Rainer Hundsdörfer

„Heidelberg kehrt auf den Erfolgskurs zurück“

Bei dem seit Jahren kriselnden Traditionskonzern Heidelberger Druckmaschinen läuft die Suche nach Geschäftsfeldern außerhalb des Werbe- und Verpackungsdrucks. Erste kleinere Erfolge konnte das Unternehmen mit seinen Wallboxen vermelden.

„Heidelberg kehrt auf den Erfolgskurs zurück“

Karolin Rothbart.

Herr Hundsdörfer, auf Ihrer Bilanzpressekonferenz haben Sie jüngst über die Aussichten beim Thema E-Mobilität gesprochen, die Sie fast schon euphorisch stimmen. Auf den Aktienkurs hatte sich die Euphorie zumindest an dem Tag aber nicht übertragen. Vielmehr hat das Margenziel enttäuscht. Hatten Sie damit im Vorfeld gerechnet?

Eigentlich haben wir nicht damit gerechnet, weil wir genau das gesagt haben, was wir vorher auch angekündigt hatten: Heidelberg kehrt sukzessive auf den Erfolgskurs zurück und liefert dazu die Zahlen, die wir versprochen haben. Das, was zu der Reaktion am Aktienmarkt geführt hatte, war eine Fehlinterpretation.

Inwiefern?

Der Analystenkonsensus, der aus lediglich drei Werten bestand, beinhaltete fälschlicherweise eine höhere Schätzung aus dem Folgejahr. Entsprechend lag unser Ausblick somit unter dem errechneten Mittelwert. Alle Analysten, die danach Berichte geschrieben haben, haben ihre Bewertung sogar zum Teil aufgewertet und ihren Zielkurs erhöht.

Die China Print, eine der größten Fachmessen weltweit für Drucktechnik, ist gerade zu Ende gegangen. Wie kompliziert war die Teilnahme angesichts der strengen Corona-Vorschriften?

Ich wäre gern vor Ort gewesen. Im Moment ist es aber nicht möglich, nach China zu reisen und an solch einer Messe teilzunehmen, selbst wenn man bereit wäre, drei Wochen Quarantäne unter extremsten Bedingungen auszuhalten. Wir haben aber eine eigene Mannschaft von knapp 1000 Leuten in China, die diese Dinge gut organisieren kann. Dazu hatte Heidelberg einen Digitalauftritt, mit dem wir die Messe halb online, halb präsent durchgeführt haben. Zudem gab es auch einen Kundenevent in Deutschland, bei dem wir zeitgleich unsere neue Bogenoffsetmaschine für den Verpackungsdruck vorgestellt haben.

Hat sich der Aufwand gelohnt?

Auf jeden Fall! Wir haben auf der China Print unsere führende Stellung in dem Land unterstrichen, was sich entsprechend in sehr guten Auftragseingängen niedergeschlagen hat. Schon vor, aber auch während der Messe konnten wir weltweit über 500 Druckwerke der neuen Maschine verkaufen. Es gab Kunden, die haben diese gekauft, obwohl sie sie noch nie gesehen haben. Die Messe hat die bereits zuvor spürbare Erholung beim Auftragseingang also noch mal unterstützt. Generell ist das Geschäft in China inzwischen weit über dem Vor-Corona-Niveau.

Die Pandemie macht sich doch aber sicher noch an anderen Stellen bemerkbar?

Natürlich hat die Pandemie in vielen Bereichen Spuren hinterlassen. Bei den Print Solutions, also im Werbedruck, hat die Krise sehr viel größere Eindrücke hinterlassen als beim Verpackungsdruck, der teilweise sogar von der Pandemie profitiert, vor allem im Lebensmittelbereich. Print Solutions ist aber zum Beispiel stark abhängig von Veranstaltungen – wenn es keine Veranstaltungen gibt, gibt es nichts zu bewerben.

Der Werbedruck hat schon vor Corona stark unter der Digitalisierung gelitten. Wie gehen Sie damit um?

