Europas Start-ups im Existenzkampf
Noch im Jahr 2019 stieg der Gesamtwert der Start-up-Finanzierungen in Europa um die Hälfte auf den Rekordwert von 31 Mrd. Euro. Doch nach dem Finanzierungsrekord ist aufgrund der Pandemie für das Jahr 2020 laut EY-Studie nun ein tiefer Einbruch der Wagniskapitalinvestitionen zu erwarten.cru Frankfurt – Die Zahl der Finanzierungsrunden für europäische Start-ups, die schon in der zweiten Hälfte des Jahres abnahm, hat 2019 nur noch um 1 % auf 4 246 zugelegt. Das geht aus dem Start-up-Barometer der Unternehmensberatung EY (Ernst & Young) hervor, einem Überblick über die europaweit getätigten Wagniskapitalinvestitionen. Als Start-ups werden dabei Unternehmen gewertet, die nicht älter als 10 Jahre sind. Zu denken gibt laut EY, dass die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland (59 %) nur eine Finanzierung im Wert von höchstens 1 Mill. Euro erhielt. Die Mehrzahl der Start-ups ist nur für einige Monate durchfinanziert, danach benötigen sie frisches Geld. “Die Hoffnungen der Branche ruhen nun auf dem von der Bundesregierung angekündigten 2-Mrd.-Euro-Schutzschirm für Start-ups”, sagt EY-Partner Peter Lennartz.Auch in anderen Ländern plant die Politik milliardenschwere Hilfen für Start-ups – so hat Frankreich ein Rettungspaket in Höhe von 4,3 Mrd. Dollar für die heimischen Jungunternehmen angekündigt. “Die Coronavirus-Pandemie wird nicht nur zu deutlich sinkenden Investitionen führen”, sagt Hubert Barth, Vorsitzender der Geschäftsführung von EY Deutschland. “Es sind zudem bei vielen Unternehmen Umsatzausfälle zu erwarten. Damit ist die Krise eine existenzielle Herausforderung für Europas Start-up-Ökosystem.”Trotz des Brexits konnte Großbritannien seine Spitzenposition in der Start-up-Szene ausbauen: An britische Start-ups flossen 11 Mrd. Euro (+ 50 %). Deutsche Jungunternehmen erhielten 6 Mrd. Euro – ein Drittel mehr als 2018. In Frankreich stiegen die Start-up-Investitionen um die Hälfte auf 5 Mrd. Euro. Im europäischen Städteranking lag London mit 9 Mrd. Euro und einem Zuwachs von 82 % gegenüber 2018 unangefochten auf dem ersten Platz vor Berlin mit 3,5 Mrd. Euro.Bereits im zweiten Halbjahr war ein Rückgang der Finanzierungsaktivitäten in Europa zu beobachten: Das Investitionsvolumen schrumpfte im Vergleich zur ersten Jahreshälfte um 15 % auf 14 Mrd. Euro, die Zahl der Finanzierungsrunden sank ebenfalls um 15 % auf 1 944. Im Jahr 2020 dürfte laut EY die Zahl der Deals wie auch die investierten Summen noch deutlich stärker zurückgehen.2019 sei zwar “enorm viel Geld” an europäische Jungunternehmen geflossen – allerdings ging das Gros der Summe an einige große Unternehmen. Die Mehrzahl der Deals war klein. So haben in Deutschland die Top-20-Start-ups 3,4 Mrd. Euro erhalten – das sind 56 % des insgesamt in Deutschland investierten Kapitals -, alle anderen nur 4 Mill. Euro im Schnitt.Eine besondere Herausforderung sei die derzeitige Situation auch für die Kapitalgeber, so Lennartz: “Ein Exit ist jetzt sehr viel schwieriger als vor der Krise – die Bewertungen werden nach unten angepasst. Für die Investoren geht es daher nun vorrangig darum, ihre Portfoliounternehmen durch die Krise zu bekommen. Und sie haben im Zweifelsfall zu entscheiden, welche Geschäftsmodelle tatsächlich noch eine Zukunft haben. Für vielversprechende Unternehmen wird es durchaus noch Zwischenfinanzierungen geben – große Neuinvestitionen werden aber seltener.”Entscheidend sei in dieser schwierigen Situation, dass die gerade gewonnene Breite und Stärke etwa des deutschen Start-up-Ökosystems zumindest grundsätzlich erhalten bleibe, warnt Barth: “Der Finanzierungsmarkt darf nicht vollständig austrocknen – das würde den Technologiestandort Deutschland um Jahre zurückwerfen.” Gerade in der Krise zeige sich, wie unverzichtbar eine noch deutlich stärkere Digitalisierung der Wirtschaft sei: “Jetzt erweist sich, wie wichtig etwa Plattformen für Unterricht per Livestream sind sowie Home-Office-Lösungen und Web-Konferenz-Tools.”Es werde Unternehmen und Segmente geben, die gestärkt aus der Krise hervorgehen, so Lennartz: “Digital Health im weitesten Sinne wird boomen – einige dieser Lösungen wurden schon in den vergangenen Jahren in Gang gebracht – etwa das E-Rezept oder Online-Sprechstunden. Hier wird sich die Entwicklung beschleunigen. Biotech und Medtech gewinnen ebenfalls. Auch Logistik, Lebensmittel, Online-Handel, Online-Lernen und Online-Kommunikation könnten einen Aufschwung erleben.” One Web geht pleiteVon den fünf größten Finanzierungsrunden 2019 gingen vier an britische Jungunternehmen: Das inzwischen insolvente Internet-Satelliten-Start-up One Web erhielt 1,1 Mrd. Euro, an das schwedische Batterie-Start-up Northvolt flossen 885 Mill. Euro, das britische Fintech Greensill Capital bekam bei zwei Finanzierungsrunden insgesamt 1,3 Mrd. Euro – und Deliveroo sammelte 509 Mill. Euro ein. Die 500-Mill.-Euro-Finanzierung für Flixbus war die sechstgrößte Investition.