IAA 2013: AUTOKONZERNE AUF DEM PRÜFSTAND (8)

Hyundai und Kia nehmen Fuß vom Gas

Koreaner setzen auf Qualitäts- statt Absatzwachstum - Anleger vermissen Wachstumsfantasie

Hyundai und Kia nehmen Fuß vom Gas

Die koreanischen Autobauer Hyundai und Kia haben in den vergangenen Jahren ein fulminantes Wachstum auf den wichtigen Automärkten hingelegt. Dabei sind sie den führenden Konzernen Toyota, General Motors und Volkswagen eng auf die Pelle gerückt. Jetzt nehmen Hyundai und Kia aber erst einmal den Fuß vom Gaspedal.Von Martin Fritz, TokioNach Jahren rasanten Wachstums hat das koreanische Duo aus Hyundai und Kia zur Überraschung der Wettbewerber freiwillig den Fuß vom Gaspedal genommen. Dabei ist die weltweite Nachfrage nach den verbrauchsarmen und preisgünstigen Modellen der zwei Marken aus Korea weiterhin stark. Doch Hyundai und Kia haben sich bewusst entschieden, trotz voll ausgelasteter Fabriken vorerst keine neuen Produktionsanlagen zu bauen. Angst vor Toyota-SyndromDer fünftgrößte Autobauer der Welt, der im vergangenen Jahr 7,1 Millionen Fahrzeuge herstellte, fürchtet bei einem weiteren schnellen Ausbau der Kapazitäten das “Toyota-Syndrom”. Damit spielen die Koreaner auf die Qualitätsprobleme ihres japanischen Konkurrenten nach dem schnellen Aufstieg zum Weltmarktführer an. Der Expansionsstopp wirkt sich bereits aus. In der ersten Jahreshälfte sank das Betriebsergebnis wegen gestiegener Kosten in Korea und wegen Wechselkurseffekten um 7,8 % auf 4,6 Bill. Won (3,1 Mrd. Euro).Hyundai und Kia wollen die durch teures Marketing (Welt- und Europameisterschaft im Fußball) erreichte Verbesserung ihres Markenimages nicht aufs Spiel setzen. Stattdessen achten sie auf die mittel- und langfristige Wertsteigerung ihrer Marken. Ihr Geschäftsmodell von “preiswert und hochwertig” ist nämlich an Grenzen gestoßen. Pro Auto soll künftig mehr hängen bleiben. Als Warnzeichen nahmen die beiden Hersteller den Rückruf von 1,9 Millionen Fahrzeugen wegen eines fehlerhaften Tempomats am Jahresanfang in den USA wahr. Der frühere Audi- und VW-Designer Peter Schreyer, der zunächst ein einheitliches Markengesicht für Kia geschnitten hatte, wurde auch für Hyundai engagiert. Schreyer soll die Markenprofile klarer herausarbeiten, nachdem sich Kia vom Billigsektor “nach oben” in das Hyundai-Territorium vorgearbeitet hat.Vor diesem Hintergrund hat Hyundai für das laufende Jahr ein Umsatzwachstum von nur 4 % vorhergesagt. Das wäre das geringste Plus seit der Jahrtausendwende. Allerdings haben die Koreaner ihre Vorhersage in der ersten Jahreshälfte mit einem Plus von 6 % übertroffen. Das verdankten sie in erster Linie dem chinesischen Markt. Dort verkaufte Hyundai zwischen Januar und Juni 36 % mehr Fahrzeuge, so dass der China-Anteil am globalen Hyundai-Absatz auf 20 % kletterte. Die Mehrverkäufe wurden durch eine dritte Fabrik in China ermöglicht.Dagegen leiden die Geschäfte in Nordamerika unter den begrenzten Fertigungskapazitäten. In den USA will Hyundai in diesem Jahr 734 000 Fahrzeuge verkaufen. Das wären nur 4,4 % mehr als im Vorjahr. Da der Gesamtmarkt Schätzungen zufolge um 5,5 % wachsen soll, dürfte Hyundais Anteil auf unter 5 % sinken.Auf dem koreanischen Heimatmarkt mit 1,6 Millionen Einheiten, einer wichtigen Bastion für den Gewinn von Hyundai, bröckelt die Substanz. Dort verkaufte man im ersten Halbjahr 0,7 % weniger Fahrzeuge, da besser betuchte Koreaner in der Oberklasse immer häufiger nach Importautos greifen. Zwischen Januar und April ist der Anteil der ausländischen Fahrzeuge am Gesamtmarkt