Im Apothekenmarkt grassiert die Furcht vor Amazon
Von Annette Becker, DüsseldorfDer Schrecken, den Amazon in diesem Sommer dem US-Lebensmittelhandel mit der Übernahme der auf Bio-Lebensmittel spezialisierten Supermarktkette Whole Foods einjagte, steckt den Unternehmen noch heute in den Gliedern. Der Grund ist simpel, versteht es Amazon doch, stationäres Handelsgeschäft ins Internet zu übertragen und dabei beim Konsumenten mit erstklassigen Marketing- und Logistikkonzepten zu überzeugen.Kein Wunder, dass die Aufmerksamkeit groß war, als ein Branchendienst kürzlich verkündete, der US-Konzern stehe in Übernahmeverhandlungen mit Shop Apotheke, Europas größter Versandapotheke für rezeptfreie Medikamente (OTC, over the counter). Zwar folgte das Dementi des vermeintlichen Übernahmeziels auf dem Fuße, die Fantasie hält sich jedoch bis heute. Sehr hohe MargenAus gutem Grund, glaubt Patricia Moubarak, Managing Dircetor in der Life-Sciences-Praxis bei Accenture Strategy. Der Schritt sei dem Versandhändler aus den USA ohne Weiteres zuzutrauen, zumal es sich um einen äußerst attraktiven Markt handelt. Liegen die Hersteller-Margen bei “normalen” Konsumartikeln zwischen 5 und 15 %, rangieren sie bei Gesundheitsprodukten zwischen 15 und 25 %. Bei Pharmaprodukten sind es sogar mehr als 25 %. Mit nicht preisgebundenen OTC-Produkten winkt Apotheken daher ein lukrativer Zusatzverdienst.Der Apothekenmarkt mit verschreibungsfreien Medikamenten brachte es hierzulande nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA) 2016 auf ein Volumen von 6,6 Mrd. Euro, inklusive der apothekenüblichen Kosmetik- und Pflegeprodukte waren es sogar 8,4 Mrd. Euro. Davon entfallen etwa 15 bis 16 % auf den Versandhandel. In den übrigen Ländern Kontinentaleuropas bringt es der OTC-Versandhandel dagegen nur auf einen Anteil von 2 bis 3 %.Für Amazon wäre der Schritt in den Apothekenversandhandel insofern ein Novum, als erstmals ein stark regulierter Markt betreten würde. Denn im Versandhandel von Medikamenten – egal ob verschreibungspflichtig oder verschreibungsfrei – existieren hohe Markteintrittsbarrieren. So ist es beispielsweise Pflicht, dass es am Versandort auch eine stationäre Apotheke gibt. Zudem muss ein Apotheker den Versand freigeben. Erschwerend kommt hinzu, dass der Markt gerade auch mit Blick auf die Preissetzung in Kontinentaleuropa von Land zu Land unterschiedlich reguliert ist.In Deutschland beispielsweise ist die Preisgebung für OTC-Produkte frei, in Frankreich ist die Preisgebung nur für jene OTC-Produkte frei, die nicht von Krankenkassen vergütet werden, während die Endverbraucherpreise für rezeptfreie Medikamente in Spanien grundsätzlich reguliert sind, wie Moubarak weiß. Einschlägiges Know-how in diesem Bereich aufzubauen, dürfte daher für Amazon weitaus schwieriger sein, als einen etablierten Apothekenversender zu übernehmen – unabhängig davon, dass der US-Internetriese bei Shop Apotheke schon allein aufgrund der Eigentümerstruktur – die Firmengründer halten die Mehrheit und sind nicht verkaufswillig – auf Granit beißen dürfte.Dass der Markt so stark reguliert ist, wird gerne mit Verweis auf den Verbraucherschutz begründet. Doch ist auch klar, dass die hiesige Apothekerlobby stark ist. Zwar bietet der US-Händler auch heute schon verschreibungsfreie Medikamente an, allerdings nur auf seinem Marktplatz, auf dem sich Drittanbieter, in diesem Fall Apotheken, tummeln. Doch wenngleich zahlreiche Apotheker hierzulande auch eine Versanderlaubnis besitzen, verkaufen nach Angaben von Sempora Consulting nur 6 % OTC-Produkte über Internetplattformen. DamoklesschwertAuf eine exklusive Partnerschaft mit Amazon hat sich bislang nur eine Münchener Apotheke eingelassen. Seit Mai dieses Jahres können Kunden der Bienen-Apotheken, eine Kooperation mit 15 Filialen, OTC-Medikamente über den Expressdienst “Prime Now” ordern. Das Marktgebiet ist allerdings auf München begrenzt.”Amazon wird als Damoklesschwert über dem deutschen Handel bezeichnet – und das ist richtig. Aber wir wollen da sein, wo der Kunde ist – und der Kunde ist bei Amazon”, brachte es Hartmut Deiwick, Geschäftsführer der Berliner Versandapotheke Aponeo, auf den Punkt. Deiwick selbst hat sich allerdings nicht für “Prime Now” qualifiziert. Zu hoch waren die logistischen Anforderungen. Dass die (deutschen) Apotheker den US-Versandhändler fürchten, liegt aber auch daran, dass sie in der Regel nur über geringes Know-how in der Logistik verfügen.Vor diesem Hintergrund ist auch verständlich, dass sich Versandapotheken wie Shop Apotheke oder Doc Morris, die sich regulierungsbedingt in den Niederlanden angesiedelt haben, sputen, ihren Marktanteil auszubauen. Denn fest steht, wenn Amazon in das attraktive Handelssegment eintritt, werden viele der kleineren Versender aus dem Markt gedrängt.Neben Amazon, so die gängige Expertenschätzung, dürften maximal drei große Anbieter existieren können. “Wenn man sich anschaut, dass zwischen ersten Spekulationen über einen Einstieg von Amazon in den Markt für frische Lebensmittel nur sechs bis zwölf Monate vergangen sind, ist es gut vorstellbar, dass Amazon beim Thema Versandapotheke binnen zwölf Monaten Vollzug melden kann”, ist Moubarak überzeugt.