Harte Kontraste im Konjunkturbild
Von Joachim Herr, MünchenSie wächst und wächst: Der deutschen Wirtschaft geht es so gut wie seit 50 Jahren nicht mehr. 2018 ist und wird das neunte Jahr in Folge mit einem steigenden Bruttoinlandsprodukt (siehe Grafik). Auch in den Prognosen für 2019 spiegelt sich viel Zuversicht wider. Doch der von US-Präsident Donald Trump befeuerte Handelskonflikt und der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der EU rücken als Risiken für die Weltwirtschaft bedrohlich näher. Zudem gibt es da noch die Zyklen: “Zu den wenigen Gewissheiten gehört, dass der Aufschwung nicht ewig dauert”, formuliert es Clemens Fuest, der Präsident des Ifo-Instituts. Anzeichen für ein baldiges Ende erkennen die Konjunkturforscher und -prognostiker in München jedoch nicht, allenfalls eine Abkühlung. Timo Wollmershäuser, der Leiter der Abteilung, warnt sogar vor einem überzogenen Pessimismus: “Seit Mai steigen die Auftragseingänge in der Industrie wieder.” Das deute darauf hin, dass die Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte wieder an Schwung gewinnen dürfte.Signale, die an der Börse wie Alarmglocken schrillten, sendeten in den vergangenen Wochen allerdings die deutsche Autoindustrie und ihre Zulieferer. Daimler senkte die Prognose und erwartet nun einen Rückgang des operativen Ergebnisses (Ebit) in diesem Jahr. Als wesentlichen Grund nennt der Stuttgarter Fahrzeughersteller die Strafzölle, die China für Exporte aus den USA angedroht hat. Spitzt sich der Handelskonflikt zu, bekäme wohl die Weltkonjunktur einen Dämpfer. Die deutsche Fahrzeugbranche träfe es empfindlich: Jedes zweite Auto, das ihre Unternehmen in den USA produzieren, wird ins Ausland verkauft.Die Warnungen von Zulieferern, die ihre Prognosen für 2018 senkten, hatten jedoch zum Teil ganz andere Ursachen: Wechselkursbelastungen für Continental, gestiegene Rohstoffkosten im Fall von ElringKlinger. Aufträge nur verschoben?Beunruhigender mit Blick auf die Gesamtwirtschaft wirkt die revidierte Vorhersage von Osram. Der Münchner Lichttechnikkonzern, der die Hälfte seines Geschäfts mit der Autoindustrie erzielt, halbierte den Umsatzausblick für 2018 und reduzierte die Erwartung ans Ergebnis. Der Vorstand begründet dies mit der Unsicherheit in der Autoindustrie, ausgelöst vom Handelsstreit. Zudem läuft es wegen des neuen Abgastestverfahrens WLTP etwas unrund. Volkswagen lässt deshalb von Ende Juli bis Ende September die Produktion im Wolfsburger Werk an ein bis zwei Tagen in der Woche ruhen.”Der Markt hat sich in den vergangenen Wochen zu unserem Nachteil entwickelt”, berichtete Ende Juni Konzernchef Olaf Berlien. Aufträge seien auf die nächsten Monate verschoben worden. Die Frage stellt sich, ob daraus Stornierungen werden. Bisher ist das nach Berliens Worten nicht passiert. Ungerührt von der Einschätzung des Vorstands von Osram erkennt Hella, spezialisiert auf Licht und Elektronik für Autos, keine Anzeichen für eine Abschwächung des Geschäfts. Dieser Kontrast ist typisch für die Lage. Meldungen, die sich als Indiz für ein Auslaufen des Booms lesen lassen, wechseln sich mit ermutigenden Anzeichen ab. Der Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts ist in den vergangenen sieben Monaten sechs Mal gesunken, und die OECD stellt eine nachlassende Wachstumsdynamik in Europa fest. Dann berichtet Italien, dass die Industrieproduktion im Mai gestiegen sei. Dagegen ging sie in Großbritannien und Frankreich im dritten Monat in Folge zurück. Wie von den Autozulieferern gibt es aus anderen Branchen ganz unterschiedliche Hinweise. So stellt das Ifo-Institut für die europäische Bauwirtschaft fest, dass sich der Aufschwung dem Ende zuneige. Zu den Ländern, in denen die Bautätigkeit spätestens 2020 nachlasse, zählt Deutschland. Nach Ansicht der Ifo-Experten gäbe es dann allenfalls Grund zum Jammern auf hohem Niveau: “In Anbetracht der inzwischen erreichten Marktvolumina und der vorhergesagten, eher überschaubaren Einbußen besteht kein Grund zur Panik.” Auf der anderen Seite klagt der Maschinenbauverband VDMA, seine Unternehmen könnten noch mehr produzieren, wenn sie genügend Fachkräfte fänden. “Irrationale Aktionen”Ein Argument gegen einen plötzlichen Konjunkturabschwung sind die Lehren, die die Industrie aus den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise am Ende des vergangenen Jahrzehnts gezogen hat. Ein Beispiel: Die Lager sind in der Regel nicht mehr so voll, Bestellungen werden kurzfristiger getätigt. Und die Unternehmen sind wachsam. Man müsse die Frühwarnsignale lesen, sagt zum Beispiel Ralph Heuwing, der Finanzvorstand von Knorr-Bremse. Der Weltmarkführer für Bremsen in Schienen- und Nutzfahrzeugen sieht aktuell keine Anzeichen für einen Abschwung und erwartet “ein gutes Gesamtjahr” (vgl. BZ vom 14. Juli). Alles in allem macht die Konjunktur einen relativ robusten Eindruck. Das größte Risiko heißt Donald Trump. Die Stuttgarter Privatbank Ellwanger & Geiger bringt es auf den Punkt: “Die Frage ist, wie lange die europäische Konjunktur und das Weltwirtschaftswachstum den irrationalen und wachstumshemmenden Aktionen der Trump-Administration widerstehen können.”