Gazprom an Europa: Es wird eng

Russischer Konzern sagt auf längere Sicht Gasmangel voraus - Transit durch die Ukraine soll 2019 auslaufen

Gazprom an Europa: Es wird eng

Von Eduard Steiner, MoskauAuftritte von Gazprom, sofern sie den zahlungskräftigsten Kunden Europa betreffen, haben etwas Schulmeisterliches an sich. So hat Russlands größter Konzern dem Westen auch gestern eine Vorwarnung ins Stammbuch geschrieben: Bis zum Jahr 2025 könnte Europa mit einem Mangel an Importgas im Ausmaß von bis zu 50 Milliarden Kubikmeter konfrontiert sein, sagte Gazprom-Vizechef Alexandr Medwedjew auf der Jahrespressekonferenz in Moskau. Medwedjew erinnerte daran, dass wegen der sinkenden Förderung in Europa ein Mangel von 80 Milliarden Kubikmetern entsteht, wobei die “Träumer von Washington”, so Medwedjew, kaum mehr als 50 Mrd. Kubikmeter würden liefern können. Für die Differenz gebe es weder Verträge noch Transportpipelines.Dass Europas Förderung sinkt, ist nicht neu. Allerdings sinkt auch der Verbrauch. Und auch wenn Gazproms Marktanteil in Europa relativ stabil bei einem Viertel liegt, hat Europas Umwerbung neuer Lieferanten doch den Zorn Moskaus entflammt. Dies umso mehr, als zuletzt verstärkt die Möglichkeit künftiger Lieferungen von Flüssiggas aus den USA auftauchte. Es ist eine Mischung aus Vorsicht und Verachtung, mit der Moskau darauf reagiert.Derweil sucht Moskau nach Möglichkeiten, neue Pflöcke in Europa einzuhauen. Dass Gazprom in diesem Jahr ihr Gas zu einem ziemlich günstigen Durchschnittspreis von 240 bis 245 Dollar je 1 000 Kubikmeter liefern wird, wie Medwedjew sagte, ist freilich nicht so sehr ein Entgegenkommen als vielmehr dem Preismechanismus zu danken, der eine um sechs bis neun Monate verzögerte Abbildung des Ölpreises vorsieht. Für Gazprom bedeutet das eine empfindliche Durststrecke, die sie einerseits mit mehr Liefervolumen zu kompensieren gedenkt – so hat Medwedjew die Prognose für die Jahreslieferung leicht auf 153 bis 155 Mrd. Kubikmeter angehoben. Andererseits hat er insofern Entgegenkommen signalisiert, als er von der Bereitschaft sprach, bei den Preisformeln der Lieferverträge verschiedene Abänderungen vorzunehmen.Den größten Pflock will Gazprom in Südosteuropa einrammen – und zwar über die neue Pipeline “Turkish Stream” über die Türkei nach Europa. Die Pipeline versteht sich als Alternativroute zu dem bisher über die Ukraine laufenden Transit. Medwedjew hielt unmissverständlich fest, dass Russland fest entschlossen sei, ab 2019, also nach Auslaufen des Transitvertrags mit der Ukraine, auf den ukrainischen Transit zu verzichten. Es werde weder eine Verlängerung des bestehenden Vertrages noch den Abschluss eines neuen Transitvertrags geben, so Medwedjew. Auch dann nicht, “wenn Sonne und Mond ihre Plätze tauschen”.Seit die EU mit ihrer Blockade der von Russland geplanten Pipeline South Stream deren endgültiges Aus im Vorjahr erwirkt hat, propagiert Russland Turkish Stream und will die EU zwingen, sich um eine Anschlusspipeline aus der Türkei selbst zu kümmern. Europa werde schon bald gezwungen sein, mit Russland nicht nur über Turkish Stream zu sprechen, so Medwedjew. Europa werde auch bald über zusätzliche Volumina reden müssen. Schwelende KonflikteGestern hat die EU-Kommission Gazprom in dem seit 2012 schwelenden Streit um unlautere Geschäftspraktiken sechs Wochen mehr Zeit für eine Antwort auf die Vorwürfe gegeben. Gazprom müsse nun bis September eine Stellungnahme schicken, so die EU-Kommission. Gazprom habe um mehr Zeit gebeten. Die EU-Behörde wirft dem Unternehmen den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung in Osteuropa vor und droht mit Milliardenstrafen.Indes scheint Gazproms Verhältnis zur Ukraine konstruktiver zu werden. Die Verhandlungen über einen Preisnachlass kämen voran, so Medwedjew. Die Zeit drängt: Ende Juni läuft der bestehende Gasbezugsvertrag aus. Die Speicher – auch für den Transit – müssen gefüllt werden.