"Ich habe eine innere schwäbische Hausfrau"
Die Aktie von Mensch und Maschine hat ihren Kurs in fünf Jahren gut versiebenfacht und notiert nahe ihrem Rekordhoch. Der CAD-Software-Spezialist aus Weßling bei München fährt trotz Coronakrise ein ehrgeiziges Wachstumsprogramm. CEO Adi Drotleff erklärt im Interview auf der Frühjahrskonferenz, die dieses Jahr virtuell als “Online 1on1 Summer Summit” durchgeführt wird, wie das klappen soll. Herr Drotleff, der Börsenwert von Mensch und Maschine liegt bei rund 800 Mill. Euro, und das mitten in der Coronakrise. Schaffen Sie dieses Jahr noch die Milliarde?Das ist nichts, was mich interessiert. Mich interessiert, ob wir dieses Jahr unsere Ziele schaffen. Den Kurs machen nicht wir. Wir machen nur den Gewinn pro Aktie. Die Aktie notiert bei 46,80 Euro nahe dem Rekordhoch von 54,80 Euro. Die coronabedingten Verluste sind fast komplett aufgeholt. Sind die Anleger da nicht etwas blauäugig angesichts der Gefahren einer zweiten Coronawelle?Wie gesagt, den Aktienkurs machen Angebot und Nachfrage. Ich bin generell der Meinung, dass es am Aktienmarkt noch eine W-Formation geben wird. Außerdem gab es letztes Jahr im August auch eine größere Abwärtsbewegung. Saisonal gesehen ist es normal, dass es auch mal runtergeht. Welche Auswirkungen hat Corona auf das Unternehmen?Wir haben hauptsächlich Auswirkungen im Bereich CAM, wo wir Software für Werkzeugmaschinen verkaufen. Das ist ein Direktvertriebsgeschäft. Wir hatten auch im Seminarbereich Auswirkungen, da seit Mitte März kaum Präsenzseminare kaum stattfinden konnten. Deshalb sind wir im März auf Online-Seminare umgestiegen. Das wird sehr gut angenommen, denn offenbar konnten nicht viele Unternehmen so schnell reagieren wie wir. Wir hatten solche Seminare auch schon vorher angeboten, aber damals fehlte die Nachfrage dafür. Jetzt ist sie da. Haben Sie selbst während der Krise im Homeoffice gearbeitet?Wir hatten während der Krise weit über 90 % der Mitarbeiter im Homeoffice. Die Kernmannschaft, also der Vorstand und die nachgeordneten Geschäftsführer, sind in der Zentrale auf der Brücke geblieben. Ich war also nicht im Homeoffice. Wie lief es in Asien?Zu unserer positiven Überraschung hat in China Ende des ersten Quartals das Geschäft wieder angefangen. Wie viele arbeiten konzernweit jetzt noch im Homeoffice?Jetzt sind es noch konzernweit über 50 %. Wir sind ja eine Software-Entwicklungsfirma, und Entwickler arbeiten sehr gern zuhause. Wie wollen Sie den Betrieb weiter hochfahren?Wir überlassen es im Moment den Niederlassungsleitern und den einzelnen Mitarbeitern, ob sie weiter im Homeoffice arbeiten wollen. Im Homeoffice kommt es darauf an, wie gut sich die Leute organisieren können. Wenn sie sich zuhause nicht gut organisieren können, drängt es sie von selbst wieder zurück ins Büro. Für 2020 peilen Sie einen Umsatzzuwachs von 10 bis 12 % und ein Plus von 18 bis 24 % beim Nettogewinn je Aktie an. Gilt das auch, wenn eine zweite Coronawelle kommt?Wir achten bei der Guidance grundsätzlich auf die Bottom Line. Im ersten Quartal haben wir 10 Cent mehr Gewinn pro Aktie gemacht als im Vorjahresquartal. Daran sehen Sie, dass in unserer Prognose schon etwas Pessimismus steckt. Wir rechnen mit Corona-Effekten im zweiten Quartal, das haben wir bereits in dieser konservativen Prognose berücksichtigt. Wie steuern Sie gegen?Das Gegensteuern über die Kosten ist während der Pandemie besser zu machen als sonst, denn wir können die Ausgaben in drei Bereichen senken. Wir haben erstens einen sehr starken Rückgang bei