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Irrungen und Wirrungen um Nachhaltigkeitsberichte

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt Börsen-Zeitung, 16.5.2018 In ihren Berichten über das Geschäftsjahr 2017 müssen größere Kapitalmarktunternehmen sowie Banken und Versicherungen erstmals umfangreich über nichtfinanzielle Sachverhalte informieren....

Irrungen und Wirrungen um Nachhaltigkeitsberichte

Von Sabine Wadewitz, FrankfurtIn ihren Berichten über das Geschäftsjahr 2017 müssen größere Kapitalmarktunternehmen sowie Banken und Versicherungen erstmals umfangreich über nichtfinanzielle Sachverhalte informieren. Hintergrund ist die Umsetzung der Corporate-Social-Responsibility-Richtlinie (CSR-Richtlinie), wonach den betroffenen Konzernen Angaben zu Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelangen abverlangt werden sowie zu Menschenrechten und zur Korruptionsbekämpfung. Dabei sind wesentliche Risiken aufzuzeigen, die im Hinblick auf die eigene Geschäftstätigkeit und die Lieferkette bestehen und die sich auf nichtfinanzielle Aspekte auswirken würden. Insgesamt geht es um Angaben, die für das Verständnis der Kapitalgesellschaft wesentlich sind.Ziel der EU-Regulierung ist es, Investoren und Stakeholdern mehr Einblick zu geben, inwieweit Nachhaltigkeit in Konzernen eine Rolle spielt. Über die Transparenz will man den Handlungsdruck erhöhen. Auch Investoren fordern zunehmend solche Informationen ein, um das Geschäftsmodell in Gänze beurteilen zu können. Die Aufsichtsräte sind in der Verantwortung, die Berichte zu prüfen – oder prüfen zu lassen. Eine Analyse der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY zeigt eine große Bandbreite in der Bewältigung der neuen Aufgabe. Die Unternehmen waren unterschiedlich stark gefordert, abhängig davon, ob sie bislang schon Nachhaltigkeitsberichte erstellt haben oder nicht. Ins kalte Wasser gesprungen sind vor allem MDax- und SDax-Firmen oder Gesellschaften, die in keinem Börsenindex sind. “Je später die Unternehmen gestartet sind, desto schwieriger war es für sie, die Anforderungen zu verstehen und intern die relevanten Themenfelder zu identifizieren”, erklärt EY-Partnerin Nicole Richter. Viele Unternehmen, die neu an die Themen herangegangen sind, haben nach Einschätzung von EY den Aufwand unterschätzt. “Das Management von Daten und Prozessen in der CSR-Thematik ist in vielen kleineren Unternehmen noch im Aufbau und nicht automatisiert, so dass es viel Zeit und Ressourcen braucht, aber auch fehleranfällig ist”, weiß Richter. Vielerorts haben die Firmen noch nicht geklärt, wo im Unternehmen die Verantwortung für CSR-Themen liegt oder wer sich um die Zusammenführung der Informationen kümmert. Wenn Themen identifiziert sind, konzentrieren sich die Daten oft auf Deutschland oder ausgewählte Standorte, nicht aber auf den gesamten Konsolidierungskreis. “Das Bild ist insgesamt sehr heterogen”, resümiert Richter. Das zeigt sich auch am Umfang der Berichte, der von 5 bis knapp 100 Seiten reicht. Am stärksten adressiert werden Arbeitnehmerbelange, wie Mitarbeiterqualifizierung oder Arbeitssicherheit, und Umweltthemen, etwa Energiemanagement und Emissionen. An dritter Stelle rangiert Soziales mit Angaben zu gesellschaftlichem oder regionalem Engagement. Knapp die Hälfte der Unternehmen bietet zusätzliche Angaben ergänzend zum regulatorischen Kanon, etwa über Kundenzufriedenheit, Produktsicherheit oder Innovationsmanagement. Die meisten Konzerne haben ihre “nichtfinanzielle Erklärung” außerhalb des Lageberichts veröffentlicht, was die Option einer zeitlich versetzten Berichterstattung eröffnet. Noch nicht überall verinnerlicht sei, dass es nicht nur darum geht, Daten über Sachverhalte wie Energieverbrauch oder Arbeitssicherheit zu erheben, sondern auch klarzumachen, was man auf diesen Gebieten erreicht hat. Auch das zeigt die mangelnde Praxis der Konzerne. Die Unternehmen werden sich nach dem ersten Versuch intensiv anschauen, wie Wettbewerber verfahren und wie das Bild insgesamt aussieht, ist Richter überzeugt. “Es wird noch ein bis zwei Jahre dauern, bis sich ein standardisiertes Vorgehen entwickelt hat”, schätzt die Expertin. Nachhaltigkeit wird in den Unternehmen inzwischen zwar mehr diskutiert, dass heißt aber nicht, dass diese Aspekte damit schon Teil der Unternehmensstrategie sind und in die internen Managementprozesse einbezogen werden, sagt Richter. Auch die Aufsichtsräte sind noch auf der Suche nach ihrer Rolle in dem Szenario. Nach Beobachtung von Peter Ruhwedel, Professor für Strategisches Management und Organisation an der FOM Hochschule in Duisburg, werden CSR-Aspekte in den Gremien sehr stark auf formaler Ebene abgearbeitet, eine inhaltliche Diskussion findet nicht statt. Das schließt der Wissenschaftler aus der Analyse der Aufsichtsratsberichte der Dax-30-Unternehmen. Fast alle Konzerne hätten einen externen Dienstleister, in der Regel den Abschlussprüfer, mit der (Vor-)Prüfung der nichtfinanziellen Erklärung beauftragt. Großteils hätten die Firmen jedoch nur eine sogenannte “limited assurance” durchführen lassen, bei der es sich explizit nicht um eine inhaltliche Bewertung der Sachverhalte handelt, betont Ruhwedel. “Formale Pflichtübung”Die Aufsichtsräte selbst haben sich nach Einschätzung des Wissenschaftlers nur oberflächlich mit dem CSR-Thema befasst. Ein Unternehmen, Heidelberg Cement, habe immerhin einen Workshop veranstaltet, Linde verweist auf einen externen Vortrag. Die weitgehende Delegation der Prüfungshandlungen auf den Abschlussprüfer, fehlende Ausführungen zur inhaltlichen Befassung des Aufsichtsrats mit CSR-Aspekten im Kontext der Unternehmensstrategie und der Vorstandsvergütung in Verbindung mit den teilweise sehr knappen Beschreibungen der Prüfung ließen den Eindruck entstehen, dass die Aufsichtsräte die Prüfung der nichtfinanziellen Erklärung “als formale Pflichtübung abgehakt haben”. “In Schulnoten ausgedrückt kann dies nur als mangelhaft bezeichnet werden”, urteilt Ruhwedel.