Investoren stehen mit Frankenstein am Herd
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Die Ernährung der Weltbevölkerung nimmt in den Anstrengungen zum Klimaschutz eine zentrale Rolle ein. Schätzungen zufolge steht die Herstellung von Lebensmitteln für 30% des jährlichen CO2-Ausstoßes. Mit dem vorhersehbaren Anstieg der Weltbevölkerung bis 2050 auf fast zehn Milliarden Menschen verschärft sich die Situation. Im Fokus steht der Fleischkonsum, zumal mit steigendem Wohlstand und anspruchsvolleren Speiseplänen gerechnet wird.
So gehen Marktbeobachter davon aus, dass die Nachfrage nach eiweißhaltigen Lebensmitteln wie Fleisch, Fisch und Milchprodukte bis 2050 um 70% zulegen wird. Diese Nahrungsmittel stehen jedoch allein schon für die Hälfte der Treibhausgase aus der Lebensmittelproduktion. Eine Studie der Vereinten Nationen kam zum Ergebnis, dass der Konsum tierischer Proteine radikal reduziert werden müsse, um die globalen Klimaziele zu erreichen. Daneben wird Intensivtierhaltung mit Blick auf Tierschutz, Antibiotikaeinsatz und Umweltbelange zunehmend kritisch diskutiert. Der Markt für Fleischersatz wächst in dem Szenario rasant. Zahlreiche Anbieter sind mit Nuggets und Bratgrillern, erzeugt aus pflanzlichen Proteinen, dick im Geschäft. Bekannte Namen sind die US-Unternehmen Beyond Meat und Impossible Foods. In Deutschland hat jüngst die auf vegane Lebensmittel fokussierte Berliner Firma Veganz ihre Börsenpläne enthüllt.
Wunsch nach echtem Steak
Der Markt für pflanzenbasierte Proteine ist nach einer Schätzung der Kanzlei Morrison Foerster heute mit 12 Mrd. Dollar kapitalisiert. USA und Europa bildeten die größten Märkte für alternative Proteine, beide Regionen verzeichneten einen deutlichen Wachstumsschub in dem Segment. Treiber von Innovation seien in hohem Maße Start-ups. Nach einer Schätzung der Analysten von Barclays könnte der Markt für Fleischersatz in zehn Jahren auf 140 Mrd. Dollar wachsen, das wären 10% des Volumens der weltweiten Fleischindustrie.
Neben der veganen Alternative zu Wurst und Schnitzel gilt die Herstellung von Laborfleisch aus Zellkulturen zunehmend als Zukunftsmarkt. In der Technologie wird Muskelgewebe aus echten tierischen Zellen im Bioreaktor hergestellt und dann zu Fleischgerichten wie Burger oder Nuggets weiterverarbeitet. Die Bezeichnung dieses Produkts der Zellbiologen variiert, je nachdem wie nah man es ans Frankenstein-Labor rücken will. Wissenschaftler sprechen von In-vitro-Fleisch oder Laborfleisch, dem Verbraucher wird es feinfühlig als Kulturfleisch oder Clean Meat serviert. Branchenvertreter sagen voraus, dass der Markt für zellkultiviertes Fleisch bis 2030 auf 25 Mrd. Dollar wachsen wird. Viele Konsumenten wollten ihre Ernährung mit Blick auf Umweltaspekte zwar umstellen, aber nicht auf tierisches Protein und „echtes“ Steak verzichten.
Größere Finanzierungsrunden
Viele Investoren zeigen Appetit auf das Fleisch aus der Petrischale. Auch hier sind viele Start-ups aktiv. Nach Rechnung der Anwälte von Morrison Foerster hat die Szene im vergangenen Jahr 350 Mill. Dollar Kapital eingesammelt. Zu den Geldgebern zählen nicht nur große Fleischproduzenten und Lebensmittelkonzerne, sondern auch Tech-Investoren wie Bill Gates, Richard Branson und Leonardo DiCaprio. Die Start-ups in der „zellulären Landwirtschaft“ schießen wie Pilze aus dem Boden – vor allem in den USA. Bekannte Adressen sind die kalifornische Upside Foods (ehemals Memphis Meats) mit Sitz in Berkeley oder Eat Just, beheimatet in San Francisco. Upside Foods hatte noch als Memphis Meats Anfang 2020 mit 160 Mill. Dollar die bis dahin größte Finanzierungsrunde in dem Segment aufzuweisen, was ihre Kapitalaufnahme seit Gründung 2015 auf 180 Mill. hievte.
Eine Frage des Preises
Im laufenden Jahr setzte sich Eat Just, bekannt auch für die pflanzenbasierte Herstellung von Eierspeisen, in Szene. Das Unternehmen sorgte mit einer Finanzierungsrunde von 267 Mill. Dollar für einen neuen Rekord. Das Start-up kann damit punkten, dass sein im Labor erzeugtes Hühnerfleisch Ende November 2020 in Singapur erstmals für den menschlichen Verzehr genehmigt wurde.
Eine weitere Finanzierungsrunde über 85 Mill. Dollar gelang Anfang dieses Jahres auch der niederländischen Mosa Meat. Auch in dem 2016 gegründeten Start-up ist der Schauspieler und Umweltaktivist DiCaprio investiert und als Berater engagiert, „um zellkultiviertes Fleisch für den Endverbraucher zugänglich zu machen“, wie der Oscar-Preisträger zitiert wird. Das Team von Mosa Meat, eine Ausgründung der Universität Maastricht, hatte 2013 als erstes einen im Labor gezüchteten Burger vor laufender Fernsehkamera gebraten. Es war alles andere als Fast Food, waren die Produktionskosten für den Hamburger doch auf 250000 Euro veranschlagt worden.
Um Kulturfleisch trotz teurer Nährlösungen wettbewerbsfähig zu machen, arbeiten alle Anbieter an kostengünstigen Verfahren. Der Labor-Burger von Mosa Meat wird heute mit 45 Euro angesetzt, wäre aber auch damit nicht für die breite Masse erschwinglich. Geforscht wird deshalb auch an hybridem Clean Meat, wo dem aus Tierzellen produzierten Muskelfleisch pflanzliche Proteine beigefügt werden, um es billiger zu machen. Auch beim ersten Produkt von Just Eat in Singapur sollen die Hühnerzellen mit Pflanzenrohstoffen gemischt worden sein. Das israelische Start-up Future Meat plant nach US-Medienberichten, bis 2022 rein zellkultiviertes Fleisch für weniger als 10 Dollar je Pfund anbieten zu können.
Für Diskussionsstoff sorgt die Kennzeichnung von Kulturfleisch, was entscheidend für die Akzeptanz beim Konsumenten sein dürfte. Eine Etikettierung als Laborfleisch kann beim Verbraucher wenig Appetit anregen, die Anbieter von Clean Meat pochen deshalb auf eine Klassifizierung als Fleisch und führen an, dass auch Joghurt und Bier im Bioreaktor produziert werden. Dagegen laufen die traditionellen Tierzüchter Sturm. Auch in den Genehmigungsverfahren muss Laborfleisch noch Hürden nehmen. In der EU fällt es in den Geltungsbereich der Novel-Food-Verordnung.