Im Würgegriff von Amazon, Netflix und Co.

"Ohne Zusammenschlüsse wird es nicht gehen" - Experten rechnen mit noch mehr M&A in der TV-Branche

Im Würgegriff von Amazon, Netflix und Co.

Von Heidi Rohde, FrankfurtAn Gesprächsstoff herrscht kein Mangel, wenn Vertreter der Branche morgen beim Mediengipfel auf der Anga.com in Köln zusammentreffen: Das breite Publikum hat einstigen Börsenlieblingen wie ProSiebenSat.1 den Rücken gekehrt, ebenso anderen Unternehmen des Sektors, und zwar am Kapitalmarkt wie mitunter auf dem Bildschirm. Während die RTL-Aktie binnen Jahresfrist 37 % verlor, gab die ProSieben-Aktie sogar 44 % ab. Axel-Springer-Titel hatten rund 30 % eingebüßt, bevor KKR ihren geplanten Einstieg ankündigte (vgl. BZ vom 1. Juni).Der Angriff auf die TV-Sender kam – wie andernorts – zunächst schleichend, dann mit Macht über das Internet. Das Streaming von Filmen und Videos hat OTT-Player (Over-the-Top-Anbieter) wie Netflix, Amazon und Co. in kurzer Zeit zu Giganten im TV gemacht, die das Geschäftsmodell der etablierten Sender bedrohen. Vor allem die beiden großen privaten Free-TV-Anbieter dürften den Siegeszug der Streaming-Anbieter bald noch deutlicher zu spüren bekommen, glauben Experten. Denn ihr Kerngeschäft ruht auf Werbeeinnahmen, deren Höhe insgesamt von der Reichweite ihrer Programme abhängt, insbesondere davon, dass es gelingt, das deutsche Publikum bei einzelnen Sendungen millionenfach vor dem Bildschirm zu versammeln.Diesem Massengeschäft setzen die Streaming-Anbieter ein anderes Geschäft mit der Masse entgegen. Ihre Bezahlmodelle setzen auf vielfältige zielgruppengenaue Produktionen, deren Rentabilität durch globale Skalierung erreicht wird. Die TV-Märkte einzelner Länder werden durch diese Angebotsvielfalt allerdings fragmentiert, so dass das Modell “Hohe Werbeeinnahmen für hohe Einschaltquoten” auf Dauer nur noch bedingt funktionieren kann.Entspannung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Der Siegeszug eines Start-up wie Netflix hat bereits zahlreiche finanzstarke Nachahmer hervorgebracht, namentlich Amazon Prime, die globale Nummer 2, oder Disney. Mit dem just avisierten Einstieg von Apple in den lukrativen Markt steigt eine weitere US-Ikone in den Ring. Für Westeuropa wird bis 2024 mit rund 130 Millionen Abonnenten gerechnet. Erfolgsfaktoren der Streaming-Anbieter sind neben der globalen auch die technische Reichweite, die Verfügbarkeit auf zahlreichen Geräten über das Internet. Hinzu kommt der ständig wachsende “Program Value”: Immer aufwendigere Produktionen ziehen ein großes Staraufgebot an, das wiederum immer mehr Zuschauer anzieht.Angesichts der globalen Reichweite dieser Unternehmen, die aufgrund ihrer marktmächtigen Ökosysteme bereits eine etablierte Kundenbasis ansteuern können, ist ein Schulterschluss für die hiesige TV-Branche das Gebot der Stunde, glaubt Gabriel Mohr, Branchenexperte bei Arthur D. Little. “Ohne Zusammenschlüsse wird es nicht gehen, entweder in Deutschland oder sogar in Europa”, betont er. Ein Startschuss ist in der Branche immerhin gefallen: Mediaset steigt bei ProSieben ein, Canal+ kauft den Wettbewerber M7. Hierzulande kommen “Zusammenschlüsse” indes nur langsam in Gang. Zwar bastelt ProSieben mit dem US-Konzern Discovery Communications an einer gemeinsamen Streaming-Plattform, bei der auch ZDF oder Axel Springer mitmachen wollen. RTL allerdings, die viel Geld in die eigene Plattform “TV Now Premium” gesteckt hat, ist nicht dabei, ebenso wenig die ARD – bisher.Zeit ist allerdings angesichts der bekannten Schlagkraft der US-Technologiefirmen ein bedeutender Faktor. Wie stets im Internet dürfte es schwierig sein, ein verspätetes “Me-too-Angebot” im Markt zu platzieren, wenn die Vorreiter schon große Marktanteile erreicht haben. Das Problem dürfte im europäischen Markt sogar schon Apple treffen, für die bis 2024 nur mit geringer Abonnentenzahl gerechnet wird.Echte Zusammenschlüsse, die auch mit Kapital unterlegt sind und entsprechende Projekte schneller voranbringen könnten, tun womöglich not. Anläufe hat es gegeben, etwa von Springer und ProSieben. Sie sind zweimal gescheitert. Mit wachsendem Druck mag sich hier in Europa noch mehr tun.