In Großbritannien erlöschen die Hochöfen
Von Andreas Hippin, LondonDer Verfall der britischen Stahlindustrie hat sich in den vergangenen Wochen beschleunigt. Tata Steel kündigt nun an, knapp 1 200 Stellen in den Werken Scunthorpe und Lanarkshire zu streichen. Betroffen ist ein Teil des Geschäfts, das der Konzern in diesem Jahr erfolglos zu verkaufen versuchte. Kurz zuvor hatte sich die Stahlsparte von Caparo Industries in die Insolvenz geflüchtet. PwC fungiert als Verwalter. Berichte über 1 800 Entlassungen seien übertrieben, wie die BBC unter Berufung auf nicht genannte Quellen berichtet. So viele Mitarbeiter hat die Sparte insgesamt an allen 20 Standorten. Das Stahlwerk Redcar, das schon vor fünf Jahren vor dem Aus stand, wurde dieser Tage vom damals eingesprungenen Käufer Sahaviriya Steel Industries (SSI) stillgelegt. Hier wurden 2 000 Stellen gestrichen. Einer von sechsIn den 1970er-Jahren arbeiteten mehr als 200 000 Menschen in der britischen Stahlbranche. Mittlerweile sind es noch rund 30 000. Die Werke befinden sich größtenteils im Besitz ausländischer Konzerne wie SSI oder Tata. “Einer von sechs Stahlarbeitern steht vor dem Arbeitsplatzverlust”, sagte Frances O’Grady, die Generalsekretärin des Gewerkschaftsverbandes TUC. Wenn es in diesem Tempo weitergehe, gebe es in einem Jahr keine britischen Stahlindustrie mehr. Die Gewerkschaft Unite warnte vor einem Dominoeffekt. Den Stahlkochern macht die weltweite Überproduktion ebenso zu schaffen wie das starke Pfund und “grüne” Abgaben, die der energieintensiven Branche hohe Energiekosten bescheren. Der Volksrepublik China wird Dumping vorgeworfen. Premierminister David Cameron kündigte bereits an, das Thema beim Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping zur Sprache zu bringen.Scunthorpe ist mit bislang 4 000 Beschäftigten eines der größten britischen Stahlwerke. Die Entlassungen in Lanarkshire werfen Fragen nach der Zukunft der Industrie in Schottland auf. Es geht um zwei Walzwerke, die im 19. Jahrhundert an den Start gingen und deren Stahlplatten Teil aller großen Schiffe waren, die in den schottischen Werften am River Clyde gebaut wurden. Stahl aus dem Werk Redcar wurde für den Bau der Sydney Harbour Bridge, des Wembley-Stadions und des Londoner Bankenviertels Canary Wharf verwendet. Die Region Teesside, in der Redcar liegt, ist ähnlich stark von der Stahlindustrie geprägt wie das nördliche Ruhrgebiet. Die Auswirkungen auf die Zulieferer im Norden von Yorkshire sind noch nicht absehbar. Von bis zu 9 000 Jobs ist die Rede.Caparo wurde 1968 vom indischstämmigen Geschäftsmann Swraj Paul gegründet. Er baute sein Reich auf Röhren für die Gasbranche. Unter Premierminister John Major zog er als Lord Swraj Paul of Marylebone ins Oberhaus ein. Bis heute sitzt der Labour-Parteispender dem Unternehmen als Chairman vor.