IM INTERVIEW: KLAUS-PETER MÜLLER

"In der Gesprächskultur holen wir in Deutschland auf"

Der Vorsitzende der Kodex-Kommission über globale Unterschiede in der Corporate Governance, die Rolle der Proxy Advisers und die Suche nach seinem Nachfolger

"In der Gesprächskultur holen wir in Deutschland auf"

– Herr Müller, im vergangenen Jahr hatte man den Eindruck, dass der Kodex beim Thema Vergütung im Prinzip alles gesagt hat, nun hat die Kommission die Zügel doch noch mal angezogen, woher der Sinneswandel?Nach der heftigen Debatte über einige Vorstandsgehälter hatten wir schon im vergangenen Frühjahr angekündigt, dass wir das Thema Vorstandsvergütung wieder auf die Agenda setzen werden. Durch die Schweizer Abstimmung ist das Thema dann weiter angeheizt worden.- Sie wollten nicht dem Gesetzgeber zuvorkommen, wie mancherorts behauptet?Auf keinen Fall. Wir haben uns mit dem Thema der Vorstandsvergütung nachweislich deutlich vorher befasst. Ich erinnere nur an die Kodexkonferenz vor einem Jahr. Hier ist der Gesetzgeber dabei, zum dritten Mal in zwölf Jahren der Kodexkommission zu folgen, nicht umgekehrt.- Die Regierungskoalition will im Hauruckverfahren den Aktionären mehr Rechte geben. Kollidiert das Gesetzesvorhaben mit dem Kodex-Gedanken, wo ja vor allem der Aufsichtsrat in die Pflicht genommen wird?Es kollidiert aus einer Reihe von Gründen. Wenn man der Hauptversammlung mehr Rechte gibt, dann werden diese dem Aufsichtsrat entzogen – man kann Rechte nicht mehrfach teilen. Bis heute ist der Aufsichtsrat das verantwortliche Entscheidungsgremium für die Vorstandsvergütung. Er muss für seine Entscheidungen auch geradestehen. Hier kommt die zweite Unwucht. Die Entscheidung soll auf die Hauptversammlung übertragen werden, die Verantwortung aber nicht.- Es ist doch das Geld der Eigentümer, sollten sie dann nicht das Recht haben?Das Argument, man solle den Eigentümern mehr Rechte geben, finde ich scheinheilig.- Warum?Nur informierte Leute können wirklich fundierte Entscheidungen treffen. Und die Informationen haben vor allem die von den Aktionären gewählten Aufsichtsräte. Wir haben inzwischen im Kodex eine Vergütungstransparenz für Aufsichtsräte geschaffen, die in Europa bislang unerreicht ist. Und von der im zweiten Schritt auch die Öffentlichkeit inklusive Aktionäre profitiert. Zudem sind wir weiterhin für das Say-on-pay. Die Vergütungssystematik ist der Hauptversammlung nach unserer Meinung dann vorzutragen, wenn es grundlegende Veränderungen gibt.- So wie es die großen Unternehmen heute schon tun?Die meisten Vergütungssysteme sind dabei mit Mehrheiten von 98 % gebilligt worden. Die Aktionäre der großen Publikumsgesellschaften können sich also bereits heute dazu äußern. Würde eine größere Zahl an Gegenstimmen gezählt, ist jeder Aufsichtsrat gut beraten, sich mit dem Vergütungssystem noch mal zu befassen. Ich glaube nicht, dass ein Aufsichtsrat sonst wiedergewählt würde. Die Rechte der Aktionäre sind dadurch schon heute gesichert, ohne dass der Aufsichtsrat aus seiner Verpflichtung entlassen wird.- Dem Aufsichtsrat schreibt der Kodex nun eine umfangreichere Datenbasis zur Festlegung der Vergütung ins Pflichtenheft?Mit den neuen Transparenzanforderungen, sprich den neuen Empfehlungen zu den individuellen Caps für jeden Vergütungsbestandteil und die Gesamtvergütung sowie für die Festlegung des Versorgungsniveaus, weiß jeder Aufsichtsrat genau, was er zu tun hat. Darüber hinaus soll jeder Aufsichtsrat Vergleichsdaten der Vergütung aus der Branche, aus der ersten Führungsebene im Unternehmen und aus der Gesamtbelegschaft heranziehen. Das alles sollte ihn in die Lage versetzen, unternehmensspezifisch entscheiden zu können – unter Berücksichtigung von Obergrenzen.- Sind die Erwartungen der Öffentlichkeit an nationale Regeln generell zu hoch gesteckt – das ist ja auch ein Thema der diesjährigen Kodexkonferenz?Wir kommen aus sehr unterschiedlichen gesetzgeberischen und kulturellen Traditionen. Den nationalen Regelungen wird mit Respekt begegnet. Wir sollten aber grenzüberschreitend keinen Einheitslook über alles stülpen. Andererseits müssen wir auch akzeptieren, dass wir mit deutschen Gesetzen nicht die Gehälter in London oder New York regulieren, über die wir uns hierzulande oftmals zu Recht aufregen.