RECHT UND KAPITALMARKT

Im Insolvenzrecht besteht Nachbesserungsbedarf

Mindestanforderung: Plan des "Koordinationsverwalters" muss Bindungswirkung in den einzelnen Konzerngesellschaften haben

Im Insolvenzrecht besteht Nachbesserungsbedarf

Von Stefan Sax und Martin Jawansky *)Zum Ende der auslaufenden Legislaturperiode hat das Bundeskabinett quasi in letzter Minute am 28. August den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen beschlossen. Er basiert im Wesentlichen auf einem vom Justizministerium am 3. Januar vorgelegten Diskussionsentwurf. Aus zeitlichen Gründen kann der Regierungsentwurf in dieser Legislaturperiode nicht mehr als Gesetz in Kraft treten. Je nach Ausgang der Bundestagswahl könnte er kurz danach neu eingebracht werden. Das Ziel, ein auf die Sanierung der wirtschaftlichen Werte des Konzerns ausgerichtetes modernes Insolvenzrechtskonzept aufzustellen, erreicht der Entwurf nicht. Alles einsEine Gesellschaft, ein Vermögen, ein Insolvenzverfahren. An diesem traditionellen Ansatz des deutschen Konkursrechts hält der Gesetzgeber fest. Es soll weder eine materielle Konsolidierung der einzelnen Insolvenzmassen noch ein für alle Konzerngesellschaften einheitliches Verfahren geben. Das ist bedauerlich.Eine materielle Konsolidierung der Insolvenzmassen wäre die stärkste Form der Konzerninsolvenz und würde zur Bündelung aller Gläubiger in einem Verfahren über eine einheitliche Masse führen. Ein solches Modell würde zwar einen Eingriff in die privatautonomen Vertragsbeziehungen darstellen, da der jeweilige Gläubiger rechtlich nicht mit dem Konzern, sondern mit einer Gesellschaft kontrahiert hat. Es ist aber zum einen nicht ungewöhnlich, dass das Insolvenzrecht eine vom Bürgerlichen Gesetzbuch abweichende Lösung vorgibt. Zum anderen wird es bei einer Vielzahl von Gläubigern so sein, dass sie in ihre Kreditentscheidungen gerade auch den Gesamtkonzern mit einbeziehen.Der Regierungsentwurf erteilt einer solchen materiellen Konsolidierung eine klare Absage und vergibt die Chance, eine den wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragende schlanke Konzerninsolvenz einzuführen. Ein rechtsvergleichender Blick zeigt, dass die Zusammenlegung der einzelnen Massen in einer einheitlichen Konzerninsolvenz nicht unbekannt ist. So wird in den USA etwa bei Fällen der Vermögensvermengung eine materielle Konsolidierung im Sinne einer “substantive consolidation” durchgeführt. Nur ein VerwalterWill man die Trennung der einzelnen Gesellschaften aufrechterhalten, wäre als kleineres Modell ein einheitliches Verfahren mit einem Konzerninsolvenzverwalter möglich gewesen. Auch diese Lösung verwirft der Regierungsentwurf ohne nachvollziehbare Begründung. In den vergangenen Jahren wurde in der Rechtswissenschaft gefordert, eine Vereinheitlichung der Verfahren durch die Einsetzung nur eines Insolvenzverwalters zu erreichen. Soweit in der Begründung des Gesetzesentwurfs auf widerstreitende Interessen im Konzern hingewiesen wird, ließe sich dem durch Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters Rechnung tragen. Demgegenüber sieht der Regierungsentwurf die vollständige Aufrechterhaltung der gesellschaftsrechtlichen Trennung und die Beibehaltung getrennter Verfahren aller rechtlichen Einheiten vor. Damit bleibt das teure, auf viele Einzelverfahren basierende Insolvenzrecht erhalten und wird sogar noch weiter bürokratisiert. Zahlreiche neue Abstimmungspflichten drohen den Konzern in der existenzbedrohenden Phase zu belasten und die noch vorhandenen Werte zu vernichten.Zu begrüßen ist die Schaffung eines neuen Gruppengerichtsstands. Damit wird es den von der Insolvenz betroffenen Unternehmen ermöglicht, für die Fälle unterschiedlicher Unternehmenssitze von Gruppengesellschaften ein Gericht mit einem zuständigen Insolvenzrichter zu wählen. Die Zuständigkeitskonzentration dient der Verschlankung des Verfahrensablaufs. Nachbesserungsbedarf besteht jedoch in der Einbindung der Gläubiger. Der Regierungsentwurf sieht kein Recht der Gläubiger vor, die Zuständigkeitskonzentration auf ein Insolvenzgericht