Gorillas liefert Wert mit Affenzahn
Von Stefan Paravicini, Berlin, und Christoph Ruhkamp, Frankfurt
Die Anzeichen verdichten sich, dass der rasant wachsende Schnelllieferdienst Gorillas aus Berlin in Kürze zum zweiten Mal in diesem Jahr eine große Finanzspritze von Wagniskapitalgebern erhält. Die Rede ist von bis zu 1 Mrd. Dollar – und damit von der bisher größten Venture-Capital-Finanzierungsrunde in Deutschland. Das wird von zwei mit der Branche vertrauten Personen bestätigt. Allerdings kann es auch noch anders kommen. Gorillas lehnte einen Kommentar ab. Die „Sunday Times“ hatte zuerst darüber berichtet.
Gorillas würde damit eine Bewertung von 5 Mrd. Dollar erreichen. Das wäre fünfmal so viel wie bei der jüngsten Finanzierungsrunde im März, die von Coatue Management angeführt wurde – eine ungewöhnlich schnelle und kräftige Steigerung.
„Dafür gibt es nur drei Szenarien“, sagt der Partner einer auf Technologiefirmen fokussierten Investmentbank. „Entweder der Umsatz hat sich seit März verfünffacht, was schwer vorstellbar ist, weil Gorillas die Infrastruktur mit Dark Stores – den Läden für die Kuriere – braucht und nicht aus dem Boden stampfen kann. Oder die neuen Investoren erhalten einen garantierten höheren Ertrag. Oder Gorillas wird von einem US-Spac (Special Purpose Acquisition Company) übernommen.“
Bereits im ersten Quartal waren die Investitionen in deutsche Start-ups laut Refinitiv auf den höchsten jemals aufgezeichneten Wert gestiegen. Die größte Finanzierungsrunde stemmte Gorillas, die 245 Mill. Euro bei Investoren einsammelte. Im Mai stieg dann die Broker-App Trade Republic mit eingenommenen 900 Mill. Dollar zu einem der wertvollsten europäischen Fintechs auf – aktuell gefolgt vom Fintech Wefox mit 650 Mill. Dollar.
Mit dem frischen Geld will Gorillas, deren Kuriere eine breite Palette an Lebensmitteln binnen zehn Minuten nach der Bestellung an die Haustür liefern, offenbar auch in die USA expandieren. Mit dem Start in New York tritt Gorillas gerade gegen Doordash und Uber an.
Erst seit 2021 ein Einhorn
Erst Anfang des Jahres wurde das Unternehmen zum „Einhorn“ mit einer Milliardenbewertung. Gorillas startete nach und nach in immer mehr europäischen Ländern. Ab jetzt soll das Angebot auch in Italien verfügbar sein. Bisher ist Gorillas in den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien und Deutschland zu finden. Das Start-up gründeten 2020 – mitten in der Pandemie – Kagan Sümer und Jörg Kattner, der Anfang 2021 ausstieg. Außerdem verließ COO Felix Chrobog im Mai das Start-up. Das Unternehmen arbeitet – anders als die Konkurrenz – mit einer eigenen Flotte an Fahrradkurieren.
Schnelle Lieferdienste wie Gorillas oder Getir aus Istanbul und Jiffy aus London machen zunehmend den klassischen Tante-Emma-Läden und Supermärkten um die Ecke neue Konkurrenz. Um sie herum ereignet sich seit Monaten eine regelrechte Finanzierungsbonanza. Profitiert davon hat auch das Berliner Start-up Flink, das Anfang März 52 Mill. Dollar bei Investoren unter der Führung von Target Global einsammelte und für kurze Zeit an Gorillas als am besten finanziertem Schnelllieferanten von Lebensmitteln in Deutschland vorbeizog. Kinnevik-Chefin Cristina Stenbeck ist ebenfalls bei Flink investiert. Auch große Essenslieferanten wie Lieferando steigen in den neuen Geschäftszweig ein. Investoren haben seit Beginn der Pandemie weltweit fast 14 Mrd. Dollar in Lebensmittel-Lieferdienste gesteckt – im ersten Quartal 2021 sogar mehr als im gesamten Vorjahr.
Wette auf Marktanteile
Apps wie Doordash und Deliveroo konzentrierten sich bisher nur auf Restaurants und Mahlzeiten zum Mitnehmen. Sie haben bewiesen, dass die Verbraucher Lieferungen wünschen, die online bestellt werden und in 30 Minuten eintreffen. Aber die neue Generation von Start-ups hat es auf den weitaus größeren Markt für Lebensmittel abgesehen – der in den USA auf 1 Bill. Dollar und in Europa auf mehr als 2 Bill. Euro geschätzt wird. Sie versprechen, einen Korb mit Lebensmitteln in nur 10 Minuten zu liefern.
Beim deutschen Wagniskapitalgeber Earlybird war der Partner Cem Sertoglu ein früher Investor der Liefer-App Yemeksepeti, welche vor dem Börsengang von Delivery Hero aufgekauft wurden. Der Unternehmensteil, der Yemeksepeti entspricht, hat heute noch den höchsten Anteil am Umsatz des Gesamtunternehmens. „Digitale Geschäftsmodellinnovationen in großen Märkten, wie dem für Lieferservices, beflügeln die Fantasie von Wachstumsinvestoren“, sagt Sertoglu. „Jeder erinnert sich noch, wie sehr anfangs die Marktchancen von Unternehmen wie Uber, Airbnb oder Delivery Hero, die in ähnlichen Bereichen operieren, unterschätzt wurden.“
Zunächst gewännen die Konsumenten, da das Kapital der Wachstumsinvestoren den Erwerb von Marktanteilen über günstige Angebote subventioniere. Erst später zeige sich, ob einige dieser Unternehmen nachhaltige Erträge generieren können und damit auch, ob sich die Investitionen als kluge Wette erweisen.