Hundstage in Ingolstadt

Von Stefan Kroneck, München Börsen-Zeitung, 31.7.2018 In diesen heißen Sommertagen, bis 23. August auch Hundstage genannt, dürfte sich die Stimmung am Audi-Hauptsitz in Ingolstadt deutlich abgekühlt haben. Das hat vor allem mit dem Führungschaos zu...

Hundstage in Ingolstadt

Von Stefan Kroneck, MünchenIn diesen heißen Sommertagen, bis 23. August auch Hundstage genannt, dürfte sich die Stimmung am Audi-Hauptsitz in Ingolstadt deutlich abgekühlt haben. Das hat vor allem mit dem Führungschaos zu tun, in dem die Volkswagen-Tochtergesellschaft seit der Inhaftierung des beurlaubten Vorstandsvorsitzenden Rupert Stadler (55) steckt. Der langjährige Audi-CEO sitzt seit mittlerweile sechs Wochen in der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen wegen der Dieselbetrugsaffäre in Untersuchungshaft. Zwar führt seitdem sein Vorstandskollege Bram Schot den BMW-Rivalen kommissarisch weiter, doch der im obersten Leitungsgremium für den Vertrieb zuständige 57-jährige Niederländer ist nur ein CEO auf Abruf. Unter ZeitdruckDenn der Mehrheitseigentümer der börsennotierten Audi AG, der Wolfsburger Mehrmarkenkonzern, bereitet sich auf einen neuen Lenker in der oberbayerischen Provinzstadt vor. So soll Markus Duesmann, der bis vor einer Woche noch im BMW-Vorstand das Einkaufsressort verantwortete, zum künftig neuen Audi-CEO aufgebaut werden. Das ist jedenfalls eine Option, die in der VW-Zentrale in der niedersächsischen Tiefebene durchgespielt wird. Doch bis es so weit ist, wird noch viel Zeit vergehen. Schließlich kann der 49 Jahre alte Maschinenbauingenieur gemäß seinen Vertragsklauseln erst im Oktober 2020 zum Konkurrenten wechseln. Duesmann geht offiziell in den VW-Vorstand. Sollte er also Audi-CEO werden, müsste darüber der Aufsichtsrat der VW-Tochter entscheiden, deren Vorsitzender Herbert Diess ist, der Duesmann aus BMW-Zeiten gut kennt. Diess führt den VW-Konzern seit Mitte April dieses Jahres. Der frühere BMW-Entwicklungsvorstand folgte auf den zuletzt amtsmüden Matthias Müller (68), den die Unternehmerfamilien Porsche und Piëch absetzten. Die Nachfolgesuche bei Audi ist zwar angesichts der vertrackten Lage, in die sich das Unternehmen selbst hineinmanövriert hat, nur allzu verständlich. Allerdings schwächt dies Schots Position bei Audi, schließlich ist der Betriebswirt darum bemüht, das von der Dieselkrise durchgerüttelte Unternehmen mit einer von Stadler übernommenen Vorwärtsstrategie wieder auf Vordermann zu bringen. Schot versucht, in diesem Prozess eigene Duftnoten zu setzen. Wie soll aber jemand an der Spitze eines Unternehmens sich durchsetzen und auf breite Akzeptanz in der Konzernbelegschaft stoßen, wenn er nur als Zwischenlösung gilt? Aufgrund der Unklarheit wird es für Schot schwierig, der von den Abgasmanipulationen zurückgeworfenen Audi-Gruppe auf den Feldern Elektroautos, autonomes Fahren und neue Mobilitätskonzepte zu neuem Schwung zu verhelfen. Audi geht wertvolle Zeit im Kampf um Marktanteile und um die technische Führerschaft verloren, je länger die Unsicherheit über die Spitze anhält.Der Audi-Slogan “Vorsprung durch Technik” ist nicht nur seit der Aufdeckung des Dieselskandals (September 2015) unangemessen und ein PR-Eigentor, sondern der darin nach außen vermittelte Anspruch stimmt mit der Wirklichkeit längst nicht mehr überein. Audi wirkt gegenüber dem Wettbewerber BMW in Bezug auf die Zukunftsthemen wie abgehängt. Unterdessen ist eine Rückkehr von Stadler auf den Audi-Chefsessel längst vom Tisch. Die beiden VW-Eigentümerfamilien rückten von diesem Szenario ab, als klar wurde, dass die Inhaftierung des langjährigen Vorstandsvorsitzenden sich hinzieht. Stadlers Anwalt legte zwar mittlerweile eine Haftbeschwerde mit dem Ziel ein, dass sein prominenter CEO-Mandant auf diese Weise alsbald aus dem Gefängnis herauskommt, doch ob die Justiz diesem Antrag stattgibt, ist offen. Von einem Eilverfahren kann jedenfalls keine Rede sein, benötigen doch das zuständige Oberlandesgericht München und die Strafverfolger viel Zeit, um die Beschwerde zu prüfen. Das liegt an der Komplexität des Falles. Zudem soll sich Stadler in den Vernehmungen angeblich sehr schmallippig zu den Vorwürfen geäußert haben, wie es heißt. Das könnte die Erfolgsaussichten der Beschwerde deutlich reduzieren. Gerichtsprozesse drohenSo zeichnet sich ab, dass der einstige Vertraute des früheren VW-Patriarchen Ferdinand Karl Piëch (81) und des einstigen VW-Chefs Martin Winterkorn (71) noch mindestens bis Ende dieser Woche in Haft bleibt. Der Absturz des Audi-CEO wegen der Dieselaffäre ist tiefer als der von Winterkorn, der nach Aufdeckung der illegalen Machenschaften gehen musste. Im Gegensatz zu Stadler blieb Winterkorn, gegen den in den USA seit diesem Frühjahr ein Haftbefehl vorliegt, im Zuge der Strafermittlungen in Deutschland ein Gefängnisaufenthalt bisher erspart. Doch beiden drohen in der Causa eine Anklage und ein Gerichtsverfahren vor Strafkammern. Im Falle einer Verurteilung könnte das noch Schadenersatzklagen im Rahmen von Zivilprozessen ihrer früheren börsennotierten Arbeitgeber nach sich ziehen. Es zeichnet sich also ab, dass die juristische Aufarbeitung des Skandals beide Ex-Weggefährten noch eine ganze Weile beanspruchen wird. —–Die Unsicherheit über die künftige Besetzung der Konzernspitze von Audi dauert an. —–