herbeizuführen. Nimmt man das eigentliche Ziel der Insolvenz in den Blick, für eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger zu sorgen, wäre die Ausdehnung des Antragsrechts auf die Gläubiger nur konsequent.Kern des Regierungsentwurfs ist ein neues Koordinationsverfahren, das zusätzlich zu den jeweiligen Einzelverfahren am Gruppengerichtsstand eröffnet werden kann. Damit schlägt der Gesetzgeber einen anderen Weg ein als der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung zur Änderung der Europäischen Insolvenzordnung.Die wichtigste Rolle im neuen Koordinationsverfahren kommt dem Koordinationsverwalter zu. Anders als noch im Diskussionsentwurf vom Januar vorgesehen soll der Koordinationsverwalter nach dem Regierungsentwurf nicht aus dem Kreis der in den konzernangehörigen Einzelgesellschaften bestellten Insolvenzverwalter rekrutiert werden, sondern ein hiervon unabhängiger Verwalter sein, der als Mediator und neutraler Vermittler fungiert. Ohne KompetenzenZur Koordinierung der Einzelverfahren kann der Koordinationsverwalter einen Koordinationsplan erstellen, in dem er das Leitbild des zu sanierenden Konzerns entwickelt. Rechtstechnisch handelt es sich hierbei um einen Insolvenzplan ohne gestaltenden Teil. Darin liegt die entscheidende und gravierende Schwäche: Der Koordinationsplan hat für die in den jeweiligen Konzerngesellschaften eingesetzten Verwalter keine Bindungswirkung. Dem Koordinationsverwalter selbst steht keine Masse zur Verfügung, da er nicht gleichzeitig Insolvenzverwalter eines Einzelunternehmens im Konzern ist. Letztlich ist zu fragen, ob das Konzerninsolvenzverfahren durch einen kompetenzlosen Koordinationsverwalter zusätzlich aufgebläht und verteuert wird, ohne eine signifikante Verbesserung zu erreichen.Kritisch ist die neue Regelung zur Vergütung des Koordinationsverwalters zu sehen. Danach soll Bemessungsgrundlage für den Regelsatz seiner Vergütung die Summe der zusammengefassten Einzelmassen aller Konzernunternehmen sein. Dies führt zu einer erheblichen Kostenbelastung der Konzerninsolvenz. Es besteht das Risiko, dass durch die Kumulation der Vergütungen verschiedener Insolvenzverwalter die noch vorhandene Masse schrumpft, ohne dass ein nennenswerter Sanierungsbeitrag geleistet wird.Der Nestor des deutschen Insolvenzrechts Wilhelm Uhlenbruck hat in seinem 1977 erschienen Beitrag “100 Jahre Konkursordnung” die Erwartungen an den Gesetzgeber präzise formuliert: “Ein Insolvenzgesetz, das nicht imstande ist, die Sanierung und Schuldenbereinigung größerer Unternehmen mit Tausenden von Gläubigern und Arbeitnehmern zu ermöglichen, kann zumindest aus wirtschaftlicher Sicht nicht den Anspruch erheben, ein treffliches Gesetz zu sein.”Legt man dieses auch heute noch zutreffende Anforderungsprofil zugrunde, ist die Enttäuschung über den Regierungsentwurf groß. Er führt zur Bürokratisierung, ohne die Sanierung und damit auch den Erhalt der Arbeitsplätze sowie die bestmögliche Gläubigerbefriedigung sicherzustellen. Durch einige Änderungen des Gesetzesentwurfs könnte wenigstens ein erster vernünftiger Schritt zur Erleichterung der Konzerninsolvenz gemacht werden.Mindestanforderungen wären, dass der vom Koordinationsverwalter vorgelegte Plan wie ein echter Insolvenzplan Bindungswirkung in den einzelnen Konzerngesellschaften haben muss. Ob man den Koordinationsverwalter überhaupt benötigt, sollte noch einmal kritisch hinterfragt werden. Im Regelfall wird ein einziger Insolvenzverwalter eine wirtschaftlich befriedigendere Lösung für die Sanierung des Konzerns erreichen können. Und schließlich sollten die zu begrüßenden Möglichkeiten einer Zuständigkeitskonzentration auf ein Insolvenzgericht auch den Gläubigern offenstehen.Unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl besteht also erheblicher Nachbesserungsbedarf, wenn das moderne Konzerninsolvenzrecht eine Lösung zu einer auf den Erhalt der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns ausgerichteten Sanierung anbieten möchte.—-*) Dr. Stefan Sax ist Partner und Dr. Martin Jawansky Counsel bei Clifford Chance in Frankfurt.