BERICHTE VON DER AUTO CHINA

Gedämpfter Optimismus im Reich der Mitte

Robuster Konsumtrend verscheucht Angstmacher - VDA ist zuversichtlich - PwC betont Dynamikverlust

Gedämpfter Optimismus im Reich der Mitte

Von Norbert Hellmann, SchanghaiDie Anspannung ist nicht mehr ganz so groß. Gut, dass die wichtigste chinesische Automesse nicht zu Jahresbeginn, sondern im April abgehalten wird. So muss man sich wenigstens nicht mit Krisenpropheten herumschlagen. Nach den panischen Angstschüben rund um einen befürchteten Einbruch der chinesischen Konjunktur, der zum Start ins Jahr 2016 die internationalen Finanzmärkte in Atem gehalten hatte, ist nun das Vertrauen in einen recht stabilen Konjunkturverlauf im Reich der Mitte zurückgekehrt. Damit gibt es auch keinen Anlass mehr zur Sorge, dass Chinas Automarkt aus der Spur gerät. Härtere BandagenMan kann sich im weltgrößten Absatzmarkt für Pkw weiterhin auf einen robusten Nachfragetrend beim Konsumenten im Allgemeinen und auf die unaufhaltsam wachsenden Mobilitätsbedürfnisse chinesischer Groß- und Kleinstädter im Besonderen verlassen. Allerdings ist der Markt reifer und die Kundschaft selektiver geworden, insbesondere auch was das Premiumsegment angeht. So müssen die dort tonangebenden ausländischen Hersteller, die sich nicht nur an zweistellige Wachstumsraten, sondern auch überdurchschnittlich hohe Margen gewöhnt hatten, nun mit härteren Bandagen kämpfen.Abgesehen davon konnten die chinesischen Autobauer mit ihren Eigenmarken seit dem vergangenen Jahr deutlich aufholen und haben im derzeit wachstumsträchtigsten Ausschnitt des chinesischen Pkw-Marktes, nämlich bei kompakten Sports Utility Vehicles (SUV), eindeutig die Nase vorn.Im ersten Quartal 2016 hat sich der chinesische Automarkt insbesondere nach einem Schub der Verkaufszahlen im Monat März recht ansehnlich entwickelt. Mit einem Absatzplus um 9,4 % auf 5,45 Millionen Einheiten zeigt sich das Geschäft robuster als von vielen erwartet, heißt es beim deutschen Verband der Automobilindustrie (VDA). “Für das Geschäftsjahr 2016 erwarten wir ein Plus von 6 % auf 21,3 Millionen Neuwagen”, betonte der VDA-Geschäftsführer Klaus Bräunig auf der Messe in Peking. Geringer MotorisierungsgradBei einer entsprechenden Weiterentwicklung dürfte der Vorsprung Chinas als weltgrößter Pkw-Markt vor den USA und Westeuropa zunehmend ausgebaut werden (siehe Grafik). Dabei verweist man beim VDA auf die noch sehr große potenzielle Nachfrage, die von einer stark wachsenden Mittelschicht generiert wird. So liege der Motorisierungsgrad in der Gesellschaft deutlich unter dem westlicher Industrieländer.Dennoch spürt man eine Angleichung der Verhältnisse, zumal es im chinesischen Markt keine Chance mehr gibt, jemals wieder an die hohen zweistelligen Wachstumsraten vor und nach dem Dekadenwechsel anzuknüpfen. Der Automarkt in China nimmt in manchen Regionen bereits westliche Züge an – und zwar nicht nur, was die Wachstumsraten angeht, meint Felix Kuhnert, der Leiter des Bereichs Automotive bei PwC in Deutschland. Der Autoexperte des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens erwartet unter anderem, dass sich eine schleichende Überkapazitätsproblematik im chinesischen Automarkt immer deutlicher bemerkbar macht. Dies wiederum könnte zu einer bereits seit längerem erwarteten und von vielen auch herbeigesehnten Konsolidierung auf der Herstellerseite führen. Zwar mahlen die Mühlen in China staatsdominierten Sektoren sehr langsam, doch dürften die bereits angelaufenen Reformen für Restrukturierungen bei Chinas Staatsbetrieben sich auch in der Autoindustrie stärker bemerkbar machen. Steuerliche StützeDass der Automarkt im vergangenen Jahr trotz einer heftigen Delle im Sommer zwischen 5 und 7 % (je nach Abgrenzung verschiedener Verbände und Branchenresearcher) zulegen konnte, muss allerdings nicht zuletzt auch auf staatliche Stützungsaktionen zurückgeführt werden. So hatte die Pekinger Regierung unter anderem mit kräftigen Steuervergünstigungen bei Kleinwagen mit geringem Hubraum für eine Belebung des Geschäfts gesorgt. Diese Maßnahme dürfte allerdings in erster Linie heimischen wie auch japanischen Autobauern zugutegekommen sein. Die Steuererleichterungen währen aber nur noch für das laufende Jahr. So kann man davon ausgehen, dass im Jahr 2017, zumindest bei den Gesamtabsatzzahlen für den chinesischen Markt, wieder die Bremse eingelegt wird. Wandel im PrestigedenkenNachdenklich stimmen zudem neue Kundentrends im Reich der Mitte, die das Neuwagengeschäft belasten könnten. PwC-Experte Kuhnert etwa beobachtet einen Wandel bei den chinesischen Autokäufern dahingehend, dass man nicht mehr zwangsläufig aus Prestigegründen zum Neuwagen greift. So seien die Gebrauchtwagenkäufe in China zwischen 2010 und 2015 im Schnitt um 18,6 % jährlich gewachsen und dürften in diesem Jahr die Schwelle von 10 Millionen Fahrzeugen überschreiten. Außerdem registriert man veränderte Finanzierungsgewohnheiten. Während früher Komplettzahlungen – oft sogar in bar – die absolute Regel waren, sehen sich jüngere Käuferschichten nun auch verstärkt nach Kreditfinanzierungs- und Leasingmöglichkeiten um. Neue GeschäftsmodelleMittlerweile beobachtet man auch in China neue Geschäftsmodelle und Dienste, die bereits in Europa und den USA populär sind. Da wären etwa Carsharing und ähnliche Konzepte, die auf Mitfahrdienste oder Mehrfachnutzung von Fahrzeugen durch verschiedene Personen hinauslaufen.Ein weiterer Trend, der aus den USA herüberschwappt, ist der Einstieg in die Automobilbranche durch große Technologiekonzerne, die mit neuen Ideen ins Fahrzeuggeschäft vordringen, Die hyperaktiven chinesischen Internetkonzerne Alibaba und Tencent suchen ebenfalls nach Mitteln und Wegen, um im Automarkt mitzumischen. Sie dürften sich dazu in erster Linie mit heimischen Markenanbietern verbandeln, die bei entsprechender Unterstützung den westlichen Autobauern weitere Marktanteilspunkte abjagen könnten.