„Impact Accounting bewährt sich im Praxistest“
Im Gespräch: Christian Heller
„Impact Accounting bewährt sich im Praxistest“
Der CEO der Value Balancing Alliance über die Fortschritte in der Bewertung von Nachhaltigkeitsaspekten und die globale Verankerung der Initiative
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Die Value Balancing Alliance heftet nach einheitlicher Methodik ein Preisschild an Umweltschäden und Emissionen. Das soll die interne Steuerung von Unternehmen verbessern, genauso wie deren Berichterstattung, erläutert VBA-CEO Christian Heller.
Seit 2019 arbeitet die in der Privatwirtschaft gegründete Value Balancing Alliance (VBA) an einer Methodik zur monetären Abbildung und Bewertung von Nachhaltigkeitsaspekten. Gemeinsam mit der in Boston ansässigen Partnerorganisation International Foundation for Valuing Impacts (IFVI) hat die VBA jüngst ein Rahmenkonzept für Impact Accounting vorgestellt.
Ziel der Initiative ist es, international einheitliche Standards zu entwickeln, um die nachhaltige Wertschöpfung von Unternehmen, den Nutzen und die Kosten von Geschäftsmodellen umfassend zu messen und in ihren Auswirkungen zu bilanzieren. Damit sollen sowohl Entscheidungsfindung und Steuerung im Unternehmen als auch die Berichterstattung „verbessert und greifbar gemacht werden“.
Vorreiter Puma
VBA-Vorsitzender Christian Heller erinnert mit Blick auf das Themenspektrum an die Historie der Initiative. Der Sportartikelhersteller Puma, damals Tochterunternehmen vom VBA-Mitglied Kering, habe 2009 als Vorreiter zum ersten Mal eine umweltbezogene Gewinn-und Verlust-Rechnung veröffentlicht und dabei externe Kosten berücksichtigt. „Das Unternehmen stellte sich die Frage, wenn ich ein T-Shirt produziere, erziele ich Gewinn, aber auf Kosten der Umwelt. Und diese Umweltkosten trage ich nicht selbst. Was würde passieren, wenn ich dafür etwas zahlen müsste, wie würden sich Preise für Trikot und Turnschuh verändern und wie würde es sich in meinen Finanzkennzahlen widerspiegeln?“, fasst Heller den Ansatz zusammen. Das Ergebnis dieser Rechnung wurde damals auf der Webseite veröffentlicht.
Wenig später fanden Kering und Puma Nachahmer, darunter große Konzerne wie BASF, Novartis, Nestlé und Holcim. Die Unternehmen kamen zu dem Schluss, das erworbene Know-how zu bündeln. Daraus ist ein Impact Valuation Roundtable entstanden als lose Formation von Unternehmen, die sich untereinander austauschten. Heller hat das Thema damals in der BASF betreut.
Mit Dummy-Company angefangen
Im Jahr 2018 haben schließlich fünf Unternehmen ihre Methoden zur Impact Valuation unter die Lupe genommen, um herauszufinden, welche Unterschiede es in ihren Modellen gibt. „Wir haben eine Dummy-Company gebaut und die Methoden darauf angewendet. Damit wurde klar, dass die Spannweiten in den Berechnungen sehr unterschiedlich waren. Daraus erwuchs das Ziel, zu einer viel höheren Standardisierung zu kommen, um am Schluss in den Markt gehen zu können und vergleichbar zu sein. Das Ergebnis war die VBA, die im Sommer 2019 gegründet wurde“, erklärt Heller.
Umweltschäden und Emissionen habe die VBA von Beginn an mit einem Preisschild versehen, es ging in dem Ansatz nicht allein um qualitative Daten oder verbrauchte Wassermengen. Ziel war und ist es, die Auswirkungen von Unternehmen auf Gesellschaft und Natur zu bewerten, mit einem Preisschild zu versehen.
Social Costs of Carbon
Heller nennt als Beispiel die Emission von Treibhausgasen. „Es gibt so etwas wie einen Marktpreis – abzulesen im Zertifikatesystem – bis hin zu einem umfassenderen Kostensatz, die Social Costs of Carbon. Dort wird versucht, die gesamten Kosten von einer Tonne CO2, die der Gesellschaft entstehen, abzuleiten und zu berechnen. Daten sind hier aus dem Intergovernmental Panel on Climate Change der UN, also dem Weltklimarat, verfügbar“, sagt Heller und ergänzt: „Je nachdem was man anlegt, reicht die Spanne bis zu 500 US-Dollar an sozialen Kosten für eine Tonne CO2. Der Wert übersteigt den Marktpreis für Kohlendioxid also ganz deutlich.“
Risiken und Opportunitäten
Den Unternehmen in der VBA-Initiative sei es anfangs nicht in erster Linie um die externe Berichterstattung gegangen. „Es ging primär um die Frage, wie bekomme ich Nachhaltigkeitsinformationen in eine Metrik überführt, um sie für die interne Unternehmenssteuerung nutzen zu können. Unternehmen denken in Risiken und Opportunitäten. Externe Effekte sind ein großes Risiko, bieten aber auch Geschäftschancen“, so Heller.
