Forschungsausgaben steigen über 50 Mrd. Euro

Deutsche Unternehmen wappnen sich für Innovationen - China rüstet kräftig auf - BASF-Chef Bock: "Wir müssen weiter gehen, weil andere längst weiter sind"

Forschungsausgaben steigen über 50 Mrd. Euro

Deutsche Unternehmen investieren trotz Euro-Krise und teils milliardenschwerer Sparprogramme in Forschung und Entwicklung. Zuletzt ist das Volumen auf über 50 Mrd. Euro geklettert, wobei die Autoindustrie der Spitzenreiter geblieben ist. Wesentlich stärker protegiert die staatliche Planwirtschaft Chinas Innovationen.Von Walther Becker, Frankfurt Lediglich um knapp 2 % dürften angesichts unsicherer Konjunkturaussichten die Forschungsausgaben im abgelaufenen Jahr hierzulande gestiegen sein. Allerdings auf einer starken Basis. Für 2013 wird ein Anstieg von 3,6 % erwartet. Nach Beobachtungen des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft wird Forschung und Entwicklung (F & E) aber zunehmend als strategischer Wettbewerbsfaktor erkannt. Daher sinke die unmittelbare Abhängigkeit von den Konjunkturzyklen. So gab es auch im Krisenjahr 2009 keinen Einbruch. 2012 und 2013 agierten die Unternehmen dennoch vorsichtig, weil die Entwicklung der Märkte und die Situation in der Eurozone zu verunsichern. Antizyklische StrategieDeutschlands Industrie erweise sich mitten in der Euro-Krise als das Paradebeispiel für eine antizyklische Investitionsstrategie bei Produkt- und Marktinnovationen, meinen die Berater von Booz & Company zuversichtlich. Mit ihrem kumulierten F & E-Volumen stehe Deutschland für 7,4 % der weltweiten F & E-Investitionen; damit liege Deutschland im europäischen Vergleich klar vor Frankreich und der Schweiz.Wichtiger Treiber für die Zuwächse der F & E-Ausgaben ist die in vielen Branchen enorm beschleunigte Produktentwicklung. Es gebe in forschungsintensiven Industrien eine drastisch verkürzte Halbwertszeit vieler Produkte. “Wer in der Gunst der Kunden nicht zurückfallen will, muss seine Innovationsstrategie entsprechend anpassen, das heißt die F & E-Budgets zum Teil erheblich aufstocken und noch effektiver einsetzen”, sagt Klaus-Peter Gushurst, Sprecher der Geschäftsführung von Booz & Co.Ob aber die Bemühungen mit Blick auf die Kommandowirtschaft in China reichen? 2015 will das kommunistisch regierte Land die Investitionen in Forschung und Entwicklung mehr als verdoppeln. Sieben strategische Gebiete sollen mit 1,2 Bill. Euro gefördert werden, um globale Technologieführerschaft zu erreichen: umweltfreundliche Fahrzeuge, neue Energiequellen, High End Equipment, Energieeffizienz, neue Materialien, Biotechnologie und IT. Diese Schlüsselindustrien sollen um ein Drittel pro anno zulegen. Wie nie zuvorEs sollen dort verstärkt nationale Forschungszentren aufgebaut werden, und der Anteil der F & E-Aufwendungen am Bruttoinlandsprodukt soll in der Volksrepublik von 1,5 % auf 2,0 % steigen. Das sind 2015 rund 215 Mrd. Euro – ein Vielfaches von dem, was Deutschland heute für Forschung und Entwicklung ausgegeben wird.Doch es geht auch hier aufwärts: Mit 50,3 Mrd. Euro – plus 7,2 % – haben die Unternehmen in der Bundesrepublik 2011 so viel Geld für F & E ausgegeben wie nie zuvor. Das ist das Ergebnis der aktuellen Erhebung des Stifterverbandes. Das Forschungspersonal wurde um 3,7 % auf 350 000 