Ökonom Vöpel hält Hamburgs Hafen-Strategie für riskant
Im Interview: Henning Vöpel
"Eher eine Verzweiflungstat als ein Befreiungsschlag"
Ökonom: Hamburg verfolgt eine riskante Strategie, durch eine Beteiligung der Reederei MSC an der HHLA den Hafen zu retten
In der zweiten Oktoberhälfte wird die Angebotsunterlage für den Erwerb eines Anteils an der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) von bis zu 49,9% durch die Reederei MSC voraussichtlich veröffentlicht werden. Der Ökonom Henning Vöpel hält den Hafen-Deal der Stadt Hamburg im Interview für sehr riskant.
Herr Professor Vöpel, der Hamburger Hafen hat Jahre mit Anteilsverlusten im internationalen Wettbewerb hinter sich. Wie bewerten Sie den Plan, dass sich die weltgrößte Containerreederei MSC mit bis zu 49,9% an der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) beteiligt?
Es wirkt eher wie eine Verzweiflungstat als ein Befreiungsschlag. Der Senat weiß, dass der strukturelle Bedeutungsverlust des Hafens kaum noch abzuwenden ist. Doch anstatt eine völlig neue Standortstrategie zu entwickeln, versucht man – vielleicht als letzte Chance – über diesen Weg, den Hafen zu retten. Ich halte diese Strategie zumindest für sehr riskant, weil man die mittelfristigen, eigentlichen strategischen Absichten von MSC nicht genügend kennt. Eine Beteiligung an der HHLA muss nicht zwingend bedeuten, dass MSC an Hamburg glaubt. Sie ist vermutlich Teil einer größeren Strategie, mit der man sich zusätzliche strategische Optionen verschaffen will. Das kann sich letztlich aber auch gegen Hamburg wenden, nämlich dann, wenn andere Reedereien, zum Beispiel
Hapag-Lloyd, Ladung abziehen. Ein Argument für den Senat könnte sein, dass man durch den Einstieg zusätzliche
Investitionen in die Kosteneffizienz
finanzieren kann und die Verkrustungen im Hafen durch mehr Wettbewerb auflöst.
Hamburg hat sich für MSC entschieden, obwohl das Bundeskabinett bis Jahresende eine nationale Hafenstrategie beschließen will. Hätte Hamburg diese nicht erst abwarten sollen?
Es wäre wohl klüger gewesen, abzuwarten. Es sei denn, man wusste tatsächlich bereits mehr, dann wäre es rational, die Gunst der Stunde zu nutzen, um alle anderen zu überrumpeln. Für die langfristigen Beziehungen wäre das allerdings desaströs und vermutlich sehr kurzsichtig, denn Hamburg wird allein nicht viel ausrichten können, umso mehr nicht gegen den Widerstand von Bremen und Niedersachsen.
Die Küstenländer und die Hafenwirtschaft haben eine „Zeitenwende“ bei der Finanzierung der Seehäfen gefordert. Allein für die Infrastruktur in den Häfen, die unter die Zuständigkeit der Länder fällt, seien rund 400 Mill. Euro nötig. Wie beurteilen Sie die Aussichten der deutschen Seehäfen im Wettbewerb?
Die Forderung ist aus Sicht der Häfen natürlich verständlich. Aus Marktsicht betrachtet sind sie übertrieben. Im europäischen Markt herrschen eher Überkapazitäten. Aus der ökonomischen Theorie wissen wir, dass Oligopolmärkte unter bestimmten Bedingungen Überkapazitäten schaffen. Sie konkurrieren um einen mehr oder weniger konstanten Kuchen und überinvestieren, um ein größeres Stück zu bekommen. Die Häfen stehen der gestiegenen Marktmacht der Reedereien machtlos gegenüber und treten in einen ruinösen Wettbewerb um einen Markt, dessen Wachstum nicht von den Hafeninvestitionen abhängt, sondern vom Wirtschaftswachstum und vom Welthandel.
Wie ist der geplante MSC-Einstieg zu bewerten vor dem Hintergrund, dass der Hamburger Hafen auch nach der jüngsten Elbvertiefung Nachteile im Wettbewerb bei der Erreichbarkeit für Großschiffe hat?
Dieser Umstand deutet eher darauf hin, dass MSC den Hamburger Hafen nicht als zentralen Knotenpunkt begreift, sondern als strategische Ergänzung des bestehenden Netzwerkes. Die Ankündigung, die Firmenzentrale nach Hamburg zu verlegen, dürfte zwar für den Senat ein wichtiges Signal gewesen sein, spielt aber wohl faktisch keine wesentliche Rolle.