- Geht der deutsche Kodex über die Regelwerke anderer Länder hinaus?Wir werden immer wieder mit der Kritik konfrontiert, der Kodex sei viel zu umfangreich. Der Vergleich mit Nachbarländern hat aber ergeben, dass wir den kürzesten Kodex haben. Wir sind nicht zu umfangreich, nicht zu deutsch und auch nicht zu kompliziert. Dennoch haben wir uns der Aufgabe gewidmet, den Kodex ein bisschen zu kürzen – was auch wieder auf Kritik gestoßen ist.- In Brüssel wird immer wieder angeregt, zu einer europäischen Regelung zu kommen, das wäre also nicht so einfach?Eine Harmonisierung ist schwierig wegen der unterschiedlichen Systeme mit Board sowie Vorstand und Aufsichtsrat. Diese Strukturen sorgen immer wieder für grundlegende Missverständnisse. Während auf dem One-Tier-Board eine halboperative Verantwortung ruht, versteht sich der deutsche Aufsichtsrat als Kontrolleur und Berater. Dazu kommt die deutsche Mitbestimmung, wodurch die Aufsichtsräte in aller Regel fast doppelt so groß sind wie in anderen europäischen Ländern. Beim Blick über den Zaun sollte man aufmerksam studieren, was dort besser läuft. Man kann aber nicht alles in einen Topf rühren, wir wollen keinen Einheitsbrei, wir wollen Regeln, die Rücksicht nehmen auf Unternehmenspezifika.- Gibt es etwas, das aus Ihrer Sicht im Ausland besser läuft?Es gibt Dinge, die im Ausland leichter gehen. Zum Beispiel gibt es eine längere Tradition der Aufsichtsratsausschüsse. Die Mitglieder dieser Untergremien wechseln nach maximal zwei bis drei Wahlperioden, um wieder neue Ideen zu bekommen. Die Aufsichtsräte sind generell kleiner, man kennt sich besser. Ich habe die Direktheit und Offenheit der Diskussion in diesen Gremien schätzen gelernt. In der Gesprächskultur holen wir in Deutschland seit ein paar Jahren auf, das finde ich sehr befriedigend.- Fallen Ihnen auch negative Dinge auf?Die unglaubliche Machtfülle bei Doppelmandaten von Chairman/President und CEO im One-Tier-Board gefällt mir nicht. Hier wünsche ich mir stattdessen einen Non-Executive Chairman, dann kann es immer noch einen President und CEO geben. Das ist in Deutschland besser geregelt.- Die Stärkung von Aktionärsrechten fällt in eine Zeit, wo die Rolle institutioneller Investoren grundsätzlich diskutiert wird; braucht es einen Selbstregulierungscode für diese Anleger?Die Kommission verfolgt die Entwicklung bei den Proxy Advisers sehr genau. Wir sehen keinen direkten Handlungsbedarf, aber wir wollen Kontakt mit den wichtigsten Stimmrechtsberatern aufnehmen, um Know-how auszutauschen. Wir möchten sicherstellen, dass sie mit allen Facetten der deutschen Corporate Governance vertraut sind.- Woran mangelt es?Die Vorstellung eines Proxy Advisers beispielsweise, ein Aufsichtsrat dürfe nach acht Jahren Amtszeit nicht wiedergewählt werden, verkennt die deutsche Wirklichkeit mit Wahlperioden von fünf Jahren. Einige Proxy Advisers monieren zudem eine bestimmte, aber nicht numerisch erfasste Zahl von Mandaten, weil nicht mehr genügend Zeit vorhanden sei. Das wurde zum Beispiel bei Herrn Kagermann oder Herrn Mayrhuber bemängelt, die sich bei der Anzahl der Mandate sowohl an das deutsche Gesetz wie auch an den strengeren Kodex halten. Da wüsste ich gern, wer, aufgrund welcher Tatsachen, diesen Zeitmangel feststellt. Es gibt ja Präsenzquoten für Aufsichtsräte, damit ist nachvollziehbar, wer an wie vielen Sitzungen teilgenommen hat.- Stimmt aus Ihrer Sicht die Behauptung, dass Investoren den Proxy Advisers blind folgen?Je geringer die Aktienbeteiligung, die ein Institutioneller hält, umso mehr wird er vermutlich einem Stimmrechtsberater folgen. Die Proxy Advisers behaupten, sie würden für ihre Kunden die Corporate Governance der Unternehmen prüfen und das Ergebnis den Investoren an die Hand geben. