Healthineers greift nach Varian
Der größte Zukauf der Siemens-Geschichte inmitten der Coronakrise stößt bei den Investoren auf ein gemischtes Echo. Die Pandemie sei eine temporäre Thematik, hält Siemens Healthineers dagegen. Varian soll dem Konzern die Krebstherapie und damit ein komplementäres Geschäftsfeld erschließen. mic München – Mit einem Kursabschlag von 9 % in einem freundlichen Gesamtmarkt haben die Investoren die Kaufofferte von Siemens Healthineers für den US-Krebstherapiespezialisten Varian Medical Systems quittiert. Sie reagierten damit auf einen als hoch empfundenen Kaufpreis von 16,4 Mrd. Dollar (siehe Seite 1). Dagegen machte die Aktie des US-Krebsspezialisten einen Sprung von 23 % auf 175 Dollar und notierte knapp unter dem Angebotspreis von 177,50 Dollar je Aktie.Kritisch wurde von den Siemens-Healthineers-Anlegern auch das Timing inmitten der Coronakrise gesehen. Es sei unklar, wie viel Geld Krankenhäuser in naher Zukunft für Investitionen ausgeben könnten, stellten Analysten fest. Die Coronakrise beeinflusse das Geschäft, gab Siemens-Healthineers-Finanzvorstand Jochen Schmitz im Gespräch mit der Börsen-Zeitung zu. Es sei aber kein Grund gewesen, die Transaktion zu überdenken: “Die Pandemie ist eine temporäre Thematik.” Krebs dagegen bleibe eine der Geißeln der Menschheit. Als größte Herausforderung bezeichnete Schmitz die Integration des Spezialisten für Krebstherapie. Varian sei ein hervorragendes Unternehmen, zugleich gelte: “Dieses Asset muss Siemens Healthineers erhalten und gleichzeitig in das eigene starke Team integrieren.” Stabiles Geschäftsmodell”Durch den Zusammenschluss unserer beiden führenden Unternehmen machen wir mit einem Schritt zwei große Sprünge nach vorn”, hatte der Vorstandsvorsitzende von Siemens Healthineers, Bernd Montag, bei der Vorstellung der Transaktion am Sonntag gesagt. “Einen Sprung im Kampf gegen Krebs und einen Sprung in unserer Bedeutung für die Gesundheitsversorgung insgesamt.”Varian habe ein sehr stabiles Geschäftsmodell und eine enorme Innovationskraft: “Es ist eine Ikone der Branche.” Gemeinsam mit Varian könne man Krebs früher und genauer diagnostizieren, individuellere und damit wirksamere Therapien entwickeln und eine bessere Betreuung in der Nachsorge gewährleisten.Varian ist auf Krebstherapie vor allem per Strahlenbehandlung konzentriert und verkauft die entsprechenden Geräte samt Software, während Siemens Healthineers die bildgebenden Systeme wie Computertomografen im Angebot hat. Der Zukauf erschließt den Münchnern also ein komplementäres Geschäftsfeld, das aufgrund des wiederkehrenden hohen Service- und Softwareanteils wenig auf Konjunkturschwankungen reagiert. Siemens war im Jahr 2011 aus der Strahlentherapie ausgestiegen.Krebs sei jene Krankheit, bei der am häufigsten Verlaufskontrollen mit bildgebenden Systemen gemacht würden, sagte Montag. Das Segment sei für Siemens Healthineers auch wichtig, weil Krebs immer ein Kernthema für die professionellen Gesundheitsdienstleister sein werde. Montag verspricht sich einen verbesserten Zugang zur oberen Managementebene etwa von Krankenhäusern. Außerdem erwartet er sich durch die Kombination mit Varian mehr wegweisende Innovationen. Healthineers biete künftig das umfassendste Portfolio für alle bedeutenden Erkrankungen.Schmitz erklärte im Gespräch mit Analysten, es seien Vertragsstrafen für ein Platzen der Transaktion vereinbart worden. Am Montag teilte Varian mit, wenn man dafür verantwortlich wäre, müssten 450 Mill. Dollar gezahlt werden. Umgekehrt müsse Siemens Healthineers die gleiche Summe aufbringen. Folge der BörsennotierungDer Zukauf fällt in die Monate vor der Zerlegung der Siemens AG in einen Industriespezialisten und einen Energiekonzern. Vorstandschef Joe Kaeser strich heraus, dass die Abspaltung und Börsennotierung von Healthineers die Voraussetzung für die jetzige Akquisition war: “Ein derartiger transformatorischer Schritt wäre in der Konglomeratsstruktur der alten Siemens AG nicht möglich gewesen.” Auch Montag sagte, man habe immer wieder betont, dass das IPO kein Selbstzweck gewesen sei: “Vielmehr ist der eigene Zugang zum Kapitalmarkt nur dann sinnvoll, wenn er einer Strategie folgt, die Wert schafft.”