Fusion von Linde und Praxair auf der Kippe

Anleger reagieren schockiert auf die Warnung vor strengeren Auflagen der US-Kartellbehörde - Noch Spielraum für Entgegenkommen

Fusion von Linde und Praxair auf der Kippe

Zwei Jahre nach Beginn der Verhandlungen droht der Zusammenschluss der Industriegasekonzerne Linde und Praxair zu scheitern. Beide Unternehmen bekommen Schwierigkeiten, strengere Auflagen der US-Kartellbehörde FTC nach ihren eigenen Maßstäben zu erfüllen. Die Kurse beider Firmen brachen ein.sck München – Das drohende Scheitern der Fusion mit dem US-Wettbewerber Praxair hat die Aktie des Industriegasekonzerns Linde zum Absturz gebracht. Die Anleger nahmen die Warnung des Münchner Unternehmens vom Wochenende schockiert auf. Am Montag büßte das Papier zeitweise bis zu 10,1 % an Wert ein und beendete den Xetra-Handel mit 194,50 Euro (-7,5 %). Damit war der Titel Schlusslicht im Dax, konnte aber die Kursverluste etwas eingrenzen. Auslöser dafür waren Meldungen, wonach Linde bereit ist, weitere US-Geschäfte zu veräußern. Die Aktie von Praxair geriet derweil ebenso unter Verkaufsdruck. Nach Eröffnung der New Yorker Börse verlor der Anteilschein 6,1 % auf 154,26 Dollar an Wert. An der Schmerzgrenze Die Commerzbank bekräftigte ihre Empfehlung für die Linde-Aktie auf “Hold” mit einem Kursziel von 180 Euro. Independent Research zufolge ist das Risiko eines Scheiterns “erheblich” gestiegen. Daher senkte das Analysehaus sein Kursziel um 10 Euro auf 177 Euro, bestätigte aber die Empfehlung auf “Halten”. In der Nacht vom Samstag auf den Sonntag meldete Linde ad hoc, dass die US-Kartellbehörde FTC weitere Veräußerungen von Konzernteilen verlangt, um dem geplanten Zusammenschluss zuzustimmen. Diese Forderung kollidiert allerdings mit der von Linde und Praxair festgelegten Obergrenze für die Abgabe von Unternehmensteilen. Anfang Juni vergangenen Jahres verständigten sich beide Seiten auf eine Schmerzgrenze für Kartellauflagen (vgl. BZ vom 3.6.2017). Demnach wird der Zusammenschluss kritisch, wenn dabei die Schwelle von 3,7 Mrd. Dollar Jahresumsatz und von 1,1 Mrd. Dollar operativem Gewinn (Ebitda) überschritten wird. Linde warnte, dass dies so eintreten könnte. Bei Partner vereinbarten bislang Verkäufe von insgesamt 2,7 Mrd. Dollar Umsatz, die zusammen ein Ebitda von 0,8 Mrd. Dollar auf sich vereinen. Zeitdruck wächstDie festgezurrte Obergrenze löst aber keinen Automatismus aus, wenn diese gerissen werden sollte. Linde und Praxair müssten sich dann auf Toleranzwerte einigen, bis zu denen aus ihrer Sicht der Zusammenschluss wirtschaftlich noch vertretbar ist. Wie weit sie dabei gehen können, wird sich in den kommenden Tagen zeigen, wenn sie mit der FTC über Nachbesserungen pokern. Gewerkschafter und Betriebsräte von Linde forderten indes, die Obergrenze “strikt einzuhalten”, um einen “Ausverkauf” des Unternehmens zu verhindern. Mitte Juli veräußerte Linde ihre Amerika-Aktivitäten an den Wettbewerber Messer und den Finanzinvestor CVC – aufgrund der notwendigen kartellrechtlichen Freigabe allerdings “unter Vorbehalt”. Erschwerend für die Fusion kommt hinzu, dass der Fristtermin 24. Oktober für die Freigabe kaum noch einzuhalten ist. Bis dahin müssen nach deutschem Aktienrecht sämtliche zuständigen Wettbewerbsbehörden ihre Zusage erteilt haben. Dem Vernehmen nach soll die kartellrechtliche Freigabe aus Russland, die sehr rasch erfolgt war, für nur ein Jahr gültig sein. Das würde die Frist auf den 1. Oktober vorziehen. So könnte Moskau Praxair ins Leere laufen lassen wie kurz zuvor Peking den US-Chipkonzern Qualcomm bei der geplanten Übernahme des niederländischen Wettbewerbers NXP. Vermutlich spielt die US-Wettbewerbsaufsicht aus politischer Rücksichtnahme im Fall Linde/Praxair auf Zeit, um das Vorhaben zu Fall zu bringen. US-Präsident Donald Trump stört sich daran, dass mit dem Zusammenschluss das gemeinsame Unternehmen künftig in Dublin sitzen soll. Das steht im Widerspruch zu seiner Politik des “America First”, da Praxair ihre US-Zentrale dadurch aufgäbe und zugleich ihren Namen in dem neuen Gebilde verlöre. Der neue Konzern soll als Linde Group geführt werde. EU-Entscheidung steht anDie Trump-Administration stemmte sich zuvor auch gegen den Zusammenschluss der US-Giganten AT & T und Time Warner. Die Fusion glückte aber dennoch. Das Vorhaben von Linde und Praxair war zuvor bereits von mehreren Hürden geprägt. Beide Unternehmen konnten diese aber bisher nehmen. Neben der FTC muss aber noch die EU-Kommission ihr Urteil abliefern. Eine Entscheidung der Brüsseler Wettbewerbshüter wird für Ende August erwartet. Im Februar hatte die EU-Kommission in der Causa ein vertieftes Prüfverfahren eingeleitet. Die Fusion – falls sie denn doch noch gelingen sollte – wäre die Krönung des Lebenswerks von Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle. Der frühere langjährige Vorstandsvorsitzende ist einer der größten Befürworter des Zusammenschlusses. Gegen zahlreiche Bedenken und Widerstände vonseiten der Arbeitnehmervertreter im Konzern setzte der Ex-CEO sich bislang durch.