Gute Karten für autonomes Fahren
Von Heidi Rohde, FrankfurtPünktlich zum 150. Geburtstag ist Nokia wie ein Phönix der Asche entstiegen. Die finnische Technologieikone, die seit den 1990er Jahren durch einen einzigartigen radikalen Konzernumbau und innovative Mobilfunkprodukte zum weltgrößten Handy-Hersteller aufgestiegen war, hat die durch eine andere Ikone ausgelöste Existenzkrise hinter sich gelassen. Acht Jahre nachdem Apple mit dem iPhone den Niedergang von Nokia einleitete und fast zwei Jahre nach dem Verkauf des siechenden Handy-Geschäfts an Microsoft sind die Finnen neu formiert und wieder auf Wachstumskurs.Die Netzwerksparte, die einst für zu klein befunden und in ein Joint Venture mit Siemens eingebracht worden war, hat Nokia Mitte 2013 wieder komplett übernommen und zum Kern der Neuausrichtung gemacht. Nun setzt das Unternehmen zum nächsten Sprung an und übernimmt den Konkurrenten Alcatel-Lucent, bei dem die jüngste Rosskur – nach jahrelang erfolglosen Sanierungsversuchen – Wirkung gezeigt hat. Mit vereinten Kräften blasen die bisherigen Wettbewerber nun zum Angriff auf Weltmarktführer Ericsson und die globale Nummer 2 Huawei.Ganz wie früher macht Nokia beim Konzernumbau keine halben Sachen. Zur Refinanzierung des 15,6 Mrd. Euro teuren Kaufs von Alcatel-Lucent wird das digitale Kartengeschäft Here ins Schaufenster gestellt, ein Schritt, für den die Finnen kaum ein besseres Timing hätten finden können. Denn die gemessen am Umsatz (2014: 969 Mill. Euro) noch kleine Sparte wächst bei Umsatz und Ergebnis zweistellig und ist zudem für zahlreiche Kaufinteressenten von strategischem Wert. Analystenschätzungen pendeln derzeit zwischen 4 und 5 Mrd. Euro für die in Berlin ansässige Tochter, für die Nokia mit dem 5,7 Mrd. Euro teuren Kauf des Kartenherstellers Navteq den Grundstein legte. In den Büchern steht Here, die im Zuge der strategischen Neuausrichtung von Nokia mit dem Verkauf des Handy-Geschäfts eine Neubewertung erfuhr, nur noch mit rund 2 Mrd. Euro. Brennend interessiertDass die deutsche Autoindustrie, die an Here brennend interessiert ist und in dem Verkaufsprozess als Bieterkonsortium antritt, das Asset für diesen Preis bekommt, ist jedoch mehr als unwahrscheinlich. Denn BMW, Daimler und VW haben nicht nur Konkurrenz durch Private Equity, sondern auch durch US-Platzhirsche wie Facebook und das Start-up Uber, das bei Investoren just eine Finanzierungsrunde gestartet hat, die bis zu 2 Mrd. Dollar einspielen soll.Begehrt ist Here vor allem, “da es lediglich eine sehr überschaubare Anzahl von Anbietern vergleichbarer Daten gibt”, so dass man “sich zunächst einmal Unabhängigkeit von diesen Anbietern – sowohl was den Zugang zu diesen Daten als auch was die Kosten betrifft”, kauft, so Jens Wiese, Automobilexperte bei Alix Partners. Das ist für die Automobilindustrie sozusagen kriegsentscheidend, wie Daimler-Finanzvorstand Bodo Uebber kürzlich offen bekannte. “Here liefert mit hochpräzisen Kartendaten einen der Kernbestandteile für autonomes Fahren. Mit einer Übernahme (…) sichert sich der erfolgreiche Bieter die Unabhängigkeit von anderen Anbietern bzw. kann die Prioritäten für die weitere Verfeinerung des Kartenmaterials selbst bestimmen”, betont Wiese.Für die Autobauer dürfte es ganz primär darum gehen, Google in die Schranken zu weisen. Denn der US-Suchmaschinengigant arbeitet schon intensiv am selbstfahrenden Auto und hat auch das Kartenmaterial. Google Maps liefert sich als App weltweit im Marktanteil ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Here. Daher ist der Internetriese im Bietgefecht um Here zwar außer Konkurrenz, aber für die deutsche Autoindustrie dürfte es wenig Unterschied machen, ob sie künftig von Google oder von Facebook am Nasenring herumgeführt wird. Bisher ist unklar, ob Facebook wirklich bei Here am Ball ist, aber für den Fall des Falles hat das soziale Netzwerk schon oft gezeigt, dass man mühelos tief in die Tasche greift.