RECHT UND KAPITALMARKT

Hürden beim Verkauf von Altpolicen

Niedrigzinsumfeld setzt Versicherungsunternehmen unter Druck - Heraustrennen von Run-off-Beständen oftmals komplex

Hürden beim Verkauf von Altpolicen

Von Jan Eltzschig und Heike Schmitz *)Früher war die Lebensversicherung ein einfaches Geschäft: Der Garantiezins für sogenannte “klassische” Lebensversicherungspolicen lag bei 4 %, die durchschnittliche Verzinsung der Kapitalanlagen der deutschen Versicherungsunternehmen bei 7,5 %. Die Differenz reichte locker für die Verwaltungskosten und den Vertrieb der Versicherungsunternehmen, und es blieb noch ausreichend Überschuss für den Versicherungsnehmer übrig. Legen die Versicherungsunternehmen heute ihr Geld an, können sie von Renditen über 5 % nur träumen. Bei der Anlage in zehnjährigen Bundesanleihen müssen inzwischen sogar Negativzinsen gezahlt werden. Dementsprechend liegt der Garantiezins aktuell bei 1,25 %, ab 2017 sogar bei 0,9 %. Viele Versicherungsunternehmen verkaufen daher keine klassischen Policen mehr. Sie setzen stattdessen auf garantielose Policen, häufig auf Basis von Fonds. RessourcenbindungDamit sind aber noch nicht alle Probleme gelöst: Die bereits abgeschlossenen klassischen Policen mit hohen Garantiezinsen laufen weiterhin, manchmal noch 15 oder 20 Jahre. In der Branche werden Bestände solcher Policen als “Run-off”-Bestände bezeichnet. Die Betreuung und Abwicklung von Run-off-Beständen bindet bei den Versicherungsunternehmen viel Kapital und Ressourcen und ist strategisch nicht sinnvoll.Viele Versicherungsunternehmen würden daher gerne ihre Run-off-Bestände loswerden. Allerdings ist das in Deutschland nicht so einfach. Anders als beispielsweise in Großbritannien können Policen in Deutschland nicht mit Zustimmung der Versicherungsnehmer aufgelöst werden. Auch die in Großbritannien und den USA üblichen Rückversicherungslösungen führen in Deutschland nur zu einer sehr punktuellen Entlastung der Versicherungsunternehmen. Den Versicherungsunternehmen bleibt in der Regel nur der Verkauf der Run-off-Bestände. Als Käufer kommen vor allem auf Run-off-Bestände spezialisierte Anbieter in Frage.Vor einem erfolgreichen Verkauf von Run-off-Beständen müssen die Versicherungsunternehmen jedoch einige Hürden meistern. Häufig sind die zu verkaufenden Run-off-Bestände nicht vom übrigen Geschäft getrennt: Run-off-Policen und neue Policen werden vom selben Versicherungsunternehmen gehalten und von denselben Abteilungen verwaltet. Die Kapitalanlagen des Versicherungsunternehmens bedecken die Verpflichtungen aus den alten und den neuen Policen. Ein Verkauf ist nur möglich, wenn den Run-off-Beständen bestimmte Vermögenswerte zugeordnet werden. Dazu gehören Kapitalanlagen und, je nach Struktur des Versicherungsunternehmens, auch die für die Verwaltung der Altpolicen erforderlichen Betriebsteile. Einfacher wird es, wenn das Versicherungsunternehmen nur noch Run-off-Policen hält. Dann ist keine Trennung erforderlich.Bei jedem Verkauf müssen die Run-off-Bestände aus den Systemen des Verkäufers herausgelöst und in die Systeme des Erwerbers integriert werden. Angesichts der Vielzahl der in der Versicherungsbranche verwendeten IT-Systeme ist dies eine besondere Herausforderung. Zudem sind dabei strenge Anforderungen an Datenschutz und Vertraulichkeit zu beachten.Wenn die Run-off-Bestände in einem eigenen Versicherungsunternehmen liegen, können die Anteile an diesem Unternehmen verkauft werden. Dieser Anteilskauf wird als “Share Deal” bezeichnet. Hat das Versicherungsunternehmen neben den Run-off-Beständen noch andere Aktivitäten, müssen die Run-off-Bestände in der Regel gesondert vom Käufer als “Asset Deal” erworben werden. Im Rahmen des Share Deal erhält der Käufer ein vollständiges Unternehmen mit allen Vermögenswerten, Verpflichtungen und Arbeitnehmern, die das Unternehmen zum Zeitpunkt des Verkaufs hat. Bei einem Asset Deal muss hingegen genau abgegrenzt werden, welche Vermögenswerte und Verpflichtungen der Käufer erwerben soll.Ein Share Deal setzt allerdings voraus, dass das