Impfstoff gegen Affenpocken: Bavarian Nordic tritt ins Rampenlicht
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Mit Ausbreitung der Infektionen mit Affenpocken ist dem dänischen Impfstoffanbieter Bavarian Nordic hohe Aufmerksamkeit zuteil geworden. Das Unternehmen, dessen erklärtes Ziel es ist, sich von einer Biotechfirma zu einer der größten Pure-Play-Impfstoffgesellschaften zu entwickeln, ist als einziger Anbieter mit einem Vakzin gegen diese Viruserkrankung im Markt. Bavarian Nordic hat auch am deutschen Standort Martinsried Abteilungen für Forschung & Entwicklung mit 180 Beschäftigten von konzernweit 800.
Der erste Fall von Affenpocken in Europa ist im Mai 2022 registriert worden. Die Krankheit ist lange bekannt, war 1958 erstmals in Affen und 1970 in einem menschlichen Körper identifiziert worden – laut RKI in der Demokratischen Republik Kongo bei einem neun Monate alten Jungen. Die Erkrankung breitete sich in den vergangenen Monaten weltweit aus – speziell in Ländern, in denen das Virus früher keine Menschen infiziert hat. Infektionen waren zuvor vor allem aus sechs afrikanischen Ländern bekannt.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat den Affenpocken-Ausbruch kürzlich zur „Notlage von internationaler Tragweite“ erklärt. Diese Einstufung hat direkt keine Folgen, es liegt in der Hand der Regierungen, über Maßnahmen zu entscheiden. Gleichwohl ist das Ausrufen der höchsten Alarmstufe der WHO als Aufforderung zu verstehen, aktiv den Kampf gegen Affenpocken anzugehen. Weltweit sind laut Centers for Disease Control and Prevention seit Anfang des Jahres 18095 Fälle in 75 Ländern registriert worden. In Deutschland waren es laut RKI zuletzt 2352 bestätigte Fälle.
Bavarian Nordic ist das einzige Unternehmen, das einen zugelassenen Impfstoff gegen das Virus liefern kann. Der Impfstoff ist seit 2013 in der Europäischen Union für Menschen ab 18 Jahren gegen Menschenpocken zugelassen und hat danach auch in Kanada und den USA die Marktzulassung erhalten – auch für Impfungen gegen Affenpocken. Beide Viren ähneln sich, so dass dem Menschenpocken-Impfstoff eine Wirksamkeit von 85% auch gegen Affenpocken zugeschrieben wird.
„Überwältigendes Interesse“
Die EU hat den Impfstoff Imvanex jüngst auch zur Immunisierung gegen Affenpocken genehmigt, Deutschland und einige andere Mitgliedstaaten hatten bereits Ausnahmeregelungen gegen Affenpocken gewährt. In den USA ist das Vakzin unter dem Namen Jynneos im Markt, in Kanada heißt das Produkt Imvamune. Bavarian Nordic hatte schon vor Wochen von einem „überwältigendem Interesse“ an ihrem Affenpocken-Impfstoff gesprochen. Das größte Bestellvolumen kommt aus den USA, die seit 2003 Lieferverträge mit dem Biotechkonzern geschlossen und über die Jahre fast 30 Millionen Dosen erhalten haben – der Großteil für den Notfalleinsatz schon vor der Zulassung durch die US-Gesundheitsbehörde FDA im Jahr 2019. Nachdem die Vereinigten Staaten im laufenden Jahr weitere 5,5 Millionen Einheiten geordert haben, summieren sich die von Bavarian Nordic zugesagten Jynneos-Lieferungen im laufenden und kommenden Jahr auf fast 7 Millionen Dosen.
Immunisierung angelaufen
In der EU sollen gut 160000 Dosen an Affenpocken-Impfstoff zur Verfügung stehen. Deutschland hat 40000 geordert, weitere 200000 sollen nach früheren Meldungen im Verlauf des Jahres dazukommen. Ein EU-Land, das nicht genannt wird, hat Mitte Juli 1,5 Millionen Dosen geordert, wovon der Großteil nach Angaben von Bavarian Nordic aber erst im Verlauf des Jahres 2023 geliefert werden wird.