Er verweist wieder auf das Beispiel der Treibhausgasemissionen. Hier geht es um Kosten und Reputationsverluste, bestimmte Dinge ließen sich wegen der Klimaphänomene weltweit nicht mehr versichern. „Damit wird das CO2-Thema sukzessive finanziell materiell. Die Unternehmen mussten sich überlegen, wie sie dieses Risiko greifbar machen können, wie der CO2-Ausstoß ihre finanzielle Entwicklung beeinflusst“, so Heller.
In der neuen Disclosure-Welt
Inzwischen gewinnt das Thema Bilanzierung von Nachhaltigkeitsaspekten immer mehr an Relevanz für die interne Unternehmenssteuerung. Regulatoren haben weltweit Standards für das externe ESG-Reporting entwickelt. Für die VBA ist damit entscheidend, ihren Ansatz in die neue Disclosure-Welt einzubringen Die Methodik der VBA habe eine „gewisse Robustheit“ erreicht, „Impact Accounting bewährt sich im Praxistest. Beispielsweise bei der Umsetzung der EU-Regulierung CSRD/ESRS zur Analyse der doppelten Materialität oder den finanziellen Effekten von Nachhaltigkeit“, unterstreicht Heller.
Übernahme in ESG-Reporting
Die Unternehmen agierten in einem marktwirtschaftlichen System. Am Schluss stelle sich somit für alle die Frage, inwieweit die Investitionen, die momentan im Bereich Nachhaltigkeit laufen, einen Return on Invest und einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Dabei gehe es auch um den Zugang zu Kapital und um die Kapitalkosten. „Wenn wir die Informationen nicht deutlich einfacher in den Markt spielen, werden wir den Return on Invest nicht ermitteln können, davon bin ich überzeugt“, sagt Heller.
Ziel sei, dass ein internationaler Standardsetzer die Methodik der VBA in sein Regelwerk übernimmt. „Wir hoffen, dass dies deutlich vor 2030 gelingt.“ Darüber laufen laut Heller aktuell Gespräche mit dem International Sustainability Standards Board (ISSB), mit der European Financial Reporting Advisory Group (Efrag) und mit der Global Reporting Initiative (GRI). Man stehe im Austausch darüber, welche Konzepte Wirtschaft und Stakeholder am schnellsten an den Punkt bringe, „dass Nachhaltigkeit zur DNA in der Entscheidungsfindung wird“.
Mit Data-Providern im Austausch
Efrag, GRI und ISSB geben in ihren Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung vor, welche Daten die Unternehmen veröffentlichen müssen. In der Bewertung der Daten sieht sich die VBA berufen: „Die Unternehmen messen den CO2-Verbrauch, die VBA setzt die Valuation oben drauf, um die Daten mit deutlich mehr Informationen aufzuladen“, fasst es Heller zusammen.
Dabei habe die Value Balancing Alliance im laufenden Jahr noch die Aufgabe zu lösen, wie sie ihre Daten in den Markt spielen kann. „Hier stehen wir mit Data-Providern im Austausch.“
„Zu komplex“
Für Heller ist Vereinfachung ein großes Thema. Die VBA schaue insgesamt skeptisch auf die Regulierung wie EU-Taxonomie, Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und Sustainable Finance Dis-
closure Regulation (SFDR). „Es ist ein guter Ansatz, aber die Umsetzung ist so komplex geworden, sie geht so ins Detail, dass Taxonomie leider ein Vehikel für einen Datenfriedhof geworden ist. Eine ähnliche Befürchtung haben wir hinsichtlich CSRD/ESRS und CSDDD. Das wollen wir vermeiden“, sagt Heller.
Nicht für die Ewigkeit
Die VBA steckt sich für ihre Arbeit einen endlichen Zeitrahmen. „Wir sehen uns als Speerspitze für die Bewegung Impact Accounting und die Monetarisierung von Nachhaltigkeitsaspekten. Wir werden zur richtigen Zeit strategische Partner suchen wie internationale Standardsetzer oder Wirtschaftsinitiativen, um unsere Arbeit zu skalieren und in den Mainstream zu bringen. Damit wäre unsere Mission erfüllt. Wir wollen das Feld bestellen, aber nicht dauerhaft agieren“, resümiert Heller.