Holpriger Neustart der Luftfahrt-Branche
Von Lisa Schmelzer, Frankfurt
Seit 8. November ist die Luftfahrtwelt wieder in Ordnung. Denn seit Montag der vergangenen Woche kann wieder zwischen Europa und den USA gereist werden, und genau von diesen Transatlantikverbindungen sind große europäische Airlines wie Lufthansa wirtschaftlich stark abhängig. Was gut ist für Lufthansa, ist auch gut für den Flughafenbetreiber Fraport, denn an dessen größtem Standort in Frankfurt ist die deutsche Fluglinie der wichtigste Kunde. Nach der langen coronabedingten Durststrecke wittern Airlines und Flughäfen nun wieder Morgenluft, langsam füllen sich die Terminals und die Flugzeuge wieder. Langsam? Für die operativen Abläufe an den Flughäfen geht es dieser Tage vielmehr zu schnell – Verspätungen häufen sich, lange Warteschlagen bilden sich vor den Schaltern, und das Gepäck wird auch oft nicht so schnell ausgeladen wie vor der Pandemie. Fraport-CEO Stefan Schulte spricht von „operativen Herausforderungen“, Lufthansa-Chef Carsten Spohr verlagert lieber ein paar Flugzeuge nach München, um die Frankfurter zu entlasten. „Frankfurt kommt mit dem Wachstum gerade schwer zurecht“, so Spohr bei Vorlage der Neunmonats-zahlen Anfang November.
Das will Fraport-Chef Schulte so nicht stehen lassen. Gerade in der Coronakrise habe sich der Flugverkehr in Deutschland vor allem auf Frankfurt konzentriert, während viele andere Flughäfen in einen Dornröschenschlaf fielen. Wenn nun wieder mehr Flieger nach München geschoben werden, stelle sich über kurz oder lang nur die Verteilung vor der Krise wieder her. Dass es in Frankfurt gerade große Probleme gibt bei den operativen Abläufen, bestreitet Schulte aber nicht. Diese Situation sei typisch für einen Hochlauf, erklärt er. Würden wieder mehr Kapazitäten hereingenommen, nutzten Airlines dafür zunächst vor allem die attraktiven Zeitfenster. An vielen Flughäfen konzentrieren sich deshalb die ankommenden und herausgehenden Flüge auf wenige Stunden am Morgen und Abend. Zur Mittagszeit herrscht vielfach noch Leere in den Terminals.
Die über den Tag verteilten deutlichen Ausschläge nach unten und oben machen die Personalplanung schwierig. „Wenn jetzt aber mehr und mehr Verkehr zurückkommt, kehren wir wieder mehr zu einer gleichmäßigen Verteilung über den Tag zurück“, so die Hoffnung des Fraport-Chefs.
Weniger Mitarbeiter
Der Flughafenbetreiber hat während der Coronavirus-Pandemie Mitarbeiter abgebaut, so dass mittlerweile rund 13,6% weniger Beschäftigte an Bord sind als noch vor einem Jahr. Abfindungs- oder Altersteilzeitanreize habe es aber nicht im operativen Bereich gegeben, betont Schulte. Allerdings haben auch dort Mitarbeiter dem Unternehmen den Rücken gekehrt, sich einen anderen Job gesucht. Zudem sind befristete Verträge ausgelaufen. Derzeit wird eiligst neu eingestellt, außerdem springen Mitarbeiter aus anderen Geschäftsbereichen ein.
Zur dünner gewordenen Personaldecke kommt, dass angesichts der Pandemie Prozesse am Boden komplizierter geworden sind. Passagiere müssen umfangreiche Nachweise etwa zu ihrem Impfstatus erbringen, die die Flughafenmitarbeiter kontrollieren müssen. Die zusätzlichen staatlichen Kontrollauflagen und die erforderlichen Gesundheitschecks verlangsamen die Prozesse. Check-in-Vorgänge dauern deshalb teilweise dreimal so lange wie vor der Corona-Pandemie. Zudem ändern sich die Bestimmungen andauernd.
Nicht zu unterschätzen ist laut Schulte auch, dass viele Passagiere die Abläufe an den Flughäfen nach der langen Abstinenz erst wieder lernen müssen, das führe ebenfalls zu Verzögerungen bzw. einem größeren zeitlichen Aufwand.
