EIN JAHR DIESELGATE

Governance-Erneuerung lässt auf sich warten

Volkswagen hängt in überholten Aufsichtsstrukturen fest - Verantwortlichkeiten in der Dieselaffäre noch nicht aufgearbeitet

Governance-Erneuerung lässt auf sich warten

Von Sabine Wadewitz, FrankfurtVolkswagen steht für seine Governance nicht erst seit Bekanntwerden der Abgasaffäre am Pranger. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats mit einer unzureichenden Zahl unabhängiger Mitglieder, das System zur Vorstandsvergütung und auch die maßgeblich an der Dividende orientierte Entlohnung des Aufsichtsrats werden seit langer Zeit gebrandmarkt.Allerdings ließen sich institutionelle Anleger damit ruhigstellen, dass der Gewinn des Automobilkonzerns brummte und es an der Börse nach oben ging. Mancher Fonds soll indes die Reißleine gezogen haben, als der Firmenpatriarch Ferdinand Piëch seine Ehefrau Uschi in den Aufsichtsrat holte und der ehemalige Vorstandschef Martin Winterkorn fast 20 Mill. Euro verdiente. “Wer es damals nicht verstanden hatte, dass der Aufsichtsrat falsch besetzt und im Ergebnis ineffektiv ist, muss sich selber infrage stellen”, resümierte Hans-Christoph Hirt, Corporate-Governance-Experte des britischen Fondsmanagers Hermes, in einem Interview.Die Erwartung, dass ein so einschneidendes Ereignis wie der Dieselskandal den Konzern zum Einlenken veranlassen könnte, blieb bislang ein frommer Wunsch. Die Runderneuerung in der Governance lässt auf sich warten. Zur Aufarbeitung der Vorkommnisse um manipulierte Abgaswerte wurde nicht etwa eine neutrale renommierte Persönlichkeit an die Aufsichtsratsspitze geholt, die Familie setzt stattdessen auf den langjährigen Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch. Fatale AußenwirkungAus Sicht der Großaktionäre mag es verständlich sein, einem ihrer Vertrauten die Leitung des Kontrollgremiums zu übertragen. Doch die Außenwirkung ist fatal. Pötsch ist Teil des Systems, in dem sich die Manipulationen abspielten. Er trägt als ehemaliges Vorstandsmitglied die Verantwortung dafür, dass funktionierende Compliance-Strukturen im Konzern eingezogen sind, auch wenn er selbst von den Verfehlungen nichts gewusst haben mag.Bei allen Verdiensten von Pötsch, für Vertrauen kann es nicht sorgen, dass er nun untersuchen muss, ob ehemalige Kollegen und womöglich er selbst Pflichten verletzt haben. Dass Investoren ihn als “personifizierten Interessenkonflikt” betrachten, kann nicht überraschen. Auch unterhalb der Spitze ist bislang kein Ruck durch den Aufsichtsrat gegangen. Auf der Kapitalseite sitzen neben Pötsch weiterhin ausschließlich Vertreter von Familien und Großaktionären, bis auf Annika Falkengren, Chefin der Skandinaviska Enskilda Banken (SEB). Da die SEB als Hausbank der schwedischen VW-Nutzfahrzeugtochter Scania gilt, stufen Investoren auch die Bankerin nicht als unabhängig ein.Dabei setzt sich das Gremium selbst hehre Ziele: Vier Mandate der Anteilseignerbank sollen auf Personen entfallen, die im Sinne des Deutschen Corporate Governance Kodex als unabhängig gelten. Diese Anforderung werde eingehalten, heißt es bei VW – ohne die Namen zu enthüllen. Die Kodex-Kommission diskutiert vor diesem Fall, ob sie im Regelwerk nachschärft und künftig verlangt, Ross und Reiter zu nennen.Von Erneuerung zeugt auch nicht die Entscheidung über die Vorstandsvergütung für das Geschäftsjahr 2015, als infolge der Rückstellungen für den Abgasskandal ein Rekordverlust verbucht wurde. Aufgrund der rückwärtsgerichteten Kriterien für die variable Bezahlung hätten die Manager die bilanziellen Folgen des Dieselskandals kaum zu spüren bekommen. Da diese Großzügigkeit der aufgebrachten Öffentlichkeit nicht zu vermitteln gewesen wäre, wurde nach außen ein Bonusverzicht der aktiven Vorstände kommuniziert, der sich bei genauem Hinsehen jedoch primär als verzögerte Auszahlung entpuppte. Dabei können die Führungskräfte am Zahltag sogar noch als Gewinner dastehen, wenn sich der Aktienkurs entsprechend positiv entwickelt.Auf Vorstandsebene hat der Autokonzern immerhin inzwischen ein Ressort für Integrität und Recht geschaffen und dieses prominent mit der ehemaligen Richterin am Bundesverfassungsgericht, Christine Hohmann-Dennhardt, besetzt, die zuvor im Daimler-Konzern für neue Compliance-Strukturen gesorgt hat. Auf ihre Initiative wird in Wolfsburg gerade eine Kampagne zur Stärkung der Integritätskultur gestartet.Mögliche Pflichtverletzungen von Vorständen, Haftung und Regressansprüche werden breiten Raum in den zahlreichen Klagen gegen Volkswagen einnehmen. Der Konzern hat die Kanzlei Jones Day mit der internen Untersuchung beauftragt, hält die Ergebnisse bislang aber unter Verschluss.Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatte zwei Tage vor der VW-Hauptversammlung Strafanzeige wegen des Verdachts der Marktmanipulation gestellt und für einen Paukenschlag gesorgt. Die Staatsanwälte ermitteln gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden Winterkorn und nach Marktinformationen auch gegen VW-Markenchef Herbert Diess. Das Land Niedersachsen hatte sich daraufhin auf dem Aktionärstreffen bei der Entlastung der beiden Manager der Stimme enthalten. Gleichwohl wurde es außerhalb des Unternehmens mit Verwunderung aufgenommen, dass VW die Entlastung nicht für alle Beteiligten vertagt hat, bis deren Verantwortlichkeiten geklärt sind.Die außenstehenden Investoren pochen auf Transparenz. Nachdem das Ansinnen auf der Hauptversammlung abgeschmettert wurde, hat die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) gerichtlich eine Sonderprüfung beantragt, um von einem unabhängigen Dritten untersuchen zu lassen, ob Vorstand und Aufsichtsrat von Volkswagen im Zusammenhang mit der Abgasthematik ihre rechtlichen Pflichten verletzt haben. Nachdem ein langjähriger VW-Ingenieur sich in den USA schuldig bekannt haben soll, gehen Anleger davon aus, dass sich die Schlinge für den ehemaligen Vorstandschef Winterkorn zuzieht. AnfechtungsklageDer Governance-Experte Christian Strenger hat eine Anfechtungsklage gegen die Hauptversammlungsbeschlüsse über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie gegen die Wahl von vier Aufsichtsräten eingereicht. Aus Sicht von Strenger standen die Wahlvorschläge im Widerspruch zu der von VW abgegebenen Erklärung, inwieweit der Konzern den Governance-Kodex einhält. In dieser “Entsprechenserklärung” habe VW nicht offenbart, dass dem Aufsichtsrat auch nach eigener Einschätzung keine angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder angehörte. Die Abgabe einer “falschen Entsprechenserklärung” wertet Strenger als gravierenden Gesetzesverstoß.