Vollzeitkräfte aufgestockt. Der Anteil der F & E-Aufwendungen der Wirtschaft am Bruttoinlandsprodukt stieg von 1,88 auf 1,94 %. Zusammen mit den von 0,92 auf 0,94 % erhöhten staatlichen Aufwendungen beträgt die F & E-Quote nun 2,88 % – auch ein Höchstwert.”Die Unternehmen sind sich der zentralen Bedeutung von Innovationen für den Wirtschaftsstandort Deutschland sehr bewusst”, kommentiert BASF-Vorstandschef Kurt Bock als Vizepräsident des Stifterverbandes. Das europäische Ziel, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3 % des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, sei damit fast erreicht: “Aber wir müssen weiter gehen, weil andere längst weiter sind.” Die Unternehmen zeigen seiner Ansicht nach, dass sie dazu bereit sind. Und die Politik habe mit Hightech-Strategie und der Exzellenzinitiative Impulse gegeben und das F & E-Budget auch in schwierigen Zeiten erhöht. “Nun sollte sie den nächsten Schritt tun und Forschungsausgaben steuerlich begünstigen, so wie es viele andere Industrieländer im internationalen Wettbewerb tun.”Die mit Abstand forschungsstärkste Branche ist nach wie vor die Kraftfahrzeugindustrie mit VW an der Spitze, gefolgt mit deutlichem Abstand von Daimler und Bosch. Auf die Kfz-Industrie entfällt mit 15,8 Mrd. Euro nahezu ein Drittel aller F & E-Ausgaben. Für ein zusätzliches Wachstum von 6 % auf hohem Niveau dürfte hier die Entwicklung von neuen Antriebstechnologien wie der Elektromobilität gesorgt haben, so der Stifterverband. Dementsprechend kletterten auch die F & E-Aufwendungen von Unternehmen aus anderen Industrien, die für die PS-Branche tätig sind, wie die Elektroindustrie, deren Forschungsetat um 8 % wuchs.In den vergangenen Jahren hat sich die Wertschöpfung in der Automobilindustrie zunehmend von den Herstellern auf die Zulieferer verlagert, beobachtet ZF-Vorstandschef Stefan Sommer. Spitzenreiter der Anmelder beim Patent- und Markenamt ist mit Abstand zuletzt Bosch gewesen, gefolgt von Daimler, Siemens und Schaeffler vor BSH Bosch Siemens Hausgeräte, VW und ZF. Versorger sparenAuffällig ist laut Stifterverband der Rückgang der F & E-Aufwendungen der Energieversorger um über 4 %. Hintergrund der Kürzungen dürfte neben wirtschaftlichen Schwierigkeiten vor allem die Energiewende sein, die neben dem Atomausstieg eine verstärkte Nutzung regenerativer Energien und die Entwicklung von dezentralen und damit kleinteiligen Versorgungssystemen vorsieht. Möglicherweise würden Forschungsgelder zugunsten von Investitionsmitteln für die Netzinfrastruktur umgewidmet.Die im Booz-Ranking vertretenen Player aus China und Indien steigerten ihre F & E-Ausgaben um 27 %. Zwar machen deren F & E-Investitionsvolumina in Summe gerade 2,7 % der globalen Innovationsbudgets aus, doch erwirtschaften die Unternehmen schon 8,7 % der im Ranking kumulierten Umsätze.Angesichts der staatlichen Aufrüstung in China schauen sich deutsche Hersteller genau an, wie und wo sie von der Förderung dort profitieren können. Thomas Lindner, Präsident des Maschinenbauverbandes VDMA, macht Chancen als Zulieferer für Elektromobilität, Solar- und Windkraftindustrie, Luftfahrt, Hochgeschwindigkeitszüge und intelligente Ausrüstungen für die Produktionstechnik aus. “Aber es entstehen auch staatlich geförderte, mächtige neue Wettbewerber”, warnt er.