Wir haben zunächst die Segmentierung bewusst verändert. Da sich das Print- und das Verpackungsgeschäft unterschiedlich entwickeln, braucht es auch unterschiedliche Maßnahmen. Im Print-Geschäft wird ein weiterer Rückgang auf Dauer nicht vermeidbar sein. Wenn wir dieses Feld weiter aktiv betreiben wollen, dann wird es nicht gehen, indem wir mehr Maschinen verkaufen, sondern indem wir das, was wir dem Kunden an Dienstleistungen über die Maschine hinaus bieten, also Software, Verbrauchsmaterialien und Services, erweitern. Und deswegen wollen wir in dem Bereich vor allem das Vertragsgeschäft ausbauen und unsere Kunden mit Hilfe von Komplettlösungen wettbewerbsfähiger machen.

Und wie sieht es im Verpackungsgeschäft aus?

Der Markt wächst mindestens mit dem Bruttosozialprodukt. Wir investieren hier verstärkt in die Weiterentwicklung von Equipment und technischen Lösungen, mit denen sich die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Verpackungskunden noch weiter steigern lässt, z.B. durch einen höheren Automatisierungsgrad. Wir glauben, dass wir damit das Wachstum nicht nur mitnehmen, sondern auch überproportional davon profitieren können. Wir haben auch eine Reihe von Neuentwicklungen, die wir sukzessive in den nächsten Monaten veröffentlichen wollen. Spätestens nach der Pandemie dürfte das Thema Plastikreduktion die Papierverpackung auch noch mal weiter beflügeln.

In der Druck- und Papierbranche ist die Zuversicht nach dem Coronajahr 2020 zuletzt wieder gestiegen. Lässt sich das auch auf Heidelberg mit Blick auf den Start ins neue Geschäftsjahr übertragen?

Das erste Quartal verlief, soweit wir es bereits heute beurteilen können, positiv. Wir sehen in allen Branchensegmenten eine deutliche Erholung. Auch geografisch spüren wir überall in der Welt Erholungstendenzen. China ist nur kurz eingebrochen. Europa kommt sukzessive zurück. Selbst im restlichen Asien und Indien belebt sich das Geschäft zunehmend. Auch Nordamerika hat in den letzten Wochen deutlich zugelegt. Wir sind daher sicher, unser Ziel von mindestens 2 Mrd. Euro Umsatz und die entsprechenden Ergebnisse erzielen zu können.

Die gesamte fertigende Industrie kämpft derzeit mit Materialengpässen. Macht sich das auch bei Heidelberg bemerkbar?

In der Versorgung haben wir auf jeden Fall unsere Herausforderungen. Dazu gehören zum Beispiel elektronische Bauteile und verschiedene Kunststoffteile. Auch bei Roheisen und Stahl ist die Lage schwieriger geworden, aber weniger was die Verfügbarkeit angeht, sondern eher auf der Preisseite. Unsere hohe Fertigungstiefe kommt uns derzeit aber zugute, weil wir dadurch viel mehr Kontrolle über unsere Versorgungsprozesse haben als andere.

Wie gehen Sie mit den Preissteigerungen um?

Unsere Lieferanten gehen vergleichsweise fair mit uns um. Da hilft es natürlich, dass wir ein großer Kunde sind und seine wichtigen Nachfrager verärgert man nicht. Wir haben die Preiserhöhungen auch moderat an unsere Kunden weitergegeben und werden hier gegebenenfalls auch noch mal nachlegen. Das Verständnis dafür ist da. Wir sind damit auch nicht allein.

Seit einiger Zeit machen Sie vor allem mit ihren Ladestationen für Elektroautos von sich reden. Bislang ist das nur ein winziges Zusatzgeschäft, das Sie künftig aber deutlich größer aufziehen wollen. Was sind hier die nächsten Schritte?