Indes sind die Flughäfen mit ihren Personalengpässen nicht allein. Auch bei den Fluglinien läuft es beim Hochfahren des Angebots nicht immer rund. Zuletzt musste die weltgrößte Fluggesellschaft American Airlines am Halloween-Wochenende wegen Personalmangels Tausende Flüge absagen. Wie andere Fluggesellschaften auch hatten die Amerikaner in der Coronakrise drastisch Personal abgebaut und kommen nun mit den Wiedereinstellungen nicht hinterher. American versucht nun, die verbliebenen Flugbegleiter mit Sonderzahlungen zu ködern, um zumindest den Betrieb über die Weihnachtsfeiertage sicherzustellen. Laut CNN hat die Fluggesellschaft während der Pandemie rund ein Viertel ihrer Stewardessen und Stewards entlassen.
Lufthansa spricht derweil nach wie vor von einem „Überhang“ an Personal in Kabine und Cockpit und beziffert ihn auf 3000 Mitarbeiter. Die deutsche Fluggesellschaft hat die Mitarbeiterzahl zwischen Januar 2020 und September 2021 um 23% auf 107000 zurückgefahren.
Staatshilfen
Ungemach droht zumindest den Fluggesellschaften von einem weiteren wichtigen Mitspieler aus der Branche. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) plant dem Vernehmen nach anders als die deutschen Flughäfen angesichts der durch die Pandemie gerissenen Finanzlöcher mit einer deutlichen Erhöhung der Gebühren. Lufthansa-Chef Spohr hatte Anfang November bereits gesagt, weniger die Entwicklung bei den Flughafenentgelten als vielmehr die bei der DFS bereite ihm Sorgen – ohne indes Details zu nennen. Fraport hatte zuletzt angekündigt, für 2022 eine Erhöhung von 4,3% beantragt zu haben. Damit zeigen sich die Frankfurter bescheiden im Vergleich zu dem, was die europäische Konkurrenz plant. So sollen die Gebühren am größten europäischen Flughafen London-Heathrow um rund 50% steigen. Die Zurückhaltung von Fraport könnte auch damit zusammenhängen, dass dem Unternehmen staatliche Kompensationszahlungen gewährt wurden, weil es während der diversen Lockdowns den Betrieb am größten deutschen Flughafen aufrechterhalten hat.
Allerdings hat auch die Flugsicherung eine „Liquiditätsunterstützung“ vom Bund in Höhe von 300 Mill. Euro erhalten, wie das bundeseigene Unternehmen auf Anfrage ausführt. Dennoch sind dem Vernehmen nach deutliche Gebührenerhöhungen geplant, in Branchenkreisen ist von Aufschlägen um 90% die Rede. Eine Entscheidung ist noch nicht getroffen, aber bei der DFS wird betont, man sei bei der Gestaltung nicht frei, die Regulierung der EU erlaube vielmehr kaum Spielräume. Folge man den EU-Regeln, müsse man die Gebühren erhöhen – angesichts der sehr niedrigen Verkehrszahlen und der relativ gleichbleibenden Kosten der DFS. Weil es sich bei der Flugsicherung um „kritische Infrastruktur“ handele, erfordere das einen Personaleinsatz von rund 70% der Lotsen und rund 90% der DFS-Techniker.
Letztlich entscheide das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung über die Erhöhung, in Abstimmung mit dem Bundesverkehrsministerium. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen.
Die Gewerkschaft der Flugsicherung hat im Übrigen vor Fluglotsen-Engpässen beim Wiederhochlauf des Luftverkehrs gewarnt. Der Bundesvorsitzende Matthias Maas wandte sich damit laut Nachrichtenagentur dpa explizit gegen Einschätzungen des Chefs der DFS, Arndt Schoenemann, der betont hatte, dass man durch tarifliche Vereinbarungen in der Lage sei, die Lotsen und Techniker flexibel einzusetzen und ein stetiges Wachstum des Flugverkehrs zu ermöglichen.
Der Personalmangel, der bereits 2018 und 2019 zu erheblichen Verspätungen geführt habe, sei lediglich durch den Verkehrseinbruch in der Coronakrise verdeckt worden, erklärte hingegen die Gewerkschaft. Aktuell reiche bei einem Verkehrsaufkommen von 60% die Personaldecke schon nicht aus, um den laufenden Betrieb an allen Standorten ohne angeordnete Überstunden aufrechtzuerhalten. In den Radarkontrollzentralen und an vielen Tower-Standorten könnten einzelne Schichten trotz gut vergüteter Überstundenzulagen nicht besetzt werden. Sollte der Verkehr auch nur annähernd so steigen wie derzeit prognostiziert wird, könne es bereits im Sommerflugplan ab Ende März wieder zu ähnlichen Situationen wie in den Spitzenjahren vor der Pandemie kommen, fürchtet Maas.