"In eine neue Dimension wachsen"
Der italienische Automobilzulieferer Brembo will durch eine große Übernahme seinen bisherigen Umsatz verdoppeln. Dabei sei der Hauptaktionär Alberto Bombassei bereit, die Mehrheit bei dem Bremsenspezialisten abzugeben, sagt Vizepräsident Matteo Tiraboschi im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.Von Gerhard Bläske, MailandDer italienische Autozulieferer Brembo will seinen Umsatz durch eine große Übernahme mehr als verdoppeln. Vizepräsident Matteo Tiraboschi sagt im Gespräch mit der Börsen-Zeitung: “Wir streben eine Akquisition im Autosektor an, die kohärent mit unserem Geschäft ist, unsere Produktpalette ergänzt und Mehrwert für die Gruppe schafft.”Laut Tiraboschi gibt es “derzeit kein konkretes Projekt, das auf dem Tisch liegt”. Angesichts der tiefgreifenden Veränderungen im Automarkt “kann auch Brembo nur wachsen wie alle Unternehmen im Automobilsektor”. Es sei notwendig, “in eine neue Dimension zu wachsen und das Angebot zu erweitern. Dabei wollen wir über Bremssysteme hinausgehen, weil die Autohersteller immer mehr von außen zukaufen. Zusätzliche Kompetenzen helfen deshalb.” Geografisch gebe es keine Grenzen: “Obwohl Europa und die Vereinigten Staaten unsere Hauptmärkte sind, haben wir auch Asien im Blick.”Zur Finanzierung einer solchen Akquisition verfügt das seit 1995 börsennotierte Unternehmen laut Tiraboschi über diverse Möglichkeiten. “Wir können unser Kapital sofort um bis zu 10 % erhöhen, ohne dafür eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen zu müssen”, so der Vizepräsident. Auch könne man eigene Aktien kaufen. Sollte es nötig sein, sei die Familie von Präsident Alberto Bombassei, die derzeit 53,6 % hält, bereit, ihren Anteil auf unter 50 % zu reduzieren. “Sie will aber die Kontrolle behalten, etwa über doppelte Stimmrechte”, sagt Tiraboschi.Der Bremsenspezialist aus der Nähe von Bergamo kam 2018 auf einen Umsatz von 2,6 Mrd. Euro. Im ersten Quartal stieg der Umsatz leicht um 1,4 % auf 667,1 Mill. Euro. Das Betriebsergebnis ging aber um 5 % auf 87 Mill. Euro zurück, wobei die Marge mit 13 % zweistellig blieb. Der Nettogewinn sank um 5,5 % auf 64,4 Mill. Euro. “Im Gesamtjahr peilen wir einen Umsatz auf Vorjahreshöhe an. Das wird nicht leicht”, glaubt Tiraboschi.In Deutschland gehören praktisch alle Autohersteller zu den Kunden, allen voran BMW, Daimler, Porsche, Audi und Opel. In einem Joint Venture mit SGL Carbon produziert der Autozulieferer in Meitingen bei Augsburg und Bergamo innovative Karbonkeramik-Bremsscheiben. Brembo erzielt 25 % des Umsatzes in der Bundesrepublik, musste aber im ersten Quartal einen Erlösrückgang um 9,9 % hinnehmen. Tiraboschi erwartet, dass die Lage in der zweiten Jahreshälfte und 2020 nicht viel besser wird. Neben konjunkturellen Gründen führt er zur Begründung unter anderem die Unsicherheit um die Zukunft des Diesel an. Dass sein Unternehmen gerade von der deutsch-italienischen Wirtschaftsvereinigung Mercurio wegen seiner Verdienste um die wirtschaftliche und kulturelle Integration zwischen beiden Ländern mit dem Mercurio-Preis ausgezeichnet wurde, wertet Tiraboschi als “sehr wertvolle Anerkennung”. USA wichtigster MarktWichtigster Einzelmarkt für Brembo sind die USA. Zusammen mit Kanada erlöst das Unternehmen in Nordamerika etwa 30 bis 32 % des Umsatzes und ist hier im ersten Quartal um 8 % gewachsen. Mehr als 20 % steuert China bei. Dort hat Brembo seit einiger Zeit eine Mehrheitsbeteiligung an dem Bremsscheibenhersteller Asimco.Brembo gehört zu den vielen soliden und sehr exportstarken Mittelständlern vor allem im Norden Italiens. Den Exportanteil gibt Tiraboschi mit 90 % an. Die schlechte wirtschaftliche Lage im Heimatmarkt schlage deshalb kaum durch. Das Unternehmen gilt als sehr innovativ und ist traditionell stark im Hightech- und Luxussektor. So beliefert es fast alle Formel-1-Rennställe, von Mercedes über Ferrari bis hin zu Red Bull. Darüber hinaus werden Luxus-Accessoires für Auto- und Motorradfahrer angeboten – ein margenstarkes Geschäft.In der zunehmenden Elektrifizierung sieht Tiraboschi für sein Unternehmen neue Möglichkeiten. “Das ist eine große Chance für uns.” Brembo beliefert etwa Tesla und hat Bremssysteme für Elektrofahrzeuge mit leichteren Materialien entwickelt. “Wir brauchen aber neue Kompetenzen im Bereich Software und Datenverarbeitung”, räumt Tiraboschi ein.Mit Daniele Schillaci hat zum 1. Juli ein neuer CEO das Ruder bei dem Autozulieferer übernommen, “der hoffentlich viele Jahre an der Spitze stehen wird”. Der Vizepräsident hebt die langjährige Erfahrung Schillacis bei Autoproduzenten, im Bereich Elektrifizierung und im Ausland, vor allem in Asien, hervor. “Seine tiefe Kenntnis von Hybridfahrzeugen, die er bei Toyota erwarb, und von Elektrofahrzeugen bei Nissan wird uns sehr helfen”, glaubt Tiraboschi. Schillaci hat viele Jahre bei Renault, Fiat und dann Toyota sowie Lexus gearbeitet, bevor er zu Nissan kam. Dort war er von 2015 an Vertriebschef sowie für Elektrofahrzeuge verantwortlich. Analysten der Banca Akros glauben, dass er bei Brembo vor allem seine Erfahrungen in den Bereichen Fusionen und Akquisitionen einbringen soll. Aktie unter VorjahresniveauMediobanca ist der Meinung, “dass eine Übernahme vor allem zur Stärkung der Brembo-Kompetenz bei elektronischen Bremssystemen sehr positiv wäre und das Umsatzwachstum beschleunigen sowie den Vorsprung gegenüber potenziellen Konkurrenten vergrößern würde”. Die Bank empfiehlt ein “Übergewichten” von Brembo-Aktien und gibt ein Kursziel von 12,70 Euro an. Bei Akros ist das Rating “neutral”. Das Kursziel wird mit 11,50 Euro angegeben. Die Aktie notiert derzeit mit 10,49 Euro knapp 10 % niedriger als vor zwölf Monaten.