Versicherungsunternehmen so organisiert ist, dass ein Share Deal überhaupt möglich ist. Beispielsweise können die in Deutschland sehr zahlreichen Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit nicht ohne Weiteres an einen Dritten verkauft werden, weil sie ihren Versicherungsnehmern gehören.Ein Asset Deal kann unter Umständen aus bilanziellen Gründen nachteilig sein. Für viele Kapitalanlagen aus der Vergangenheit bestehen nach deutschem HGB-Bilanzrecht häufig sogenannte “stille Reserven”. In den Büchern der Versicherungsunternehmen stehen Kapitalanlagen in der Regel zu dem Preis, zu dem sie das Versicherungsunternehmen erworben hat. Dieser “Buchwert” weicht aber häufig erheblich vom tatsächlichen, inzwischen wesentlich höheren Marktwert der Kapitalanlagen ab. Die Differenz zwischen Buchwert und Marktwert bildet die sogenannten “stillen Reserven”. Der Verkauf dieser Kapitalanlagen im Rahmen eines Asset Deal kann zur Aufdeckung der stillen Reserven als Gewinn führen. Der Käufer muss die Versicherungsnehmer an diesem Gewinn beteiligen, ihm geht also Dispositionspotenzial für die Zukunft verloren. Diese Folgen können unter Umständen durch Rückgriff auf Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz vermieden werden.Die für die Aufsicht über Versicherungsunternehmen zuständige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) muss jeden Verkauf von Run-off-Beständen genehmigen. Die Übertragung von Run-off-Beständen im Rahmen eines Asset Deal muss die BaFin als sogenannte “Bestandsübertragung” genehmigen. Werden Anteile an einem Versicherungsunternehmen im Rahmen eines Share Deal verkauft, muss der BaFin die Absicht zum Verkauf angezeigt werden. Die BaFin hat dann in der Regel drei Monate Zeit zur Prüfung der Transaktion und kann diese notfalls untersagen. Plazet der BaFin nötigDie Genehmigung durch die BaFin ist eine wesentliche Hürde für den Verkauf von Run-off-Beständen. Die BaFin versteht sich nicht zuletzt als Interessenvertreterin der Versicherungsnehmer. Sie will verhindern, dass die Versicherungsnehmer durch den Verkauf schlechter gestellt werden. Egal ob Asset Deal oder Share Deal, die BaFin wird sich den Käufer der Run-off-Bestände und dessen Geschäftsmodell sehr genau ansehen. Geschäftspläne von mehreren hundert Seiten sind da keine Seltenheit. Dementsprechend lang können die Verfahren dauern. Im Markt etablierte und der BaFin bekannte Run-off-Plattformen haben es dabei naturgemäß leichter als Newcomer.Wohin geht die Reise? Laut einer im letzten Jahr veröffentlichten europaweiten Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC gehen 68 % der befragten Marktteilnehmer davon aus, dass sich die Anzahl der Verkäufe von Run-off-Beständen in der Sach- und Lebensversicherung in den nächsten zwei Jahren mehr als verdoppeln wird, vor allem in Großbritannien und Deutschland. Über 50 % der Befragten haben bereits selbst darüber nachgedacht, Run-off-Bestände zu verkaufen. Eine abweichende Marktsicht vertritt derzeit die BaFin. Sie hält Run-off in Deutschland für einen medialen Hype und bezweifelt das wirtschaftliche Potenzial für die Käufer. Tendenz steigendWer hat nun recht? Fest steht jedenfalls, dass die Anzahl und der Umfang von Run-off-Beständen in der Lebensversicherung in Deutschland in den letzten zwei Jahren erheblich zugenommen haben. Gleichzeitig geraten die Lebensversicherungsunternehmen durch das neue Aufsichtsregime Solvency II und das Niedrigzinsumfeld immer stärker unter Druck. Ob sich dies auf Dauer allein durch Kapitalmaßnahmen der Versicherungsunternehmen auffangen lässt, ist fraglich.Aus Angst vor möglichen Reputationsschäden schrecken derzeit viele Versicherungsunternehmen (noch) vor einem Verkauf zurück. Die letzten Äußerungen der BaFin sollen diese Zurückhaltung möglicherweise bestärken. Die nächsten zwei Jahre werden zeigen, ob der Verkauf von Run-off-Beständen nur ein medialer Hype oder eine echte Chance für den deutschen Versicherungsmarkt ist.—-*) Jan Eltzschig ist Partner, Heike Schmitz ist Senior Associate im Kölner Büro von DLA Piper.