Reisekosten und Veranstaltungskosten. Zweitens haben wir Kostenelastizität bei den Gehältern, das heißt wir haben einen hohen Grad an variablen Anteilen in den Gehältern, der mit dem Gewinn atmet. Drittens haben wir als Sahnehäubchen das Instrument der Kurzarbeit. Derzeit arbeiten rund 5 % der Beschäftigten kurz. Wir haben keine großen Überkapazitäten, das kommt uns jetzt zugute. Sie fokussieren vor allem auf das Ergebnis unterm Strich und nehmen zur Not in Kauf, dass das Umsatzwachstumsziel von 10 bis 12 % nicht erreicht wird?Das Umsatzziel ist uns ehrlich gesagt kurzfristig ziemlich egal. Das erste Quartal brachte ein Plus von 24,5 % beim Umsatz und von 34 % beim Nettogewinn. Wie lief das zweite Quartal?Das Quartal ist schon fast zu Ende, aber natürlich noch nicht ausgewertet. Wir haben unsere Guidance nicht kassiert, und deshalb können Sie davon ausgehen, dass das zweite Quartal zwischen dem sehr guten 2019er Quartal und dem guten 2018er Vergleichsquartal zu liegen kommt. Wir bleiben gut im profitablen Bereich, werden aber das Rekordquartal aus dem Vorjahr nicht toppen können, im Gegensatz zum ersten Quartal. Im April hatten Sie erklärt, im zweiten Quartal noch deutliche Corona-Bremseffekte zu erwarten. Ist es so gekommen?Das Geschäft ist in dem von uns erwarteten Umfang zurückgegangen. Durch unser China-Geschäft hatten wir frühzeitig die nötigen Erfahrungen, um die Auswirkungen für uns gut abzuschätzen. Sie selbst halten 44,2 % des Grundkapitals. Wie wäre es, wenn Sie davon mal ein wenig verkaufen würden? Das wäre doch gut für den Streubesitz.Wir werben ja damit, dass die Firma börsennotiert und eigentümergeführt ist. Wir sehen nicht, dass das ein Nachteil ist. Ich habe noch einen 19 Jahre älteren Kollegen namens Georg Nemetschek, der mit seiner Familie circa 50 % an dem Unternehmen Nemetschek hält und dort auch noch im Aufsichtsrat sitzt. Nemetschek hat es bis in den MDax geschafft und ist sehr profitabel. Unsere Aktionäre sehen in meiner Beteiligung einen Vorteil. Wer darin einen Nachteil sieht, soll andere Aktien kaufen. Im Moment aber vielleicht nicht Wirecard. Sie sind 66 und haben als Gründer, Großaktionär und Vorstands- sowie Verwaltungsratsvorsitzender in Personalunion und eine ungeheure Machtfülle. Das gilt unter Governance-Gesichtspunkten als gefährlich. Wer schützt Sie vor sich selbst?Sie können davon ausgehen, dass ich in 19 Jahren nicht mehr im Vorstand sitze. Herr Nemetschek war 64, als er seine Firma an die Börse gebracht hat, ich war 43 Jahre alt. Sie lenken ab. Wer schützt Sie vor sich selbst?Ich habe eine innere schwäbische Hausfrau, die mich vor mir selbst schützt. Ich habe großen Respekt davor, innerer Hybris zu verfallen. Im Übrigen muss ich Ihnen widersprechen, dass meine Position aus Corporate-Governance-Gesichtspunkten bedenklich ist. Bedenklich ist es, wenn jemand gar keine Anteile an der Firma hat und dann zugleich Chairman of the Board und CEO ist, was es in den USA bisweilen gibt. Ihren Nachfolger, der Ihr Lebenswerk fortführt, haben Sie ganz gewiss schon aufgebaut. Welche Eigenschaften muss er oder sie denn haben?Ich habe mich mit Anfang 40 entschieden, die Firma an die Börse zu bringen. Insofern gibt es gar kein Lebenswerk mehr von mir. Die Firma wurde durch den Börsengang bereits auf eine professionelle Basis gestellt. Ich bin heute deutlich mehr Verwaltungsratsvorsitzender als CEO, das heißt ich habe eigentlich alles Operative längst abgegeben. Herr Pech, unser CFO, ist außerdem 21 Jahre jünger als ich. Das Interview führte Daniel Schauber.