UNTERM STRICH

"Gutes" und "schlechtes" ausländisches Kapital?

Börsen-Zeitung, 4.8.2018 Wie du mir, so ich dir. Die schon im Alten Testament beschriebene urmenschliche Verhaltensweise ("Aug um Aug, Zahn um Zahn"), die dank zivilisatorischen Fortschritts für einige Zeit überwunden schien, erfreut sich...

"Gutes" und "schlechtes" ausländisches Kapital?

Wie du mir, so ich dir. Die schon im Alten Testament beschriebene urmenschliche Verhaltensweise (“Aug um Aug, Zahn um Zahn”), die dank zivilisatorischen Fortschritts für einige Zeit überwunden schien, erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Nicht nur bei Politrowdys vom Schlage Donald Trumps, sondern auch bei Regierungen, denen bisher eine wirtschaftspolitische Linie mit marktwirtschaftlichen Grundsätzen nachgesagt wurde. Aber Protektionismus gehört offenkundig zu den ansteckenden Krankheiten. Mauer gegen ChinaNicht anders ist zu erklären, dass nun auch die Bundesregierung in den freien Kapitalverkehr eingreift und vorbeugend chinesische Investments an deutschen Unternehmen unterbindet. So konterte sie vor gut einer Woche den Beteiligungsversuch des chinesischen Staatskonzerns State Grid of China Corporation von 20 % am Stromnetzbetreiber 50Hertz durch den überteuerten Einstieg der staatlichen KfW aus und untersagte wenige Tage später vorsorglich den Verkauf des kleinen westfälischen Maschinenbauers Leifeld Metal Spinning an den chinesischen Mischkonzern Yantai Taihai (vgl. BZ vom 28. Juli, 1. und 2. August).Ausgerechnet das sonst auf Einhaltung des Rechts pochende Deutschland greift ohne rechtliche Begründung und mit fadenscheiniger Argumentation in die Privatwirtschaft, in Vertragsfreiheit und Eigentumsrechte ein. Das Außenwirtschaftsgesetz wie auch die vor einem Jahr verschärfte Außenwirtschaftsverordnung decken das Regierungshandeln nicht. Im Falle von 50Hertz wäre die Aufgreifschwelle einer Beteiligung von 25 % nicht erreicht worden, im Falle von Leifeld geht es weder um öffentliche Ordnung oder Sicherheit noch um “kritische Infrastruktur”. Die Stammtische, von der Sorge über den Ausverkauf von “deutscher” Technologie und Know-how an ausländische Investoren schon länger beherrscht, mögen der Bundesregierung applaudieren. Erschreckend ist aber, dass selbst Experten dem Trend zu Populismus und Protektionismus erliegen und “eine aktivere europäische Industriepolitik und Investitionskontrollen zum Schutz höherer Güter” fordern, wie es in einer Mitteilung des Berufsverbandes der Investment Professionals (DVFA) hieß. Solange deutsche Unternehmen ihre Produkte in alle Welt exportierten und Deutschland zum Exportweltmeister machten, solange sie Werke in China und anderen aufstrebenden Märkten bauten und damit Gewinne und Arbeitsplätze im Heimatmarkt sicherten, so lange war die Globalisierung akzeptiert. Nun, wo bisherige Nehmerländer von Direktinvestitionen wie China zu Geberländern werden und deutsche Unternehmen Ziel von Investitionsströmen aus dem Reich der Mitte werden, wird der Ruf nach stärkerer Kontrolle laut. Chinas Masterplan, bis 2025 seine Industrie global wettbewerbsfähig zu machen und möglichst unabhängig von ausländischen Partnern und Produkten zu werden, um bis zur Mitte des Jahrhunderts zur global führenden Industrienation aufzusteigen, befeuert die Ängste vor einem Ausverkauf.Ängste, die irrational sind. Denn der bestehende Rahmen aus Außenwirtschaftsrecht und Wettbewerbsrecht ist völlig ausreichend, um sicherheitsrelevante Unternehmen zu schützen und ein Ausplündern der hiesigen Industrie zu verhindern. Weite Bereiche der “kritischen Infrastruktur” wie Energie- und Schienennetze sind staatlich betrieben oder wenigstens staatlich überwacht. Selbst die Kapitalmarktinfrastruktur ist auf besondere Weise geschützt, wie die fehlgeschlagenen Fusionsversuche zwischen Deutscher Börse und den Börsen in New York und in London gezeigt haben. Und wer glaubt, dass im Cyber-Zeitalter Technologieklau über Beteiligung oder Erwerb einschlägiger Unternehmen läuft, ist ohnehin auf dem falschen Dampfer. Der Erfolg von Unternehmen beruht selten auf den eingesetzten Technologien, sehr häufig aber auf deren intelligenter Kombination mit Humankapital. Die Organisation von Produktionsprozessen und die Führung von Mitarbeitern sind für den Erfolg von Unternehmen wichtiger als ein vermeintlicher technologischer Vorsprung. Hier wird oft Ursache und Wirkung verwechselt. Auch ohne Reziprozität Nicht weniger irrational sind die Unterscheidungen in der öffentlichen Debatte zwischen den unterschiedlichen Investoren, zwischen “gutem” und “schlechtem” ausländischen Kapital. Warum sind Investitionen des norwegischen Staatsfonds oder des amerikanische Pensionsgelder verwaltenden Assetmanagers BlackRock willkommen, während Beteiligungen von chinesischen Staatsunternehmen inzwischen kritisch gesehen werden? Schon vergessen, dass es asiatische und arabische Staatsfonds waren, die nach Ausbruch der Finanzkrise etlichen internationalen Banken das Überleben gesichert haben? Was soll man im Ausland davon halten, wenn sich mit Monopolgewinnen groß gewordene deutsche Konzerne wie Post, Telekom oder Lufthansa in diesen Ländern beteiligen? Fakt ist: China wird mit oder ohne deutsche Technologie seinen Masterplan verfolgen. Die deutsche Wirtschaft hat aber die Chance, wie in der Vergangenheit ganz erheblich vom industriellen Aufholprozess Chinas zu profitieren. Dies gilt auch dann, wenn deutsche Investitionen und Firmenübernahmen in China (noch) nicht im selben Maße möglich sind wie umgekehrt chinesische Investitionen hierzulande. Marktöffnung zahlt sich auch einseitig aus, da Kapital zufließt. Das in Mode gekommene Pochen auf Reziprozität, dem auch vermeintlich liberale Geister in der Debatte über Investitionskontrollen und Protektionismus erliegen, führt in die Irre. Wenn Investoren, zum Beispiel aus China, sich hierzulande nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus politischen oder strategischen Zielen zum Nachteil Deutschlands engagieren, dann hilft es ja nichts, wenn umgekehrt deutsche Unternehmen unbeschränkt in China investieren könnten. Um solche Fälle schädlicher, politisch motivierter Investments zu verhindern, reichen die bestehenden Regeln und Gesetze aber völlig aus. —– c.doering@boersen-zeitung.de—–Von Claus DöringDer Ruf nach mehr Kontrolle und Reziprozität bei chinesischen Direktinvestitionen bedient den Populismus und schadet Deutschlands Wirtschaft. —–