Google bedroht Großanlagenbauer
Von Daniel Schauber, zzt. Wiesbaden Die Herausforderungen der Digitalisierung und scharfer Wettbewerb aus China sind Themen, die den Großanlagenbauern derzeit auf den Nägeln brennen. Das wurde zum Auftakt des Engineering Summit deutlich, zu dem sich seit Dienstag rund 300 Manager aus dem Kraftwerks-, Chemie- oder Nahrungsmittelanlagenbau zur Nabelschau in Wiesbaden treffen.”Es besteht das Risiko, dass sich zwischen uns und die Kunden Datenanbieter stellen”, sagte Marcel Fasswald, CEO von Thyssenkrupp Industrial Solutions, zum Auftakt der zweitägigen Konferenz. Die digitale Transformation, die im Konsumentengeschäft von Konzernen aus dem Silicon Valley wie Amazon, Google oder Microsoft getrieben wird, sieht Fasswald zugleich als Chance für die deutschen Anlagenbauer.”Was differenziert uns von Google?”, fragte Fasswald sein Publikum rhetorisch und antwortete: “Wir kennen die Prozesse, wir wissen, wo wir im Datenchaos nach den richtigen Daten suchen müssen.” Dafür sei Kompetenz und Wissen der Ingenieure zwingend nötig. “Das ist nicht zu ersetzen.” Diese Meinung teilen nicht alle Experten. Die Warnung, dass Großanlagen durchaus ohne Prozesskompetenz und im Prinzip rein datengesteuert betrieben werden könnten, war wiederholt von Topmanagern aus der Branche zu hören. Unbestritten ist, dass es zumindest theoretisch denkbar ist, Großanlagen allein mit physikalischen, chemischen und mathematischen Modellen zu steuern und mit der Analyse von Mustern aus empirisch erhobenen Produktionsdaten nachzujustieren. “Digital Dietmar” soll helfenNoch allerdings scheint die enge Zusammenarbeit von Ingenieur und Computer, also die Digitalisierung von menschlichem Expertenwissen, der Königsweg, um Anlagen zu digitalisieren und damit effizienter zu betreiben. Thyssenkrupp-Manager Fasswald sprach in diesem Zusammenhang vom “Digital Dietmar”, der als Leitbild dienen soll: ein klassischer, hochspezialisierter Ingenieur, der beispielsweise erkennt, wann die Beschichtung der Elektroden in der Elektrolyseanlage gewechselt werden muss. Das Fachwissen dieses Mitarbeiters gelte es dann, digital zu bündeln, um es auf alle Anlagen weltweit übertragen zu können. Gelinge das, führe das zu einer höheren Anlagenverfügbarkeit. “Das ist monetär messbar und lässt sich in neue Vertragsmodelle überführen”, sagte Fasswald.Der Thyssenkrupp-Manager räumt ein, dass es in einem komplexen und bürokratischen Konzern schwierig sei, digitale Geschäftsmodelle einzuführen. In der Vergangenheit seien viele Ideen dezentral entwickelt worden, inzwischen habe man einen zentralen Ansatz.Hilfreich seien auch Partnerschaften mit Start-ups. So präsentiere man etwa externen Digitalisierungsspezialisten Aufgabenstellungen aus dem Konzern, für die sich die Start-ups bewerben könnten. So könne man inzwischen automatisch auf Baustellen den Projektfortschritt messen und modellieren. Dazu würden Daten aus mit Drohnen aufgenommenen Luftbildern in einer Pixelwolke zusammengefasst, und mithilfe von Algorithmen lasse sich dann der Baufortschritt errechnen. Kunden sind skeptisch”Wir brauchen uns nicht zu verstecken vor anderen Industrien”, sagte Fasswald. “Es wird keine digitale Lösung geben, die den Anlagenbau überflüssig macht.” Den Anlagenbau sieht er sogar als Vorreiter bei der Automatisierung. “Der digitale Zwilling ist bei uns schon seit 15 Jahren üblich.” Völlig neue Geschäftsmodelle, die zu riesigen Zusatzumsätzen für die Branche führen, seien indes noch nicht gefunden, räumte er ein. “Das sind alles zarte Pflänzchen.” Es sei auch nicht einfach, die Kunden dazu zu bringen, ihre in den Anlagen erzeugten Daten zu teilen. “Wenn aber erst der Mehrwert groß genug ist, wird der eine oder andere offen sein”, sagte Fasswald. Allerdings müsse der Kunde darauf vertrauen können, dass seine Produktionsdaten nicht dazu genutzt würden, die Konkurrenz schlauer zu machen.In die Zange genommen wird die Branche nicht nur durch drohenden Wettbewerb aus dem Westen der USA, sondern auch aus Fernost. China werde laut einer Umfrage zum ersten Mal als wichtigster Wettbewerber der Deutschen angesehen, sagte Klaus Gottwald, in der Branchenlobby VDMA zuständig für den Großanlagenbau. “Das halte ich wirklich für eine Zäsur”, so Gottwald. Zuvor waren vor allem die Koreaner mit Samsung an der Spitze als aggressive Newcomer, die die Deutschen in ihrem angestammten Geschäft mit Kampfpreisen bedrohen, wahrgenommen worden.Als Gründe für den Aufstieg Chinas nannte Gottwald günstige Finanzierungsangebote sowie die Tatsache, dass der Markt in der Volksrepublik inzwischen für die heimischen Anbieter enger geworden sei, so dass chinesische Firmen ihr Heil jetzt auch im Export suchten. “Und die technologischen Fortschritte der chinesischen Wettbewerber sind auch anzuerkennen”, so Gottwald.Die exportorientierten deutschen Großanlagenbauer, die ein Teil des Maschinen- und Anlagenbaus sind, sind seit Jahren ein Schatten ihrer selbst. Von dem Auftragsknick seit dem Jahr 2008 hat sich die Branche bis heute nicht erholt. Vor einer Dekade, auf dem Gipfel des Rohstoffbooms, kamen die Hersteller der fußballfeldgroßen Investitionsgüter auf 33 Mrd. Euro Auftragseingang, im vergangenen Turnus waren es nur noch 17,8 Mrd. Euro.Immerhin ist die Branche fürs kommende Jahr optimistisch. “60 % der Großanlagenbauer, die wir befragt haben, rechnen mit steigenden Auftragseingängen im Jahr 2019”, sagte Gottwald.