Der mit Abstand größte Handelspartner des Hamburger Hafens ist China. Inwieweit geht es in Anbetracht der Abhängigkeit vom Handel mit China darum, mit dem MSC-Deal ein Klumpenrisiko zu verringern?
Das mag in der Tat eine Rolle bei den Überlegungen gespielt haben. Grundsätzlich ist dies ein Weg, Risiken und insbesondere einseitige Abhängigkeiten stärker zu diversifizieren. Jedoch besteht das Risiko ja vorrangig nicht in der Abhängigkeit von Reedereien, sondern von China als Handelspartner. Man müsste also danach gucken, wie sich die Handelsströme verschieben und wo neue Geschäftsfelder entstehen. Womöglich spielen mögliche Energieimporte aus Lateinamerika hier bereits eine Rolle.
Im Umfeld von MSC wird das Kaufangebot für den HHLA-Anteil auch als Versuch dargestellt, den chinesischen Einfluss in Europa einzudämmen. Deshalb habe MSC auch in Terminals in den Häfen von Rotterdam und Antwerpen investiert. Was halten Sie von diesem Motiv?
Ja, das ist denkbar und sehr wahrscheinlich. Denn das Spiel der Reedereien ist eines um globale Vormachtstellung und Marktmacht. Als Spielball dazwischen zu geraten, kann zu unerwarteten Konsequenzen führen. Das gilt insbesondere für die Politik. Man spielt jetzt vielleicht bei diesem Spiel mit, aber es ist dann doch etwas zu groß – und eine Stadt sollte das aus guten Gründen auch nicht tun, denn es ist öffentliches Geld im Spiel. Bei der Finanz- und Schifffahrtskrise nach 2008 ist das schon mal gründlich schiefgegangen.
Im Hafenentwicklungsplan des Hamburger Senats und der Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA) vom Oktober 2012 wurde das Umschlagpotenzial im Containerverkehr mit 25,3 Mill. Standardcontainern (TEU) im Jahr 2025 viel zu optimistisch eingeschätzt, wie man heute weiß. Von welcher Umschlagentwicklung im Hamburger Hafen ist in den kommenden Jahren auszugehen?
Man hat damals die sehr positive Entwicklung von 2000 bis 2008 einfach extrapoliert. Für jeden, der etwas von Wachstumsprozessen versteht, war klar, dass eine solche simple Modellierung nicht stimmen kann, sondern sich das Wachstum abflacht. Und tatsächlich ist nach 2008 für Hamburg ein struktureller Bruch zu erkennen. Man hat seitdem mit jeder Krise Marktanteile verloren, was eindeutig auf strukturelle Probleme hindeutet. Ich rechne mit nicht mehr als 10 Mill. TEU jährlich bis 2030.
Wie wird sich der Wettbewerb mit den anderen großen Nordsee-Häfen entwickeln? Wird Hamburg mittel- bis langfristig weitere Marktanteile an Rotterdam beziehungsweise Antwerpen-Zeebrügge verlieren?
Ja, es wird zu Verdrängung kommen. Das ist ja genau das, was der Senat offenbar nicht vollständig verstanden hat. Ein oligopolistischer Markt funktioniert ganz anders. Mit ein wenig Spieltheorie kann man den Markt aber schon verstehen.
Der Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne hätte Interesse an einer mehrheitlichen Übernahme der HHLA. Wäre es für den Hamburger Hafen besser, die Stadt Hamburg gäbe ihre Kontrolle an der HHLA auf?
Ja, es ist problematisch, wenn die Stadt mit öffentlichen Geldern in eine strategische Partnerschaft eintritt in einem Markt, auf dem kein Wettbewerb herrscht. Öffentliche Investitionen dienen am Ende privaten Profiten. Warum sollte der Steuerzahler in Infrastruktur investieren, die nicht mehr der allgemeinen Versorgungssicherheit dient, sondern einzelnen Akteuren?
Hamburg erhofft sich mehr Ladung und mehr Investitionen im Hafen. Was hat denn ein MSC-Effekt mit einem zugesagten Umschlagvolumen von mindestens 1 Mill. TEU in Hamburg ab 2031 für eine Aussagekraft, wenn andere Reedereien im Gegenzug größere Ladungsmengen aus dem Hamburger Hafen abziehen könnten?
Eine Zusage über 1 Mill. TEU ist im Grunde lächerlich. Man hat jetzt schon 0,5 Mill. Die Zusage steigert sich auf 1 Mill. bis 2030. Nimmt man die möglichen Ladungsverschiebungen von Hapag-Lloyd dazu, bleibt im Saldo kaum etwas übrig.
Die Fragen stellte Carsten Steevens.