um ein Fünftel auf 12 % gestiegen. In der Vergangenheit waren ausländische Premium-Marken wegen der Zölle und anderer Einfuhrkosten sehr teuer. Auf Kosten von Hyundai haben BMW, Audi und Mercedes-Benz in den vergangenen Jahren phänomenale Wachstumsraten erlebt. Das Tempo hat sich noch beschleunigt, seitdem der Importzoll durch das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union von 8 % auf inzwischen 3,2 % gesunken ist. Ab 2014 wird gar kein Zoll mehr fällig. Inzwischen sind europäische Luxusautos teilweise preiswerter als die koreanische Premium-Konkurrenz. Im ersten Quartal verkauften die drei deutschen Oberklassehersteller rund 18 000 Fahrzeuge mit einem Preis über 40 Mill. Won (27 000 Euro), Hyundai setzte über 31 000 Stück ab. Das sind zugleich jene Modelle, die Hyundai die höchsten Margen bringen. Der koreanische Staat versucht den Trend zum Importauto zwar gerade mit einer Sondersteuer und Steuerprüfungen der Importeure zu bremsen. Mittelfristig dürften die Ausländer den Koreanern aber weiter Marktanteile abnehmen. In Europa starkIm Gegenzug konnten Hyundai und Kia in Europa Marktanteile gewinnen, da auch ihre Importzölle reduziert wurden. Doch der 27-Länder-Automarkt inklusive Islands, Norwegens, Liechtensteins und der Schweiz schrumpfte 2012 auf 14,4 Millionen Fahrzeuge, ein Fünftel weniger als 2007, im Jahr vor der Finanzkrise. Zuletzt sanken die Neuzulassungen auf ein 20-Jahres-Tief. Auch die Verkäufe der Koreaner gingen jetzt um 9 % zurück.Hyundai will ihren Europa-Marktanteil auf 3,5 % stabilisieren und bis 2018 auf 4 % erhöhen. Die Koreaner setzen darauf, dass sich bei einer Konjunkturerholung kleine und preiswerte Fahrzeuge am besten verkaufen. Dabei würden sie dank ihrer gestärkten Markenkraft den europäischen Rivalen Peugeot, Fiat und Opel Kunden abjagen. Eine neue Fabrik außer dem fünf Jahre alten Werk in Tschechien und der Montage in der Türkei ist nicht geplant.Ohne die Wachstumsfantasie der vergangenen Jahre hat die Aktie von Hyundai Motor stark an Attraktivität eingebüßt. Seit Jahresanfang notiert sie praktisch unverändert. Das überrascht insofern, als Hyundai im zweiten Quartal so profitabel wie deutsche Premium-Autobauer war. Das Ergebnis sank zwar um 5 % auf 2,4 Bill. Won (1,6 Mrd. Euro), aber das entspricht immer noch eine Rendite von 10,4 %. Das ist der höchste Wert für einen Massenhersteller und übertrifft sogar Audi und BMW.Der Umsatz wuchs um 6 % auf 23,2 Bill. Won (15,7 Mrd. Euro). Das Kurs-Gewinn-Verhältnis von 6 (2014) ist niedrig, aber nicht billig. Denn darin steckt der für Korea typische Konglomeratsabschlag. Auch die Won-Aufwertung zum Yen verdirbt den Anlegern den Appetit auf die Hyundai-Aktie. Zudem leiden die Schwellenländer generell unter dem Kapitalrückzug in den Westen, da sich eine Wende in der US-Geldpolitik abzeichnet. Aggressive StreiksEin weiterer Grund für die Zurückhaltung ist die erneuerte Militanz der Firmengewerkschaft. Seit der Wahl eines aggressiven Chefs im Frühjahr 2012 kommt es nach vierjähriger Pause bei Hyundai wieder zu Arbeitskämpfen. Im Juli und August 2012 verhinderten mehrere Streiks den Bau von 82 000 Autos und verursachten den bisher größten Schaden von 1,7 Bill. Won (1,2 Mrd. Euro). In diesem Jahr verlangt die Gewerkschaft einen Bonus von acht Monatslöhnen und 56 Gramm Gold für Arbeiter mit mehr als 40 Jahren Betriebszugehörigkeit. Dabei verdienen Hyundai-Angestellte schon heute deutlich mehr als der durchschnittliche Industriearbeiter in Südkorea.—————–Zuletzt erschienen:- Honda, 31.8.- Toyota, 30.8.