Unser grundlegendes Ziel ist es ja, mit unseren Fähigkeiten neue Geschäfte in Wachstumsfeldern zu entwickeln. Die E-Mobilität ist ein erstes Beispiel, was wir außerhalb der Druckmaschinenindustrie leisten können. Wir haben hier als einer der Marktführer den Fuß in der Tür zu einem Wachstumsmarkt, der Riesenpotenziale bietet. Wir wollen nicht bei der intelligenten Steckdose stehen bleiben, sondern das Geschäft mit einem verbreiterten Produktportfolio ergänzen. Ein Thema, auf das wir uns dann fokussieren werden, ist das Ökosystem Haus, also die Vernetzung von Auto, Solarpanel und Pufferspeicher im modernen Haus. Ein weiteres Feld sind die Betreiber- und Abrechnungssysteme. Hier ist alles denkbar, von einer Partnerschaft, einer Entwicklungspartnerschaft, bis hin zu Beteiligungen und anderen M&A-Aktivitäten. Damit wird das Geschäft viel größer als bislang und kann in einigen Jahren mehrere hundert Millionen Euro groß sein.

Sie haben das Geschäft jüngst in eine eigene Tochtergesellschaft überführt. Kommt hier bald der Börsengang?

Das ist in der Tat eine Option für uns. Bei den reinen Wallbox-Herstellern sind die Multiples ja sehr hoch. Wir wollen das Geschäft aber erst noch größer machen und strategisch erweitern.

Gibt es dafür einen Zeitplan?

Einen Zeitplan haben wir noch nicht. Wir wissen, dass das Fenster nicht riesengroß sein wird, und können daher auch nicht sagen, dass wir dafür jetzt drei Jahre Zeit haben. In den nächsten zwölf Monaten werden wir hier sicherlich weitere Erfolge und Details kommunizieren können.

Sie beschreiben das Geschäft mit den Wallboxen auch als Blaupause für den Zukunftsmarkt der gedruckten Elektronik. Wie kommen Sie in dem Bereich voran?

Ein Thema, dem wir uns in der funktionalen Drucktechnik gewidmet haben, sind gedruckte Sensoren. Die kommen bereits in der Zahnmedizintechnik zum Einsatz, um den Abdruck der Zähne zu messen. Das ist unsere erste industrialisierte Lösung, die wir über einen Partner aus der Medizintechnik vertreiben. Das ist aber nur ein kleiner Teil. Es gibt noch viele andere Möglichkeiten, Elektronik und Sensoren umzusetzen.

Zum Beispiel?

Man kann sich vorstellen, das Kundenverhalten im Supermarkt mit Hilfe von Sensoren im Fußboden zu messen. Die Sensoren können in den Regalen auch anzeigen, wenn etwas nachgefüllt werden muss. Dazu kommt die Technik auch bei Robotern zum Einsatz, die mit Menschen arbeiten. Mit einer drucksensiblen Haut aus gedruckter Folie kann der Roboter unterscheiden, ob er einen Menschen berührt oder einen Gegenstand. Die Sensoren können auch in Textilien eingedruckt werden, woraus sich vielfältige Anwendungen ergeben. Dazu können wir auch Leiterplatten mit einzelnen Elementen wie Widerständen und Kondensatoren bedrucken. In ein paar Jahren sollten wir auch in der Lage sein, einfachere Bildschirme zu drucken. Das alles sind Themen, woran wir intensiv arbeiten, und viele davon stehen kurz vor der Industrialisierung.

Sie wollen Ihre Nachhaltigkeitsstrategie in diesem Jahr schärfen. Wie soll der Betrieb von Heidelberg ökologischer aufgestellt werden?

Wir haben in dem Bereich schon immer viel gemacht, aber das Ganze bislang nicht hinreichend strukturiert. Wir sind jetzt dabei, eine Roadmap zu erarbeiten. Alles, was wir im Moment schon haben, wird gesammelt, bewertet und dann geschaut, wo wir noch Lücken und Fähigkeiten für Verbesserungen haben. Dabei schauen wir aber auch, mit welchen ESG-Maßnahmen wir die höchste Profitabilität erreichen.

Konkrete Ziele, etwa zur CO2-Neutralität, gibt es aber noch nicht?

Es wäre jetzt noch ein bisschen früh, dazu etwas zu sagen, aber wir werden uns sehr konkrete Ziele setzen, Jahr für Jahr. Diese Ziele werden wir auch in nicht allzu ferner Zukunft veröffentlichen und uns daran messen lassen. Dann wird auch klar sein, bis wann wir es schaffen, CO2-neutral zu sein.

Das Interview führte