Londons Börsenkandidaten warten ab
Londons Börsenkandidaten warten ab
Reichlich Firmen in der Pipeline, doch keine einzige wagte im Schlussquartal den Sprung aufs Parkett
Von Andreas Hippin, London
Die London Stock Exchange Group hat ein erbärmliches Jahr hinter sich, was Initial Public Offerings anbelangt. Alles in allem wagten nur 23 Unternehmen den Sprung aufs Parkett, etwas mehr als halb so viele wie im Jahr zuvor. Der größte Börsengang eines britischen Unternehmens fand an der Wall Street statt: Der japanische Finanzinvestor Softbank brachte den Chipdesigner Arm an die Nasdaq.
Im Schlussquartal war an der Themse nur ein Neuzugang zu begrüßen, der südenglische Weinproduzent Chapel Down. Dabei handelte es sich aber mehr um die Aufnahme einer Notierung als ein IPO. Die Gesellschaft wechselte von der Aquis Exchange an die LSE. Ein derart schwaches Quartal hatte es seit der Finanzkrise nicht mehr gegeben.
Air Astana im Anflug
Im Kalender der LSE findet sich bislang lediglich Microsalt. Das Tekcapital-Portfoliounternehmen, das ein natriumarmes Salz entwickelt hat, würde bereits den vierten Anlauf auf ein Listing am Wachstumssegment AIM (zuvor: Alternative Investment Market) unternehmen, sollte es sich dazu durchringen. Dafür befindet sich Air Astana im Anflug. Das von Citigroup und Jefferies betreute IPO, das im Februar über die Bühne gehen soll, eröffnet dem Großaktionär BAE Systems eine Möglichkeit zum Ausstieg aus seiner Beteiligung von 49% an der kasachischen Fluggesellschaft. Es soll 120 Mill. Dollar für das Unternehmen einspielen.
Tunnel für Touristen
The London Tunnels strebt bei ihrem Börsengang am Main Market der LSE eine Bewertung von 120 Mill. Pfund an. Dem Unternehmen gehören Tunnel, die von der britischen Regierung einst für die Landesverteidigung 40 Meter unter High Holborn gegraben wurden.
Sie sollen zu einer Touristenattraktion umgebaut werden, zu einer multisensorischen Erlebniswelt. Zugleich soll der Bezug zum Zweiten Weltkrieg und zum Kalten Krieg erhalten bleiben. „Fans von James Bond könnte die Aussicht begeistern, die Inspiration für die Q-Abteilung zu sehen,“ sagte Russ Mould, Investment Director bei AJ Bell. „Mitte der 1940er-Jahre war die Special Operations Executive, eine geheime Organisation der britischen Regierung in den Tunneln angesiedelt“, ergänzt Mould.
Wahlen sorgen für Verzögerungen
Für eine schnelle Wende im IPO-Geschäft spricht nicht viel. Emittenten und Anleger dürften die Wahlen in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich abwarten, wenn sie nicht dringend Geld benötigen bzw. investieren müssen. Dann dürfte auch klar sein, wohin es in der Geldpolitik geht. Derzeit wird am Markt davon ausgegangen, dass die Bank of England im August mit der ersten Zinssenkung aufwarten wird. Das dürfte die Stimmung am Finanzmarkt aufhellen.
„Auch wenn wir 2024 vielleicht keine Erholung des IPO-Geschäfts sehen werden, gibt es Gründe, optimistisch zu sein“, sagte Scott McCubbin, der beim Wirtschaftsprüfer und Berater EY für das Thema Börsengänge in Großbritannien und Irland zuständig ist. London stehe als attraktiver Markt für weltweite Listings weiterhin auf starken Fundamenten. Die aufgestaute IPO-Nachfrage deute auf eine Aufwärtsentwicklung im zweiten Halbjahr hin, sollten die wirtschaftlichen Probleme nachlassen.
Brewdog wird börsenfein gemacht
Die von der Aufsicht vorangetriebene Vereinfachung des Listing-Regimes sollte zusätzlichen Schub verleihen. Sollte sich der Knoten lösen, werden bereits eine ganze Menge Unternehmen als mögliche Börsenkandidaten gehandelt. Dazu gehört die Brauerei Brewdog, die schon vor zwei Jahren ihre Absicht kundtat, in London an die Börse zu gehen. Allerdings schrieb die Kultmarke im vergangenen Jahr rote Zahlen. Die Ankündigung, neuen Mitarbeitern nicht länger den von der Living Wage Foundation ermittelten „Living Wage“ sondern den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen, kann als Versuch betrachtet werden, das Unternehmen börsenfein zu machen. Irgendwann wird der kalifornische Finanzinvestor TSG Consumer Partners, der sich 2017 mit 22% beteiligte, ja auch wieder aussteigen wollen.
Neobanken auf der Liste
Den Neobanken Monzo, Revolut und Starling wird regelmäßig Interesse an einem IPO nachgesagt. Auch der Tankstellenbetreiber EG Group, Jaguar Land Rover und die Fluggesellschaft Virgin Atlantic könnten den Weg an die Börse einschlagen. Über EG Group wurde bereits 2019 spekuliert. Damals stand eine Bewertung in Höhe von 10 Mrd. Pfund im Raum. Die Gruppe gehört den Brüdern Zuber und Mohsin Issa, die sie im Jahr 2001 an den Start brachten, und der Private-Equity-Gruppe TDR Capital. 2020 übernahmen EG und TDR die Mehrheit am Supermarktbetreiber Asda.