraft könnten abwandern. Noch allerdings scheinen die Gründer mit dem Standort einigermaßen zufrieden – immerhin würden mehr als 50% von ihnen nochmal im gleichen Land gründen, in dem sie sich aktuell befinden. Ein gutes Fünftel würde den nächsten Versuch dagegen in den USA starten. Die Haltung zum Standort habe sich damit seit 2015 nicht wesentlich geändert und zeige „wie stark europäische Gründer an das lokale Ökosystem glauben", heißt es in dem Bericht. Für die qualitative Erhebung hatte Atomico zusammen mit der britischen Großbank HSBC und der Kanzlei Orrick zusätzlich mehr als 3.500 Gründer und Investoren in Europa befragt.