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass die institutionellen Adressen dann darüber abstimmen, was ISS oder Ivox vorschlagen sollen. Das ist genau umgekehrt. Oft werden Dinge in verschiedenen Ländern auch abweichend betrachtet.- Zum Beispiel?Die Proxy Advisers lehnen die Wiederwahl von Aufsichtsratsvorsitzenden ab, die vom Vorstandsvorsitz in diese Position gewechselt sind – ungeachtet des Zeitpunkts. In den Vereinigten Staaten jedoch stimmen sie dafür, dass jemand Chairman und CEO in einem sein darf. Das sind für mich Widersprüche, über die man reden sollte.- Bedarf es einer Regulierung der Proxy Advisers?Mein erster Wunsch ist es, sich ohne Regulierung zu verständigen.- Sie haben dem Bundesjustizministerium schon im vergangenen Jahr Ihren Rückzug vom Vorsitz der Kodex-Kommission angekündigt, warum fällt es so schwer, einen Nachfolger zu finden?Die Arbeit verlangt einen erheblichen Zeiteinsatz, und die Aufmerksamkeit für Fragen der Corporate Governance in der Öffentlichkeit nimmt ständig zu. Die Kommission arbeitet im Dreieck von Wirtschaft, Politik und Medien. Einem Teil der Stakeholder tun wir zu viel, und das zu schnell, die anderen sehen es genau umgekehrt. Es ist nicht jedermanns Sache, sich solchen Diskussionen auszusetzen. Das müssen Sie aushalten können und wollen.- Die Kommission hat einige Austritte von Unternehmensvertretern zu beklagen, mit Ihnen sind es derzeit nur noch drei aus diesem Kreis, zeugt das nicht von mangelnder Unterstützung aus den Großkonzernen?Wir haben bereits drei Nachfolger, doch ich möchte deren Berufung meinem Nachfolger überlassen. Es sind Namen auf dem Tisch, alle aus der Wirtschaft, die auch schon ihre Bereitschaft erklärt haben.- Der BDI hat jüngst dem Kodex Rückendeckung gegeben, aber auch angeregt, über die künftige Ausrichtung und Arbeitsweise nachzudenken – wo sollte man ansetzen?Diskussionen darüber, wie man etwas besser machen kann, sind immer gut.- Diskussionen gibt es zuhauf, nachdem der BASF-Vorstandsvorsitzende Kurt Bock die Auflösung der Kodex-Kommission forderte?Nach meinem Eindruck wird die Forderung von weiten Teilen der Wirtschaft nicht unterstützt. In einer anonymen Befragung haben sich gerade vor einem Jahr knapp 71 % der Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzenden positiv zum Kodex geäußert. Wir lassen uns Kritik gerne gefallen und nehmen sie, wo angebracht, auch an, wie wir im Konsultationsverfahren unter Beweis gestellt haben. Aber bitte in einem Dialog und nicht über die Medien. Im Übrigen kann ich nur einladen mitzumachen, sich einzubringen, wenn man etwas verändern möchte.- Im Gespräch ist, die Finanzierung der Kodex-Kommission auf mehr Schultern zu verteilen, wäre das eine Lösung?Eine Finanzierung über die börsennotierten Konzerne wäre sicher eine denkbare Möglichkeit. Aber das ist organisatorisch nicht so einfach umzusetzen, ob man nun an eine Umlage oder eine Finanzierung über Stiftungen denkt. Für mich hat das Thema mit der gesellschaftlichen Verantwortung eines Unternehmens zu tun. Dann sind auch solche Kosten vertretbar, es ist ein Beitrag für eine gute Unternehmenskultur. Beträge von 500 000 und mehr Euro sind viel Geld, ich will das nicht verniedlichen. Doch das muss es uns wert sein.- Wenn Sie auf Ihre Amtszeit zurückblicken, gibt es Themen, wo Sie persönlich gerne weitergekommen wären?Beim Thema Diversity hätte ich mit dem Wissen von heute gerne früher begonnen. Vielleicht hätten wir dann schon noch mehr erreicht und damit noch mehr Argumente gegen eine Quote. Auch das Konsultationsverfahren zur Einbeziehung der Öffentlichkeit hätte eher starten können. Ich würde mir zudem wünschen, dass die Politik in eine vertrauensvolle Diskussion mit der Kodex-Kommission eintritt, bevor sie Gesetze auf den Weg bringt. Solche Gespräche sollen nichts verhindern, sie können aber dazu beitragen, dass Regulierungen nicht mit heißer Nadel gestrickt werden.- Welchen Rat geben Sie Ihrem Nachfolger mit auf den Weg?Diplomatie, Toleranz, Durchsetzungsvermögen und eine nicht allzu dünne Haut.Das Interview führte Sabine Wadewitz.