Seit Anfang Juli haben sich hierzulande die ersten Menschen impfen lassen. Das RKI empfiehlt Impfungen nicht der Allgemeinheit, sondern nur Personen mit einem erhöhten Expositions- und Infektionsrisiko. Auch wenn eine Gefährdung der breiten Bevölkerung als gering eingeschätzt wird, soll verhindert werden, dass sich Affenpocken als Infektionskrankheit in Deutschland etablieren. Infektionsketten sollen unterbrochen werden, so dass die Impfung Infizierten sowie Kontaktpersonen von Infizierten empfohlen wird. Die Impfung wirkt auch noch nach einer Infektion und kann eine schwere Erkrankung dann noch verhindern.
Als Prophylaxe empfiehlt das RKI eine Impfung derzeit Männern, die Sex mit Männern haben und dabei häufig die Partner wechseln, sowie Personal in Speziallaboratorien, die mit Pockenvirusmaterial arbeiten. Die Grundimmunisierung für Menschen, die in der Vergangenheit keine Pockenimpfung erhalten haben, läuft über zwei Impfstoffdosen Imvanex im Abstand von mindestens 28 Tagen.
Eine Infektion mit Affenpocken kann milde verlaufen, aber auch zu einer schweren Erkrankung führen. Zu den Komplikationen in endemischen Ländern gehören laut RKI Hirnentzündung, bakterielle Hautinfektionen, Flüssigkeitsverlust sowie Bindehaut-, Hornhaut- und Lungenentzündung. Laut Bavarian Nordic sterben bis zu 10% nicht geimpfter Infizierter an Affenpocken.
Bavarian Nordic hat ihre finanziellen Ziele im Zuge der eintreffenden Orderwelle mehrfach nach oben gesetzt. So strebt das Management nun 2022 einen Umsatz im Intervall von 2,3 bis 2,5 Mrd. dkr an, umgerechnet 309 bis 336 Mill. Euro. Das operative Ergebnis (Ebitda) wird mit −400 bis −600 Mill. dkr vorhergesagt; zuvor war ein Verlust zwischen 600 und 800 Mill. erwartet worden.
Das Unternehmen ist mit vier Impfstoffen im Markt: Neben dem Pockenvakzin sind Produkte gegen Tollwut, Ebola und die von Zecken übertragene Frühsommer-Hirnhautentzündung (FSME) im Sortiment. Bedeutende Märkte für die Impfstoffe von Bavarian Nordic sind die USA und Deutschland – das Deutschland-Geschäft mit dem FSME-Vakzin Encepur machte im vergangenen Jahr 64% des Umsatzes mit diesem Produkt aus.
Marktwert steigt
Die Nachfrage nach Immunisierungen gegen Tollwut und FSME war 2021 nach Angaben des Unternehmens durch die Corona-Pandemie beeinträchtigt. So sank der Umsatz mit diesen Impfstoffen jeweils prozentual zweistellig. Die Einbußen hat Bavarian Nordic mit Erlösen aus dem von Johnson & Johnson vertriebenen Ebola-Impfstoff und einem Plus von 36% mit dem Pockenimpfstoff mehr als kompensiert. So legte der Konzernumsatz noch leicht um 2% auf 1,9 Mrd. dkr zu. Die Gesellschaft arbeitet auch an einem Covid-19-Impfstoff der neuen Generation, der gegen verschiedene Corona-Varianten wirken soll. Studien in Phase III mit 4000 Probanden sollen im August anlaufen.
Bavarian Nordic ist 1998 in Kopenhagen an die Börse gegangen. Die Aktie hat seit Jahresanfang 2022 um fast ein Viertel zugelegt und bringt es aktuell auf einen Marktwert von 3,3 Mrd. Euro.