Inmitten der aufgeheizten Marktstimmung rund um Chinas Immobiliensektor-Problematik sorgt das Enfant terrible der Branche, die China Evergrande Group, für neue Verwirrung. Am Montagmorgen ließ der weltweit höchstverschuldete Immobilienentwickler nach einer fast 18-monatigen Unterbrechung die Aktiennotiz an der Hongkonger Börse wiederaufnehmen. Wenige Stunden später kündigte der Konzern an, dass der ebenfalls für Montag terminierte Beginn von Umschuldungsverhandlungen mit Evergrandes Anleihe- und Bankgläubigern, die in verschiedenen Jurisdiktionen stattfinden, erneut verschoben wird. Nun soll ein Datum Ende September anvisiert werden.

Mit der Wiederaufnahme des Handels der Evergrande-Aktie verbindet sich erneut ein spektakulärer Wertverlust. Die Titel stürzten am Montag in der Spitze um knapp 90% ab und endeten mit einem Minus von 79% bei 0,35 HK-Dollar. Damit ist Evergrande nun zu einem sogenannten Penny Stock verkommen, die Marktkapitalisierung liegt bei kümmerlichen 4,6 Mrd. HK-Dollar. Zu den Jubelzeiten in den Jahren 2017 und 2018 hatte Evergrande eine Marktkapitalisierung von umgerechnet rund 50 Mrd. Euro erreicht.

Evergrande hatte Mitte der vergangenen Dekade in einer Boomzeit für chinesische Wohnimmobilienentwickler mit einem extrem aggressiven Geschäftsmodell ein halsbrecherisches und in erster Linie verschuldungsfinanziertes Wachstum hingelegt, das die Gruppe zum zweitgrößten chinesischen Wohnimmobilienentwickler avancieren ließ. Zur Jahresmitte 2020 sorgte Evergrande dann mit einer Zahlenvorlage, die eine gigantische Überschuldung erkennen ließ, für einen Schock an den Märkten, der die Branche seitdem nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. Da Dutzende von großen Bauträgern am Rande der Zahlungsunfähigkeit stehen und ihre bereits vorverkauften Wohnanlagen nicht plangemäß fertigstellen können, haben sich chinesische Wohnungskäufer in spe stärker zurückgehalten. Hinzu kommen konjunkturelle Probleme, die das Sentiment am Immobilienmarkt geschwächt haben, zu einem starken Rückgang der Neuwohnungsverkäufe führen und die Cashflow-Situation der Bauträger erst recht beeinträchtigen.

Im Falle von Evergrande musste die Aktiennotiz Mitte März vergangenen Jahres vom Handel ausgesetzt werden, nachdem Evergrande nicht mehr bereit beziehungsweise in der Lage war, förmlich attestierte Geschäftsabschlüsse für das Jahr 2021 vorzulegen. Tatsächlich wurde das Zahlenwerk für 2021 und 2022 erst Mitte Juli dieses Jahres nachgereicht und ließ rekordhohe Verluste erkennen.

Für das Annus horribilis 2021 schrieb Evergrande Group einen Verlust über 476 Mrd. Yuan (60 Mrd. Euro). Hinzu kamen weitere 106 Mrd. Yuan im zurückliegenden Jahr. Insgesamt summiert sich der Fehlbetrag für die beiden vergangenen Geschäftsjahre auf 73 Mrd. Euro. Was die Höhe der Gesamtverbindlichkeiten angeht, hat der weltweit höchstverschuldete Immobilienkonzern den Rekord vom Juni-Ultimo 2022 nochmals um 23% gesteigert und lag zur Jahresmitte bei 2,4 Bill. Yuan oder etwa 300 Mrd. Euro. Dem stehen in der Bilanz Aktiva von knapp 1,8 Bill. Yuan gegenüber.

Für die erste Geschäftsjahreshälfte zum 30. Juni nannte Evergrande am Montag einen im Vergleich zu den vorangegangenen Perioden niedrigeren Verlustbetrag in Höhe von 33 Mrd. Yuan. Marktteilnehmer sehen die Zahlen allerdings mit Misstrauen. Sie werden mittlerweile von einer wenig bekannten und relativ kleinen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft namens Prism mit Sitz in Hongkong und Schanghai testiert, nachdem PricewaterhouseCoopers (PwC) das Mandat im vergangenen Jahr niedergelegt hat.