RECHT UND KAPITALMARKT

Indien reformiert Insolvenzrecht grundlegend

Markt wird investitionsfreundlicher - Premierminister Modi sorgt mit Aufhebung von Kolonialgesetzen für besseren Gläubigerschutz

Indien reformiert Insolvenzrecht grundlegend

Von Benjamin Parameswaranund Johann-Friedrich Fleisch *)Indien ist ein attraktiver Markt mit vielversprechenden Wachstumsraten – aber das Land macht es den Investoren nicht immer leicht. Insbesondere das indische Insolvenzverfahren hatte bei Investoren bisher einen schlechten Ruf: Die Verfahren dauern ewig, die Gesetzeslage ist hoch kompliziert, Zuständigkeiten sind häufig unklar. Ausgesprochen bitter für internationale Investoren: Indische Gläubiger genießen in bestimmten Situationen besseren Schutz als ausländische Gläubiger. Problematisch ist das ineffiziente System auch angesichts der Tatsache, dass die Zahl der notleidenden Kredite bei Indiens staatlichen Banken zunehmend bedrohliche Formen annimmt. Hier kann sich das leistungsschwache Insolvenzrecht durchaus zum volkswirtschaftlichen Problem auswachsen. Klare ZuständigkeitenDoch es gibt Hoffnung. Die Regierung um Premierminister Narendra Modi hat die ineffizienten Insolvenzverfahren als Hindernis auf dem Weg zu mehr Investitionen erkannt und zügig gehandelt. Mit überraschender Geschwindigkeit hat nun auch das indische Parlament das Reformprojekt verabschiedet und einen echten Epochenwechsel eingeleitet.Mit dem “Insolvency and Bankruptcy Code 2016” tritt ein einheitliches Insolvenzgesetz an die Stelle einer Vielzahl verstreuter und inkonsistenter Regelungen – von denen viele noch aus der Kolonialzeit stammten. Das neue Recht schafft ein übersichtliches institutionelles Gerüst, sieht kurze Verfahrensfristen vor und stärkt die Rechte der Gläubiger – insbesondere der internationalen Gläubiger.Während sich im alten Insolvenzrecht die Zuständigkeit diverser Gerichte und drei verschiedener Behörden überschneiden konnte, ist die Zuständigkeit im neuen Recht klar geregelt: Das erst seit Wochen existierende National Company Law Tribunal ist zuständig für Insolvenzen von Kapitalgesellschaften, das Debt Recovery Tribunal ist zuständig für Personengesellschaften und Privatinsolvenzen.Um eine einheitliche Handhabung des neuen Insolvenzrechts zu gewährleisten, wird der Insolvency and Bankruptcy Board of India eingerichtet, das Richtlinien für die Anwendung des neuen Rechts erlässt und die Qualifikationserfordernisse für Insolvenzverwalter (“Insolvency Professionals”) festlegt. Gerade hier ist viel zu tun, da es das Berufsbild des gestaltenden und unternehmerischen “Insolvency Professional” bisher nicht gab.Ein weiterer Schwerpunkt der Reform ist die Verkürzung der Verfahrensfristen. Im alten Recht gab es – vor allem unter dem “Sick Industrial Companies Act” – Schutzschirmmechanismen, die notleidende Unternehmen vor dem Zugriff von Gläubigern und Justiz bewahrten. Was als vorübergehendes Instrument zur Rettung der Unternehmen gedacht war, wurde jedoch regelmäßig von Schuldnern missbraucht, um sich jahrelang dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Wenn es schließlich doch zur Verteilung des Schuldnervermögens kam, war meist fast nichts mehr für die Gläubiger übrig. Schutzschirm-Dauer begrenztIm neuen Recht soll sich dies ändern. Zwar gibt es für Kapitalgesellschaften weiterhin ein Schutzschirmverfahren (Corporate Insolvency Resolution Process), dessen Dauer ist jedoch auf 180 Tage begrenzt. Es kann maximal um 90 Tage verlängert werden. Dieses Schutzschirmverfahren steht am Anfang jedes Insolvenzverfahrens für Kapitalgesellschaften. Während des Schutzschirmverfahrens wird die Gesellschaft vom Insolvenzverwalter geführt. Gläubiger und Gerichte können nicht auf das Schuldnervermögen zugreifen. Der Insolvenzverwalter wirkt auf die Erstellung eines “Resolution Plans” hin, der vom Prinzip dem deutschen Insolvenzplan ähnelt. Dieser indische Insolvenzplan muss Vorkehrungen für die Restrukturierung der Verbindlichkeiten des Unternehmens und eine Entscheidung über dessen Zukunft treffen: