IM INTERVIEW: GÜNTHER SCHERMER, GOETZPARTNERS

"Hier kopiert mal der Westen vom Osten"

Chinesische Vorbilder für integrierte Modelle im Gesundheitssystem - US-Konzerne zielen auf Milliarden-Einsparungen

"Hier kopiert mal der Westen vom Osten"

Im Gesundheitsmarkt bleiben die Anbietergruppen nicht mehr unter sich. Vertikale Integration heißt die Strategie zahlreicher Unternehmen. Versicherer und Pharmahändler suchen den Schulterschluss oder Ärztenetzwerke und Healthcare-Dienstleister. Drei große US-Konzerne sind angetreten, ihren Mitarbeitern eine eigene Krankenversicherung und Gesundheitsdienste anzubieten. Günther Schermer vom Beratungshaus Goetzpartners äußert sich im Interview zu neuen Trends – für die es durchaus in Asien Blaupausen gibt.- Herr Schermer, Amazon, J.P. Morgan und Berkshire Hathaway wollen für ihre Mitarbeiter eine eigene Krankenversicherung schaffen. Erstmals tun sich drei Konzerne zusammen, die direkt nichts mit Gesundheit zu tun haben. Was ist das Ziel? Es ist ein selbsttragendes Modell. Wenn alle Mitarbeiter der drei Unternehmen in den USA teilnehmen, ergeben sich Einsparungen zwischen 1 Mrd. und 5 Mrd. Dollar – je nachdem, welche der Krankenversicherung angeschlossenen Bereiche in der Gesundheitsversorgung einbezogen werden. Es ergibt sich also ein signifikanter Vorteil. Das Modell würde die Gesundheitskosten deutlich reduzieren. Man würde in etwa auf europäischem Level von 5 000 Euro pro Kopf landen.- Wie weit sind die USA in den Gesundheitskosten von Europa entfernt?In den USA sind Gesundheitskosten ein Riesenthema, denn die Ausgaben sind exorbitant höher als im Rest der Welt. In den Vereinigten Staaten reden wir von 9 000 bis 10 000 Dollar Ausgaben pro Kopf pro Jahr, Tendenz steigend. – Die Einsparungen beträfen nach Ihrer Rechnung allein die Gesundheitsversorgung der drei Konzerne in den USA?Ja. Es geht immerhin um knapp eine Million Beschäftigte. 1 Mrd. Dollar ist nach unserer Analyse das Minimum, das man über Effizienzen dank strukturierter Konzepte in der Krankenversicherung erzielen könnte. 5 Mrd. Dollar ist ein Extremszenario, das weitere wertschöpfende Elemente beinhaltet, zum Beispiel eigene Krankenhäuser und eigene Pharmaprodukte, die über diesen Kanal platziert werden. In den USA kommen die Pharma-Benefit-Organisationen als Zwischenhändler hinzu, deren Marge man auch vereinnahmen würde. – Ist es ein Modell über die US-Grenzen hinaus?Dass sich die drei Unternehmen mit der Region USA begnügen, ist mehr als unwahrscheinlich. Wenn die Plattform aufgebaut ist, bietet sich die Möglichkeit, in andere Länder einzusteigen und Skaleneffekte zu erzielen. – Für eigene Mitarbeiter international oder auch für Dritte?Erstmal ginge es wohl darum, in den jeweiligen Ländern Fuß zu fassen, doch in der dritten Ausbaustufe könnte ein Angebot an Dritte der logische Schritt sein. Nach der Lernphase dürfte es zum Generalangriff kommen, um die doch sehr verkrusteten Gesundheitssysteme aufzumischen.- Gibt es international Vorbilder für das Konzept der drei US-Konzerne?Hier kopiert mal der Westen vom Osten. Aus China kennt man solche integrierten Modelle im Gesundheitssystem, um Marktmacht aufzubauen und sich Zugang zur eigentlichen Wertschöpfung zu verschaffen. Das Paradebeispiel ist Fosun, ein Konglomerat, welches das integrierte Modell fast perfekt abbildet. Fosun bietet die Krankenversicherung an und verfügt über eigene Krankenhäuser sowie Gesundheitsprodukte. In einer solchen Konstruktion kann man ein ganz anderes Kostenmanagement verwirklichen und optimale Gesundheitsleistungen anbieten.- Wäre ein solches Modell im regulierten deutschen Gesundheitsmarkt überhaupt machbar? Es gibt natürlich Grenzen. Doch auch in Deutschland sehen wir eine immer stärkere Trennung zwischen Grundleistungen in der Gesundheitsversorgung und Zusatzleistungen, die wahlweise in Anspruch genommen werden können. – Es würde sich aber außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung abspielen?Ja, aber das Potenzial wäre groß genug mit Privatversicherten und den freiwillig in der GKV versicherten Menschen. Eine Klientel, die ein solcher Versicherungsansatz durchaus ansprechen könnte, weil ihnen die private Versicherung zu teuer ist und die gesetzliche nicht attraktiv genug. Da könnte eine Marktmacht aufgebaut werden, die eine ganz andere Dimension erreicht, als es bislang für eine Krankenversicherung in Deutschland möglich ist. Die AOK hat 25 Millionen Versicherte, was weltweit für das Triumvirat ein Klacks wäre. – Das würde eine grundlegende Veränderung in den nationalen Gesundheitssystemen voraussetzen?Das Thema Versicherung ist bislang lokal geprägt, weil auch die Gesundheitssysteme national ausgerichtet sind. Doch die Pharmakonzerne agieren global mit hoher Marktmacht. Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht in den Kräfteverhältnissen. Das könnte sich deutlich ändern, wenn der Absatzkanal auch global würde.- Da müsste regulatorisch einiges passieren.Klar. Doch die drei US-Konzerne könnten durchaus individuelle Krankenversicherungen in den Ländern zuschneiden, worüber ein zentraler Zusammenschluss steht. – Sehr viele Details über die Pläne von Amazon, J.P. Morgan und Berkshire Hathaway sind ja noch nicht bekannt, um sich ein Bild zu machen.Die drei werden es in den USA erproben, bevor sie es global auf die Schiene setzen. Ich vermute, dass man bewusst noch im stillen Kämmerlein agiert, damit die Wettbewerber nicht schon in den Abwehrkampf gehen. – Werden die drei wirklich in die Pharmaproduktion einsteigen, oder geht es um Verträge mit der Arzneimittelindustrie als Lieferanten?Es wird eine Kombination aus beidem sein. Die Verschmelzung der Wertschöpfungskette im Gesundheitsmarkt wird zunehmen, weil die Krankenhäuser in den USA angesichts der Kostenexplosion keine andere Chance mehr haben, als diesen Weg zu gehen. – Man hat ja mit CVS und Aetna in den USA auch den Zusammenschluss von Handelskette und Versicherer gesehen.Das hätte man sich vor Jahren auch noch nicht denken können. Auch hier ist das Kernthema adressiert, Transparenz über die Daten zu gewinnen. – Was heißt das für andere Unternehmen, wer ist besonders betroffen?Die Versicherer an erster Stelle. Es kommt ein neuer Spieler auf den Markt, der mit ganz anderer Dimensionierung und auf Effizienz getrimmten Strukturen in den Wettbewerb geht. Die Pharmaunternehmen sind auch betroffen, wenn weltweit eine neue Marktmacht entsteht. In der Größenordnung gibt es bislang keinen Kunden. Es kommt Bewegung ins Spiel.—-Das Interview führte Sabine Wadewitz.