sanieren oder liquidieren.Um auch vor Gericht Bestand zu haben, muss ein Insolvenzplan bestimmte Bedingungen erfüllen, insbesondere sind Lieferanten und Dienstleister bevorzugt zu befriedigen. Wird ein ordnungsgemäßer Insolvenzplan von den relevanten Gläubigergruppen (“Financial Creditors”) mit Dreiviertelmehrheit verabschiedet, so tritt er in Kraft und wird für die Beteiligten des Insolvenzverfahrens bindend. Wird der Insolvenzplan nicht verabschiedet, so wird die betroffene Gesellschaft automatisch liquidiert. Mehr GläubigerrechteAn der Befugnis zur Entscheidung über den Insolvenzplan zeigt sich die deutlich gestärkte Rolle der Gläubiger: Jetzt sind sie es, die darüber entscheiden, ob eine Gesellschaft liquidiert wird oder nicht. Im alten Recht entschied darüber ein Gericht – mit ungewissem Ausgang. Zudem werden private Gläubiger gegenüber öffentlichen Gläubigern gestärkt. Denn kommt es zur Liquidation des Unternehmens, sieht das neue Recht eine sogenannte Wasserfallregelung vor, die eine differenzierte Rangfolge zur Befriedigung verschiedener Gläubigergruppen bildet. Im Rahmen dieses Wasserfalls werden künftig die Forderungen von privaten Gläubigern gegenüber den Forderungen der öffentlichen Hand weitgehend bevorzugt erfüllt. Dies gilt allerdings nicht für Gesellschafterdarlehen. Als ein Tropfen sozialen Öls ist zu werten, dass Arbeitnehmer im Rahmen des Wasserfalls besonders hohen Schutz genießen.Erfreulich für ausländische Gläubiger ist, dass das neue Recht sie ausdrücklich als Gläubiger im Sinne des neuen Gesetzes definiert – nach altem Recht war dies umstritten. Zudem wurden ausländische Gläubiger durch die Schutzschirmverfahren nach altem Recht diskriminiert, im neuen Insolvenzrecht ist das nicht mehr der Fall.Ein Schwachpunkt des neuen Gesetzes liegt darin, dass es de facto keine Regelungen für grenzüberschreitende Insolvenzen vorsieht. Nach der Konzeption des indischen Gesetzgebers soll diese Thematik durch bilaterale Vereinbarungen mit anderen Staaten gelöst werden – ein sehr langwieriges Verfahren, bei dem völlig ungewiss ist, ob es zu Ergebnissen führen wird.Ein weiteres offenes Thema sind die vom Gesetz vorgesehenen “Information Utilities”, d.h. Einrichtungen, die finanzielle Informationen über Unternehmen sammeln und den Gläubigern zur Verfügung stellen. Das neue Recht will mit diesen Einrichtungen den Informationsnachteil der Gläubiger gegenüber den Schuldnern verringern. Jedoch sind die nähere Ausgestaltung dieser Einrichtung, ihre Kompetenzen und ihre genaue Rolle auch nach Verabschiedung des Gesetzes offen. Hier wird voraussichtlich der oben erwähnte Insolvency and Bankruptcy Board of India tätig werden (müssen), um als Regulierungsinstanz konkretisierende Regelungen zu schaffen. Da auch dieser Board bisher nur auf dem Papier existiert, könnte sich dieser Prozess noch etwas in die Länge ziehen.Gleiches gilt für die “Insolvency Professionals” – also die Personen, die als Verwalter die Schutzschirm-, Sanierungs- oder Liquidationsverfahren durchführen sollen. Auch deren Qualifikation und Auswahl soll der (noch nicht existierende) Board klären. Damit existieren entscheidende Teile der Infrastruktur, die das neue Gesetz vorsieht, noch nicht. Das neue Gesetz wird daher erst für anwendbar erklärt werden, wenn die offenen Fragen geklärt sind. Hohes TempoHandelt es sich also bei der neuen Reform um ein typisches Projekt jenes Landes, dessen Anwälte häufig witzeln, es habe die besten Gesetze der Welt, aber die schlechteste Umsetzung? Beobachter gehen davon aus, dass dem nicht so ist. Bereits die Ausarbeitung und Verabschiedung des Gesetzes wurde von Regierung und Parlament in einem Tempo vollzogen, das deutlich macht, wie ernst es der Regierung mit der Verbesserung des Investitionsklimas ist. Manche der eher gemächlichen indischen Insolvenzpraktiker bezeichnen das Tempo als “geradezu erschreckend”. Für Investoren jedoch ist das Tempo sehr willkommen.—-*) Dr. Benjamin Parameswaran ist Partner, Johann-Friedrich Fleisch ist Associate im Hamburger Büro von DLA Piper.